Die Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland stocken

Die Selenskyj-Formel

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Prystajko brachte unterdessen eine andere Möglichkeit ins Spiel: Eine internationale Kontrollmission könne »einen Kompromiss darstellen«, sagte er in einem Interview mit der ukrainischen Online-Zeitung European Pravda. Eine UN-Mission hatte auch die vorherige ukrainische Regierung immer wieder gefordert. Doch Russland wollte sich höchstens auf eine sehr beschränkte Blauhelmmission an der Front einlassen. Auch der ehemalige ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin schlug erst kürzlich erneut eine »internationale Verwaltung« des Donbass durch ­UN-Truppen vor. Dann könne es »echte Wahlen« geben, keine »von Russland veranstaltete Farce«.

Warum aber sollte Russland dem zustimmen? Sanktionen und die Unterhaltung der ostukrainischen Marionettenstaaten mögen das Land zwar viel Geld kosten, aber zu großen Zugeständnissen zeigt sich Russland bislang nicht bereit. Statt eine schnelle Lösung zu suchen, will die russische Regierung das Unterpfand Donbass für weitere Verhandlungen nutzen, etwa um eine Anerkennung der Krim-Annexion oder eine Absage der Ukraine an eine Nato-Mitgliedschaft zu erwirken. Beides lehnt die ukrainische Regierung ab.

Offen bleiben die Fragen, wer für den Wiederaufbau des Donbass bezahlen wird, wie mit der dortigen Bevölkerung sowie den separatistischen Kämpfern umgegangen werden soll; und welchen Status das Russische, die Muttersprache der meisten Donbass-Bewohner, haben wird. Angesichts des jüngst bekanntgewordenen Versuchs von US-Präsident Donald Trump, auf die ukrainische Justiz Einfluss zu nehmen (siehe Thema-Seiten), kommt die Frage hinzu, wie lange die von der ­ukrainischen Regierung flehentlich beschworene europäische Sanktionsfront gegen Russland halten wird. Selenskyjs Hoffnung, das »Normandie-Format« um die USA zu erweitern, um stärker gegen Russland dazustehen, könnte sich nun erledigt haben.

Immerhin will Selenskyj ein Versprechen erfüllen: Zugeständnisse an die Bevölkerung des Donbass, der man zeigen wolle, dass sie immer noch ukrainische Bürger seien – die »Selenskyj-Formel« genannt. So will die ukrainische Regierung etwa Rentenbezüge erleichtern und die Wirtschaftsblockade für einige Güter lockern.