Todesfälle nach polizeilichen Taser-Einsätzen

Polizei unter Strom

Polizisten strecken in Fulda einen Mann mit einem Taser nieder. Zwei Wochen später stirbt er im Krankenhaus. Versuchten die hessischen Behörden den Vorfall zu vertuschen?

Ein 63jähriger schoss in seiner Wohnung im Fuldaer Stadtteil Edelzeller Siedlung mit einer Kleinkaliberwaffe um sich und löste einen polizeilichen Großeinsatz aus. Als Spezialkräfte mit Hunden das Haus betraten, erschoss der Mann ein Tier. Die Polizisten streckten den Schützen mit einem Taser nieder. Während der Festnahme kollabierte der 63jährige. Zwei Wochen später starb er im Krankenhaus.

Warum wurde der Todesfall nicht gemeldet? Die hessischen Behörden schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu.

Der Vorfall ereignete sich im Januar 2018. Doch erst in den vergangenen Wochen wurden die Geschehnisse in vollem Umfang öffentlich bekannt. Die Fraktion der Linkspartei im hessischen Landtag hatte vom hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU) im April in einer Kleinen Anfrage Informationen über Risiken sowie Verletzungen, bleibende Schäden und anhaltender Beschwerden wegen polizeilicher Taser-Einsätze verlangt. Der Innenminister hatte in seiner schriftlichen Antwort keine konkreten Fälle genannt, aber einen Tag nach ihrer Veröffentlichung eingeräumt, dass es möglicherweise doch einen Todesfall in Frankfurt am Main gegeben habe. Dort hatten alarmierte Streifenpolizisten einen Taser gegen einen sich aggressiv verhaltenden Mann eingesetzt, der an Diabetes litt und stark übergewichtig war. Er kollabierte und starb zwei Tage später im Krankenhaus.

Den Fall in Fulda, der sich vor dem in Frankfurt ereignet hatte, hatte der Minister in seiner schriftlichen Antwort ebenfalls nicht erwähnt. Der Pressesprecher der Fraktion der Linkspartei im hessischen Landtag, Tim Dreyer, sagte auf Nachfrage der Jungle World, die Partei habe deshalb Mitte Juni noch einmal in einer mündlichen Frage­stunde bei der Landesregierung nachgehakt. Daraufhin habe Beuth beide ­Todesfälle erwähnt – den in Frankfurt Ende April/Anfang Mai und den in ­Fulda im Januar 2018.

Es sei »wieder einmal verblüffend, mit welch hanebüchenen Erklärungen« der Innenminister versucht habe, dem Parlament Informationen über die Risiken von Taser-Einsätzen vorzuenthalten, schrieb der innenpo­litische Sprecher der Landtagsfraktion der Linkspartei, Hermann Schaus, in ­einer Pressemitteilung. Er forderte: »Die Gefahren durch die Stromstöße dürfen nicht heruntergespielt und die Geräte nicht niedrigschwellig eingesetzt werden. Ich fordere erneut den Innenminister auf, den Einsatz von Tasern unverzüglich zu stoppen – mindestens bis zur Klärung der Todesfälle.«

Niemand will Verantwortung übernehmen

Dreyer weist auf ein zentrales Problem hin: Die Polizei sei zwar gesetzlich zu einer Meldung verpflichtet, wenn durch polizeilichen Schusswaffengebrauch Menschen gestorben, verletzt worden oder Sachschäden entstanden sind. Da die Polizei Taser jedoch nicht als Schusswaffen einstufe, müsse eine Meldepflichtdurch die Bundesgesetzgebung geregelt werden.

Die hessischen Behörden schieben sich gegenseitig die Verantwortung dafür zu, warum der Todesfall in Fulda nicht gemeldet wurde. Die Pressestelle des Polizeipräsidiums Osthessen hatte im Januar 2018 lediglich mitgeteilt, dass ein Mann in der Stadt nach einem Taser-Einsatz ins Krankenhaus gebracht worden sei. Dessen späteren Tod hatte sie nicht gemeldet. »Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Sobald durch unsere Beamten eine Waffe oder etwas Waffenähnliches – also hier der Taser – zum Einsatz kommt und zum Tod oder einer lebensbedrohlichen Verletzung eines Menschen führt, übernimmt automatisch das Landeskriminalamt (LKA) die Ermittlungen«, sagte ein Polizeisprecher kürzlich Ost­hessen-News. Ein LKA-Sprecher sagte dem regionalen Online-Magazin, die Meldung über den Tod sei bei seiner Behörde erst nach Wochen eingetroffen. »Zu diesem Zeitpunkt war das große öffentliche Interesse nicht mehr gegeben, weshalb wohl nicht weiter berichtet wurde.«

Allerdings war das öffentliche Interesse von Anfang an gering – was mit der sozialen Situation des Toten zu tun haben könnte. Die Bewohner der Edelzeller Siedlung in Fulda gelten als abgehängtes Prekariat. Nach dem Tod des Mannes schaltete offenbar niemand einen Anwalt oder die Presse ein, eine Obduktion unterblieb.

Sie wäre auch sinnvoll gewesen, um die Gefahren von Tasern besser dokumentieren zu können. Innenminister Beuth befürwortet deren Einsatz ausdrücklich. Seit 2005 verwenden Spezial­einheiten der Polizei bundesweit ­Taser, seit 2017 läuft in Hessen eine Test­phase im »polizeilichen Einzeldienst«, auch Streifenpoli­zisten führen seit­her solche Waffen mit.