Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung bringt wenig

Mit der Kleckersteuer gegen den Klimawandel

Das neue Klimaschutzprogramm der Bundesregierung verfehlt seinen Zweck. Wegen der drohenden Rezession ist mit einschneidenden Maßnahmen, um den CO2-Ausstoß der Industrie zu verringern, in nächster Zeit nicht zu rechnen.

»Politik ist das, was möglich ist«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der vorvergangenen Woche, als sie auf einer Pressekonferenz das »Klimaschutzprogramm 2030« der Bundesregierung vorstellte. Ihre Wortwahl war an dieser Stelle besonders defensiv. Kein Wunder: Die Bundesregierung wird mit ihrem sogenannten Klimapaket ihre selbstgesetzten Emissionsziele voraussichtlich nicht erreichen.

Bei der deutschen Industrie bewegt sich sehr wenig. Zwischen 2009 und 2018 sank der Umfang der CO2-Emissionen nicht, zuletzt ist er sogar wieder gestiegen.

Gleichwohl ist Merkels Satz stichhaltig: Es ist auf politischem Weg nicht möglich, Unternehmen einfach zu diktieren, ihren CO2-Ausstoß stark zu reduzieren oder ihre Produktionsweise derart umzustellen, dass sich eine globale Klimakatastrophe verhindern ließe. Denn die Wirtschaft ist im Kapitalismus nicht staatlicher Weisung unterstellt.

Der Bundesregierung stehen jedoch indirekte Mittel zur Verfügung, zum Beispiel die CO2-Steuer, die im Klimaschutzprogramm vorgesehen ist. Diese Mittel sollen, wie es heißt, »Lenkungswirkung« besitzen. Um tatsächlich eine Wirkung zu entfalten, müsste die Steuer so hoch sein, dass es für die Unternehmen profitabel wird, ihre Emissionen zu verringern. Eine solche Höhe erreicht die beschlossene CO2-Steuer nicht einmal annähernd.
Die Bundesregierung hat in den vor zwei Wochen vorgestellten Eckpunkten des Klimaschutzprogramms festgelegt, bis 2030 die Emissionen im Verkehr, in der Bauwirtschaft und der Landwirtschaft um 38 Prozent zu senken, Bezugsgröße ist der Wert von 2005.

Ottmar Edenhofer, der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), kritisiert, dass die Bundesregierung mit den Entscheidungen des Klimaschutzprogramms »die selbstgesteckten Klimaziele für 2030 nicht erreichen« werde. Der für den Bereich Verkehr und Gebäude angesetzte CO2-Festpreis sei viel zu niedrig. Ein sinnvoller Einstiegspreis liege bei 50 Euro pro Tonne ausgestoßenem CO2, der dann bis 2030 auf 130 Euro steigen müsse. Die Bundesregierung hat einen Preis von zehn Euro pro Tonne beschlossen, der bis 2025 auf 35 Euro steigen soll.

Zudem wurden einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge konkrete Vorgaben, die in der anfänglich vorgestellten Fassung des Programms noch zu finden waren, in einer zweiten Fassung weggelassen. Ursprünglich verfügte das Programm demnach über Tabellen zur »Minderungswirkung« der einzelnen Klimaschutzmaßnahmen. Dort war beispielsweise angegeben, um wie viele Millionen Tonnen CO2 sich der Ausstoß in den betreffenden Bereichen vermindern sollte. Diese Angaben fehlen in der neuen Version des Programms, die nach Angaben der Süddeutschen Zeitung den jeweiligen Ministerien inzwischen vorliegt.

 

Auch die neben der CO2-Steuer beschlossenen Maßnahmen sind kaum der Rede wert. Es soll bis zu 20 Milliarden Euro mehr für die Bahn geben, eine höhere Besteuerung des Flugverkehrs und eine Erhöhung der Entfernungspauschale (die sogenannte Pendlerpauschale), die jedoch auch Autofahrern zugutekommt, also nicht nur denjenigen Arbeitnehmern und Selbständigen, die zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln an ihren Arbeitsplatz gelangen. Es gibt keine nennenswerten Maßnahmen, den Anteil erneuerbarer Energiequellen auszubauen, und das, obwohl der Bereich Windenergie, die wichtigste dieser Energiequellen in Deutschland, derzeit stagniert. In der ersten Jahreshälfte 2019 wurden in Deutschland gerade einmal 35 neue Windräder gebaut, so wenige waren es zuletzt vor 19 Jahren. Das liegt vor allem daran, dass es immer schwieriger wird, Baulizenzen zu erhalten.

Dabei wird im Energiesektor mit Abstand am meisten CO2 ausgestoßen. 2017 war dieser Bereich für 39 Prozent des gesamten deutschen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Direkt danach kommt die fertigende Industrie, die derzeit mehr als ein Fünftel der Emissionen verursacht. Diese beiden Bereiche sind von der im »Klimaschutzprogramm 2030« beschlossenen CO2-Steuer nicht betroffen. Ihre CO2-Ausstöße unterliegen dem Emissionshandel, den es auf europäischer Ebene seit 2005 gibt. Bei diesem wird zunächst ein Kontingent an CO2-Emissionen festgelegt, anschließend werden die Emissionslizenzen auf dem Markt gehandelt, so dass sich auf diese Weise ein Preis für die Tonne CO2 herausbildet. Mit dieser Methode sollen die Emissionen bis 2030 um 43 Prozent gesenkt werden.

Doch die »Lenkungswirkung« des Emissionshandels ist nicht sonderlich groß. Als er 2005 eingeführt wurde, lag der Preis der Emissionszertifikate für eine Tonne CO2 bei sage und schreibe null Euro. Es wurden zu viele Lizenzen direkt an die betreffenden Betriebe ausgegeben, niemand musste sich auf dem freien Markt weitere Emissionsrechte hinzukaufen. Bis 2018 kam der Preis kaum über fünf Euro hinaus, inzwischen liegt er bei etwa 26 Euro.
Die öffentliche Diskussion über CO2-Emissionen dreht sich meist um die Aspekte, die viele Menschen im Alltag betreffen: Mobilität mit Auto, Flugzeug und Bahn und vielleicht noch der Wohnungsbau. Das ist wichtig, entscheidend ist aber, was in der Energieerzeugung und der Industrieproduktion geschieht.

Auch bei der Industrie bewegt sich sehr wenig. Zwischen 2009 und 2018 sanken ihre Emissionen nicht, zuletzt stiegen sie sogar wieder. Das geht aus einer im September erschienenen Studie des World Wide Fund for Nature (WWF) hervor. Die Autoren weisen zudem darauf hin, dass die Betriebszeit vieler Industrieanlagen Jahrzehnte betrage. Wenn in der nächsten Zeit in »alte emissionsintensive Technik reinvestiert« würde, wären die Emissionen »bis fast zum Ende des Jahrhunderts festgeschrieben«.

 

Im Übereinkommen von Paris hatten sich die unterzeichnenden Staaten 2015 auf das Ziel geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zu den Werten vor der Industrialisierung zu begrenzen. Die bisherigen Anstrengungen zum Klimaschutz müssten den Vereinten Nationen zufolge mindestens verdreifacht werden, um dieses Ziel noch zu erreichen. Der renommierten Analyse-Website Climate Action Tracker zufolge befindet sich die EU zurzeit auf einem Weg, der zu einer Erwärmung um zwei bis drei Grad Celsius führen würde – und diese Vorhersage geht davon aus, dass die schon beschlossenen Maßnahmen in Zukunft zuverlässig verwirklicht werden.

Bei einer Erderwärmung von zwei Grad oder mehr drohen verheerende Folgen: noch mehr zerstörte Ökosysteme und aussterbende Tierarten, noch mehr extreme Hitzewellen, Dürren und Überflutungen, mehr Krankheiten und Pandemien, mehr Ernteausfälle, mehr Konflikte und noch größere globale politische Instabilität – und dazu ein höheres Risiko klimatischer Kettenreaktionen, die die Erwärmung zusätzliche verstärken könnten.

In Deutschland lebt nur etwa ein Prozent der Weltbevölkerung. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums hat das Land seit Beginn der Industrialisierung fünfmal so viel zur Erd­erwärmung beigetragen, wie seinem Bevölkerungsanteil entsprechen würde. Die Bundesrepublik wird die selbstgesteckten Klimaziele höchstwahrscheinlich nicht erreichen. Das von der Bundesregierung beschlossene Klimaschutzprogramm sieht vor, die Emissionen bis 2020 um 40 Prozent und bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren, gemessen an den Werten von 1990. Doch dem Klimaschutzbericht von vergangenem Jahr zufolge werden die Emissionen bis 2020 nur um 32 Prozent reduziert.

Die Bundesregierung wird der Industrie in den kommenden Jahren wohl kaum hohe Kosten auferlegen, um den CO2-Ausstoß zu verringern. Denn es mehren sich die Anzeichen, dass die deutsche Wirtschaft spätestens im kommenden Jahr in eine Rezession gerät. Für Politiker, denen die bereits beschlossenen Maßnahmen schon viel zu weit gehen, ist das eine Gelegenheit, den Klimaschutz in Frage zu stellen. Christian Lindner, der Bundesvorsitzende der FDP, beispielsweise gab in der FAZ folgenden Satz von sich: »Wir werden den Planeten nicht retten, indem wir einen Morgenthau-Plan für Deutschland umsetzen und die Deutschen zu veganen Radfahrern machen.« So klingen die national-populistischen Einwände gegen den Klimaschutz.