Das Ernst-von-Bergmann-Klinikum in Potsdam war ein neoliberales Vorzeigeprojekt, nun soll es wieder einen Tarifvertrag erhalten

Tariflohn statt Applaus

Das als Corona-Hotspot bundesweit bekannt gewordene Ernst-von-Bergmann-Klinikum war ein Vorzeigeprojekt neoliberaler Gewinnorientierung im Gesundheitswesen. Nun soll es in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst zurückkehren.

Als in Deutschland um die Jahrtausendwende viele Krankenhäuser privatisiert wurden, überlegte man auch in Potsdam, das städtische Ernst-von-Bergmann-Klinikum (EvB) zu verkaufen. Die SPD-geführte Stadtspitze entschied sich dagegen, wandelte aber den Betrieb in eine GmbH um, deren Gesellschafter die Stadt ist. Damit war die rechtliche Grundlage geschaffen, aus dem Klinikum ein gewinnorientiertes Unternehmen zu machen.

Der Wirtschaftsingenieur Steffen Grebner, der 2007 die Geschäftsführung übernahm, schuf durch Expansion und Kostensenkung einen profitablen Krankenhauskonzern. Weitere Kliniken wurden erworben, Rücklagen für den Ausbau des Unternehmens gebildet und die Beschäftigten aggressiver Lohndrückerei ausgesetzt. Wie andere kommunale Krankenhäuser war das EvB bereits 2006, nachdem ein Jahr zuvor der neu gestaltete Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) in Kraft getreten war, aus dem kommunalen Arbeitgeberverband ausgeschieden, um damit verbundene Lohnerhöhungen zu vermeiden.

Die Potsdamer SPD trug die Niedriglohnstrategie der Klinikleitung aktiv mit.

In den Jahren danach wurde Personal eingespart und mit der Drohung, Tätigkeiten an Subunternehmer zu vergeben, Druck auf die Beschäftigten ausgeübt. Bereiche wie das Catering und die Reinigung wurden in Tochtergesellschaften überführt, die zum Teil Löhne knapp über dem Mindestlohn zahlen. Beschäftigte berichteten, die Klinikleitung sei Bemühungen, Gegenwehr zu organisieren, mit Drohungen, Einschüchterungen und Versuchen begegnet, einen Teil der Belegschaft gegen den anderen auszuspielen. Am stärksten wehrten sich Angestellte der 2013 in eine eigene GmbH ausgegliederten Krankenhausdiagnostik. Vor allem ältere, schon zu DDR-Zeiten dort beschäftigte Frauen organisierten sich gewerkschaftlich und streikten – allerdings mit wenig Erfolg.

Auch dieses Scheitern hält in dem gewerkschaftlich kaum organisierten Unternehmen viele Beschäftigte davon ab, sich der zuständigen Gewerkschaft Verdi anzuschließen. Kritikerinnen und Kritiker monieren zudem, dass übergeordnete Ebenen bei Verdi Arbeitskämpfe in dem Klinikum nicht genug unterstützten, was auf Verquickungen zwischen dem Apparat der Gewerkschaft und der SPD zurückgeführt wird. Denn die Niedriglohnstrategie der Klinikleitung wurde von der städtischen SPD aktiv mitgetragen; sie wurde aber auch von allen anderen Fraktionen im Stadtparlament unterstützt, mit Ausnahme einer linksalternativen Wählergruppe. Das änderte sich auch nicht durch die Bildung einer Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei nach den Kommunalwahlen 2019.

Da sich die Situation weder durch gewerkschaftlichen Druck noch durch politische Entscheidungen städtischer Gremien ändern ließ, fand sich 2019 ein Bündnis aus unabhängigen Linken, Beschäftigten des Klinikums, Patientenvertreterinnen und Gewerkschaftern zusammen und initiierte unter dem Titel »Gesunde Zukunft Potsdam« ein Bürgerbegehren für die Rückkehr der Klinik in den TVöD und, inspiriert von Arbeitskämpfen an der Berliner Charité, für den Abschluss eines Entlastungs­tarifvertrages, der für alle Krankenhausbereiche verbindliche Mindestpersonalstärken festlegt.

Die Stadtregierung reagierte mit der Drohung, im Falle eines Erfolgs des Bürgerbegehrens freien Trägern im Bereich Kultur, Jugendarbeit und Sport Mittel zu streichen, da bei einer Rückkehr in den Tarifvertrag Zuschüsse aus dem städtischen Haushalt an das Klinikum nötig würden. Trotzdem gelang es in kurzer Zeit, die benötigte Zahl an Unterschriften zu sammeln, die am 6. Januar dem Wahlleiter übergeben wurden.

Es war aber der Beginn der Covid-19-Pandemie, der die Stadtverordnetenversammlung einlenken ließ. Im März wurde das EvB bundesweit als Corona-Hotspot bekannt. Patienten, medizinisches Personal und Beschäftigte im Service infizierten sich mit dem Virus, mehr als 40 Patientinnen und Patienten starben, das Krankenhaus musste für den Normalbetrieb geschlossen werden. Lokale Medien kritisierten das Krisenmanagement der Klinikleitung heftig, der Druck auf die führenden Kommunalpolitiker wuchs. Daraufhin entschied sich die Potsdamer SPD-Führung für einen Richtungswechsel beim EvB. Am Mittwoch vergangener Woche beschloss die Stadtverordnetenversammlung auf Antrag der Fraktionen der Rathauskoalition, die Forderungen des Bürgerbegehrens zu übernehmen und das Unternehmen anzuweisen, in den TVöD zurückzukehren und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Die Unterstützer des Bürgerbegehrens und im EvB aktive Gewerkschaftsvertreter sehen die Auseinandersetzung damit jedoch noch nicht als beendet an. Torsten Schulz, für das EvB zuständiger Verdi-Gewerkschaftssekretär, sagte der Jungle World: »Die konkreten Bestimmungen eines Entlastungstarifvertrages müssen erst ausgehandelt werden, dessen Qualität hängt damit entscheidend vom Grad gewerkschaftlicher Organisierung im Klinikum ab. Deshalb wäre es wichtig, dass die Beschäftigten, die jetzt sehen, welche gesellschaftliche Bedeutung ihre Arbeit hat, auch ihre Stärke erkennen und sich gewerkschaftlich organisieren.« Jörg Kwapis, ein Mitinitiator des Bürgerbegehrens, ist sich sicher: »Es ist wichtig, sich nicht auf dem politischen Erfolg auszuruhen. Ohne Kontrolle durch Belegschaft und Stadtgesellschaft werden sich die Verhältnisse nicht verbessern.«