Ohne Berührungsängste
Der Stand der Dinge im Bürgersalon: Zum 65. Geburtstag des ehemaligen Spiegel-Journalisten Matthias Matussek war so manche Edelfeder geladen. Vom Jubilar selbst im Internet stolz der Öffentlichkeit präsentiert, wurden rechts schillernde Geistesverwandte wie Cora Stephan, Michael Klonovsky, Jan Fleischhauer oder »Bild«-Briefe-Schreiber Franz Josef Wagner. Wie Matussek sind sie seit Jahren Teil des Medienbetriebes, den sie nun mit skurrilen Auftritten und Thesen zu bekämpfen vorgeben. Das ist auch wieder Teil des Betriebes, nur Matussek selbst ist mit einigen irren Auftritten über die Stränge geschlagen. Zwischen all den Geistesrecken fiel dann auch der Hallenser Mario Müller nicht weiter auf. Einst war er beim NPD-Nachwuchs JN, jetzt ist der vorbestrafte Nazischläger, den Matussek als »Freund« vorstellte, Kader der »Identitären«. Bei der Festivität anwesend war auch die Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen, die sich im selben Milieu wie Müller bewegt. In den Kreisen der Neuen Rechten ist sie ein bekanntes Gesicht. Sie tritt mit der »Sezessions«-Autorin Ellen Kositza auf, verklagte aber jüngst die Amadeu Antonio Stiftung, weil sie selbst nicht als »rechtsextreme Akteurin« gelten will. Der Erfolg vor einem sächsischen Gericht war der »Sezession« gleich ein ausführliches Gespräch unter Freunden wert.
All das traf nun bei Matussek zusammen, flankiert von ganz normalen Leuten des Betriebs, die ebenfalls zum gratulieren kamen. Eine illustre Runde also, tolerant und ohne Berührungsängste. Das Tellkamp-Bildungsbürgertum besinnt sich eben auf seine historische Herkunft. Szenen wie diese zeigen, wie rapide das bürgerliche Bündnis mit der liberalen Demokratie bröckelt, das für die Bundesrepublik seit den sechziger Jahren als sinnstiftend galt.
Unter Matusseks Gästen war auch Dieter Stein, Chef der »Jungen Freiheit« (JF). Das ist amüsant, da sich die Fehde zwischen seinem Blatt und der seinem Haus entsprungenem »Sezessions«-Fraktion gerade wieder hochgeschaukelt hat. Stein publizierte einen scharfen Angriff auf Björn Höcke. Er sieht in ihm das Ende der AfD als wählbare Partei. Das führte zum nächsten als Interview getarnten Buddy-Gespräch auf »Sezession«, diesmal zwischen Götz Kubitschek und Höcke. Selbstgespräche dieser Art sind ein journalistischer Markenkern des Milieus.
Es ist bemerkenswert, wie wenig die Mäßigungsrufe Steins tatsächlich in der Partei verfangen. Ausgerechnet der AfD-Dissident Marcus Pretzell hat auf einen wenig beachteten Zusammenhang hingewiesen. Die in der Auseinandersetzung als gemäßigt geltenden AfD-Politiker Jörg Meuthen, Alice Weidel (beide BaWü) und Guido Reil (NRW) seien durch den Spendenskandal möglicherweise privat von der Partei haftbar zu machen. Dadurch seien sie selbst vom Goodwill der Partei abhängig kaum in der Lage, einen ernsthaften Richtungskonflikt auszufechten. Wie Pretzell schreibt, könnten sich daher ausgerechnet jene als »die vielleicht verlässlichsten Schirmherren des Flügels« erweisen, die der Öffentlichkeit als Gegenspieler präsentiert werden. Statt einer Schwächung des »Flügels« ist bislang ohnehin nur die Erosion der Berührungsängste des »bürgerlichen« Teils der Partei zu verzeichnen. Dafür spricht auch die geringe Aufmerksamkeit für die Angriffe der JF.
Dafür stand das Blatt mit einem anderen Thema in der Öffentlichkeit. Billy Six, der seit Jahren für die JF schreibt, saß bis vor Kurzem in Venezuela in Haft. Er wurde im November 2018 vom Geheimdienst des autoritär regierten südamerikanischen Landes festgenommen und unter fadenscheinigen Anklagen festgehalten. Der Mann wird als »Abenteurer« angepriesen, seine Texte umweht stets ein Hauch von Karl May. Tatsächlich fertigt er seine Berichte für Blätter des rechten Randes mit fragwürdigen Methoden und unter riskanten Manövern. Im Winter 2012/13 war Six bereits in Syrien inhaftiert worden, wo er illegal einreiste, um aus dem Bürgerkrieg zu berichten. Nach seiner Freilassung dankte die JF den Behörden und Journalisten-Kollegen, die sich lagerübergreifend und diskret für ihren Autor engagiert hatten. Auch die russische Politik hatte interveniert, deren Haltung in Syrien von der JF geteilt wurde.
Für Venezuela versuchte die Zeitung, die Kampagne nachzuahmen, die 2018 zur Freilassung des »Welt«-Journalisten Deniz Yücel aus türkischer Haft geführt hat. Yücel wurde, anders als Six, als offiziell akkreditierter Korrespondent einer großen Tageszeitung zur Staatsgeisel gemacht. Das Milieu, in dem Six nun gefeiert wird, verweigerte ihm damals allerdings die Solidarität. Alice Weidel sprach ihm gar ab, »Deutscher« und »Journalist« zu sein. Ungeachtet der damaligen Pöbeleien hat sich Yücel öffentlich für die Freilassung von Six stark gemacht.
Solidarität könnte übrigens auch die iranische Juristin Nasrin Soduteh brauchen, die für ihre Menschenrechtsarbeit im Iran wiederholt verurteilt wurde. Aber so etwas gilt in dieser Szene als Sache der Gutmenschen, die»Sezession« bemüht lieber einen Internationalismus anderer Art. Alireza Mousavi, ein iranischer Carl-Schmitt-Exeget, durfte dort aus Anlass ihres 40. Jahrestages die Iranische Revolution als Garant der Souveränität lobpreisen. Er sieht sie als schiitische Modernisierung, die einen Nationalstaat politisch ermöglichte und den Iran von westlichen Einflüssen freihielt. Bereits in seiner Dissertation hatte Mousavi Schmitt als Vorläufer der Globalisierungsgegner interpretiert. Die nun von ihm betonten Effekte von Nationalisierung und Souveränität liegen ganz auf der ethnopluralistischen Linie der Neuen Rechten.
In diese passt sich nun auch der Identitäre Brenton T. ein. Er habe nichts gegen den Islam, schreibt T., der in Neuseeland angeklagt wird, ein Massaker unter Muslimen angerichtet zu haben. Die Muslime sollten nur an ihren Orten bleiben und den Weißen ihre lassen. Seinen Massenmord an fünfzig Moscheebesuchern streamte er live, in der Hoffnung, eine große Öffentlichkeit zu erreichen. Diese erfüllte ihm der türkische Präsident Erdogan umgehend, der das Video auf einer Wahlkampfveranstaltung vor Tausenden Menschen zeigte, um wiederum Muslime aufzuhetzen. Nationale Bildungsbürger, Islamisten, Faschisten, sie rücken alle näher zusammen, um das »Eigene« zu bewahren. Eine illustre Runde, aber mitunter mörderisch.
geändert am 21.03.2019