Walter Lübckes Mörder und der Verfassungsschutz

Neonazi durch und durch

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E. habe angegeben, »unter Druck gesetzt worden« zu sein und wegen eines verabreichten Arzneistoffs nicht vernehmungsfähig gewesen zu sein, heißt es in einem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22. August. Die erste dieser Behauptungen habe er allerdings »nicht aufrechterhalten«. Zudem habe die ihn behandelnde Anstaltsärztin ausgeschlossen, dass E. bei der Vernehmung am 25. Juni beeinträchtigt gewesen war. Der BGH kam daher zu dem Schluss, dass es »im derzeitigen Ermittlungsstadium« keinen Anlass gebe, »an dem Wahrheitsgehalt der Einlassung zu zweifeln«. Anlass für den BGH-Beschluss war eine Beschwerde von Markus H., der der Beihilfe zum Mord beschuldigt wird, gegen den ihn betreffenden Haftbefehl und die daraus resultierende Untersuchungshaft. H. soll E. den Kontakt zu einem Waffenhändler vermittelt haben.

Mittlerweile mehren sich die Anzeichen, dass die deutschen Behörden ­unterschätzt haben, wie gefährlich E. war. So soll er am 6. Januar 2016 versucht haben, »einen irakischen Asylbewerber heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zu töten«. Das schrieb die Bundesanwaltschaft in einer Pressemitteilung vom 19. September. Weiter heißt es, »E. soll sich dem Opfer unbemerkt von hinten genähert und ihm dann unvermittelt mit einem Messer in den oberen Rücken gestochen haben. Durch den Stich erlitt der Geschädigte erhebliche Verletzungen, die eine intensivmedizinische Behandlung notwendig gemacht haben.« Es bestehe daher der Anfangsverdacht des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Die Bundesanwaltschaft hat das entsprechende Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kassel übernommen.

Bereits im November 1992 hatte E. einen Mann, bei dem es sich seiner Meinung nach um einen Ausländer handelte, mit einem Messer lebensgefährlich verletzt. E. war außerdem an einer Brandstiftung, einem Bombenanschlag auf eine Asylunterkunft, einem gemeinschaftlichen Totschlag und einem Angriff von Neonazis auf eine DGB-Kundgebung sowie weiteren Straftaten beteiligt. Zudem verfügte er über zahlreiche Verbindungen zu organisierten Neonazis. Der hessische Verfassungsschutz stufte ihn bis 2009 als gefährlich ein. Danach wurde er von den Behörden offenbar nicht mehr beobachtet. Nach Recherchen von Welt, Taz und dem NDR-Magazin »Panorama« war E. aber mindestens noch bis 2011 Mitglied in rechtsextremen Gruppen wie der »Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer ­Lebensgestaltung« und »Freier Widerstand Kassel«. E. sei »ein durch und durch gewalttätiger Neonazi, der jederzeit für die Behörden greifbar« gewesen sei, hieß es in dem Bericht von Exif. Es müsse geklärt werden, ob die Verfassungsschutzämter »die Öffentlichkeit und Politik erneut bewusst desinformiert haben oder wie es sein kann, dass sie bei dem immensen Personal- und Geldaufkommen die Aktivitäten« von E. und H. nicht beobachteten.

Für Rechtsextreme hat der Mord an Lübcke offenbar Vorbildcharakter. Immer wieder erhalten Journalisten und Politiker entsprechende Drohungen. Erst vergangene Woche beispielsweise bekam Mike Mohring, der Landesvorsitzende der CDU in Thüringen, nach ­Angaben seiner Partei eine Postkarte, auf der stand, dass Mohring nach Lübcke die »Nummer zwei« sei, die »demnächst einen Kopfschuss« erhalten werde. Auch gegen Lübcke hatte es vor dem tödlichen Attentat in E-Mails und auf sozialen Netzwerken immer wieder Morddrohungen gegeben.