Nach einem mutmaßlichen ­»Ehrenmord« kommt es in der Westbank zu Protesten

Nicht mehr stillhalten

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Seit ihrem Tod gibt es Straßenproteste. Auf Twitter gibt es oft im Minu­tentakt Nachrichten unter dem Hashtag »Wir sind alle Israa«. Mohammed Shtayyeh, der Ministerpräsident der palästinen­sischen Autonomiebehörde, versprach bereits Ende August, die bestehenden Gesetze zu überprüfen und alles Nötige zu unternehmen, um Israa Ghrayebs Mörder vor Gericht zu bringen. Vergangene Woche erhob die Generalstaatsanwaltschaft Anklage wegen Mordes gegen drei ihrer Verwandten.

In den palästinensischen Gebieten sieht das Gesetz bei sogenannten Ehrenmorden strafmildernde Umstände ge­geben, auch Straffreiheit ist möglich. Darum wohl erklärte der Staatsanwalt, im Fall Israa Ghrayebs liege kein Ehrenmord vor. Die Protestierenden hingegen fordern die Abschaffung dieser Klausel, die noch aus dem jordani­schen Strafgesetz stammt. In Jordanien selbst wurde die Klausel 2017 gestrichen – wie ähnliche Regeln in vielen arabischen Ländern in den vergangenen Jahren.

In den palästinensischen Gebieten hatten Frauenrechtsorganisationen bereits 2004 der Regierung einen Entwurf zur Änderung zahlreicher frauendiskriminierender Gesetze vorgelegt. Ab 2011 drängten sie stärker auf die Erfüllung ihrer Forderungen, nicht zuletzt weil in den Nachbarländern viele Gesetze überarbeitet wurden. Doch erst 2018 unterzeichnete Präsident Mahmoud Abbas als erste Reform die Abschaffung des Gesetzes, das vorsah, dass Vergewaltiger straffrei bleiben, wenn sie ihr Opfer heiraten.

In den palästinensischen Gebieten kommen Reformen langsam voran. Vom »arabischen Frühling« und seinen Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frauen spürte man hier nur wenig. Das liege an der israelischen Besatzung, behaupten palästinensische Aktivistinnen. Und manche machen Israel auch für »Ehrenmorde« verantwortlich. Ein Argument lautet, die Spaltung zwischen der Fatah, die die Westbank kontrolliert, und der Hamas, die im Gaza-Streifen herrscht, habe das Parlament faktisch entmachtet. Der Präsident regiere per Dekret.