Der deutsche Coronapop

Aber hier streamen, nein danke

Die Coronakrise erfasst auch die deutsche Popmusik. Einen Gefallen tun die Musiker mit ihren Aktivitäten sich und anderen allerdings nicht immer.

Gute Nachrichten gibt es dieser Tage wahrlich wenige. Eine globale Pandemie ist im Gange, und um die Zahl derer, die daran sterben müssen, so gering wie möglich zu halten, schränken sich weltweit Menschen ein. Überraschend still ist es da zu Hause, so ohne Kneipe, U-Bahn, Fitnessstudio oder Club. Bedrückend still.

Aber die Kulturschaffenden sind erfinderisch genug, ihre Produkte an die in der Quarantäne sitzenden Hörer zu bringen. Etliche Musiker und DJs waren in den vergangenen Wochen in ihren Studios und haben sich überlegt, wie die Stille zu beenden sei, wie ihre Klänge die Hörer erreichen könnten. Und siehe da, sie fanden naheliegende Lösungen: Livestreams und Youtube-Videos. Doch geglückt ist ihnen das, was sie komponierten, nicht immer.

Deutsche Künstler haben Durchhaltehymnen produziert, die klingen, als stünde ein Krieg ins Haus (Sarah Connor: »Sind wir bereit?«), als wäre ein solcher schon im Gange (Max Giesinger: »Nie stärker als jetzt«) oder als sei er schon verloren (Silbermond: »Machen wir das Beste draus«).

In Filmdialogen wünscht der Empfänger von Neuigkeiten auf die entsprechende Frage hin die schlechten Nachrichten meist zuerst zu hören, um die Enttäuschung schnell hinter sich zu bringen. Auch beim Coronapop scheint das keine schlechte Taktik zu sein, fangen wir also mit den vier vielleicht deutschesten Italienern an, die die Popwelt kennt. Die Band Freiwild hat, das muss man ihr lassen, einen der ersten deutschsprachigen Coronasongs überhaupt geschrieben (»Corona Weltuntergang«) und machte sich darin Anfang März noch über das Virus lustig, nicht ohne mit einem mahnenden moralischen Unterton auf die anderen Probleme zu verweisen, die derzeit viel wichtiger seien als die Seuchenbekämpfung. Wenige Tage später teilte Sänger Philipp Burger auf Facebook mit, dass sich die Band in Quarantäne begab, nachdem ihr Tontechniker positiv auf das Virus getestet worden war. Wären die Südtiroler mal nicht so fahrlässig gewesen, wäre einem das darauffolgende »Corona Quarantäne Tape« vielleicht erspart geblieben. Das Album stieg kurz nach Veröffentlichung auf Platz drei der deutschen Charts ein und bewies damit den Fans von Freiwild einmal mehr, wie weit sich die vier wackeren Kameraden abseits von Mainstream und Kommerz bewegen. Andere deutsche Musiker haben es da zumindest geschafft, aus dem Leid von Menschen keinen unmittelbaren Profit zu ziehen und die Einnahmen aus den Songs Hilfsprojekten zu spenden. Aber das, was haben jene deutsche Künstler da allesamt nur produziert: ans Kollektiv gerichtete Durchhaltehymnen, deren Zeilen klingen, als stünde ein Krieg ins Haus (Sarah Connor: »Sind wir bereit?«), als wäre ein solcher schon im vollen Gange (Max Giesinger: »Nie stärker als jetzt«) oder als sei er schon wieder verloren (Silbermond: »Machen wir das Beste draus«).

Obwohl Bewältigungsparolen auf Deutsch einfach nicht so richtig gut klingen wollen, dachte eine Initiative, die sich »Deutsche Künstlermanager« nannte, die Krise sei der beste Zeitpunkt, um wieder einmal eine Radioquote für »heimische« Interpreten zu fordern. Perfektes Timing, denn nichts braucht der Hörer jetzt mehr, als endlich mehr Deutsch im Radio. Offenbar beflügelt diese Krise Totgeglaubte, denn nicht nur diese seit den frühen nuller Jahren eigentlich beendete Debatte kochte wieder auf, auch die lange Jahre glücklicherweise vergessenen Dancehall-Deutschen von Culcha Candela fühlten sich zur Wortmeldung berufen. Die Berliner verkündeten auf Twitter ihre Verwunderung darüber, dass Künstler – in diesem Fall die Kabarettistin Hazel Brugger – gegen eine vorschnelle Lockerung der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung argumentieren. Da entlud sich ein, um der Deutschquote an dieser Stelle zu genügen, Scheißesturm über der Band, der sich mit dem Scheißesturm, den ihre Musik darstellt, in jedem Fall messen kann.

Bleibt den Zuhausegebliebenen, die nach Unterhaltung, Zerstreuung, vielleicht sogar Subversion dürsten, denn gar nichts erspart? Bleibt ihnen nur die Wahl zwischen unsinnigen Debatten, Deutschrock für den geistigen Fahnenappell und dem widerstandslosen Versinken im Kollektiv-Wir, in dem dieser Tage offenkundig sogar die notorischen Nichtdazugehörer von Tocotronic absaufen (»Hoffnung«)?

Lässt man die an den Verhältnissen verblödete deutsche Populärkultur hinter sich, ist da ja immerhin noch die Zukunft. Zum Beispiel das Institut für Zukunft in Leipzig, der Club, der wie viele andere mit ziemlicher Sicherheit noch für längere Zeiten leer sein wird, dafür aber die Tanzfläche ins Wohnzimmer verlagert. »United We Stream« heißt das Streaming-Angebot, das viele Clubs in Kooperation mit dem öffentlich-rechtlichen Sender Arte geschaffen haben. Es soll die schmerzlich vermisste Clubatmosphäre den Freunden elektronischer Musik nach Hause bringen. Über 30 Folgen zu je mehreren Stunden liefen schon. Ein wenig verloren wirken die Künstler, die da in leeren, aber schick beleuchteten Hallen vor sich hin mixen und ein imaginäres Publikum bespielen. Aber, aber: Jetzt ist nicht die Zeit für Häme! Es geht schließlich um die Berliner Clubkultur, die – laut Sender – »vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte« steht. Das Streaming in zahlreiche Wohnzimmer und WG-Küchen könnte ganz reizend sein, wäre da nicht diese eine Sache – wie heißt sie nochmal? Ach ja: Geld. Die Clubs können Mittel in Höhe von maximal 120 Prozent einer Monatsmiete für ein gestreamtes Clubkonzert bei »United We Stream« beantragen, die ein Verein aus Spenden aufbringt. Das klingt gut, schließlich konnte die Initiative nach eigenen Angaben schon Ende März über 300 000 Euro Spenden einnehmen. Nur: Eine Monatsmiete ist kein Vergleich mit dem, was ein solcher Club an einem guten Abend mit Eintritts- und Getränkepreisen einnehmen könnte – ganz abgesehen von den Gagen für die DJs, über deren Vergütung »United We Stream« keine genauen Angaben macht. Auch über die genaue Höhe der Zahlung an die Clubs entscheidet am Ende eine Jury.

Wo es Not gibt, gibt es auch immer ein Unternehmen, das diese für sich nutzen kann. So nimmt es nicht wunder, dass die Drogeriekette Rossmann ihren Moment gekommen sah, Likes auf Social-Media-Kanälen gegen Spendenversprechen einzutauschen. Kräftig digital mögen sollen die Konsumenten einen Clip, in dem Rapper Massiv einen Türsteher vor einer Filiale spielt. Für 100 000 Likes gehen laut Rossmann 50 000 Euro an »United We Stream«. Wenn dann noch die Packung Klopapier in namentlicher Drogerie statt in einer anderen ergattert wird, hat sich die Sache für den Konzern schon gelohnt. Die Clubs verschwinden später, die Likes bleiben. Aus der Welt der elektronischen Musik gibt es also ebenso wenig Ermunterndes zu berichten, auch wenn Hauke und Julia noch recht fröhlich in ihrer Zweiraumwohnung zu den Beats von »United We Stream« tanzen. Für lau, versteht sich. Statt zu tanzen, konnte man auch zuhören, denn unter dem smarten Titel »United We Talk« wurden auch Diskussionsrunden gestreamt, eine davon mit der immer nett lächelnden, aber doch ziemlich dubiosen Kübra Gümüşay.

Vielleicht ist es in anderen Ländern ja besser? Was machen die US-amerikanischen Künstler denn so in der Quarantäne? Nun, zumindest machen dort weniger Musiker einen Hehl aus ihrer Einfallslosigkeit, niemand will seine Hörer mit Durchhalte­hymnen wahlweise zum Widerstand oder zum Mitmachen nötigen. Stattdessen gibt es Unterhaltung. Paris Hilton (zuletzt war sie etwa zur gleichen Zeit wie Culcha Candela wahrnehmbar in der Öffentlichkeit präsent) hat sich in ihrer Villa einfach ein paar Einhornluftballons aufgeblasen und streamte ein DJ-Set bestehend aus zweifelhaften Remixes von Songs der nuller Jahre, das eigentlich auf einem – natürlich abgesagten – Festival gespielt werden sollte. Hier wird niemand belehrt, hier kann auch keiner verarmen, hier bekommt man das, was Pop immer schon versprach. Paris, lass uns nicht mit Freiwild und Silbermond allein, wir brauchen dich in diesen finsteren Zeiten!