In Kroatien sind Antifaschisten in der Minderheit

Grüße von der Antifa

Nationalismus und Geschichtsrevisionismus gehören in Kroatien mittlerweile zum Mainstream. Die Feindbilder der Rechten sind Serben, Geflüchtete, Homosexuelle, Roma und Linke. Doch es gibt auch Gegenwehr.
Reportage Von

39 Jahre nach seinem Tod kämpft Genosse Josip Broz Tito weiter gegen den Faschismus. Der Marschall blickt ­einem dabei streng in die Augen, als wolle er betonen, dieser Kampf sei noch lange nicht gewonnen. Diesen Eindruck vermittelt die Büste, die im Konferenzraum des »Rats der Antifaschistischen Kämpfer und Antifaschisten« in Zagreb steht. Den Raum nutzen Partisanen, die noch unter Tito ­gekämpft haben, aber auch deutlich jüngere Antifas.

Eine von ihnen ist die 27jährige Historikerin Anja Grgurinović. Sie schaut auf die Büste und sagt: »Diese Persönlichkeit hat dabei geholfen, uns vom Faschismus zu befreien. Leider finden das in Kroatien nicht alle gut.« Grguri­nović schreibt Texte und organisiert mit anderen Antifaschistinnen Solipartys und Demonstrationen, darunter das große Fest zur Befreiung vom Faschismus, das immer am Wochenende zum 8. Mai gefeiert wird.

Manchmal laufen sie durch die Stadt und über­malen faschistische Symbole. »Dominant ist das U der Ustascha, es gibt aber auch immer wieder Hakenkreuze und Hassbotschaften gegen Schwule und Lesben«, sagt Grgurinović. Die 1929 von Ante Pavelić gegründete rechts­extreme Terrororganisation Ustascha wurde in den dreißiger Jahren von ­Benito Mussolini unterstützt und errichtete während des Zweiten Weltkriegs als Verbündete Nazideutschlands ein klerikalfaschistisches Regime im heutigen Kroatien, in Bosnien-Herzegowina und Teilen Serbiens.

Auf mehrfache Nachfrage, ob ihr Name anonymisiert werden soll, antwortet Grgurinović entschieden mit nein. Sie sagt: »Die Glorifizierung der Nazikollaborateure der Ustascha ist in Kroatien allgegenwärtig, doch vor körperlichen Übergriffen fürchte ich mich nicht. Es gibt hier noch gewisse Grenzen, die bislang nicht überschritten wurden.« Die jungen Antifaschistinnen und Antifaschisten lassen auch T-Shirts bedrucken. Auf einem T-Shirt ist der jugoslawische Partisan Stjepan Filipović abgebildet, der im Mai 1942 von serbischen Nazikollaborateuren gehängt wurde. Als die Schlinge um seinen Hals gelegt wurde, hob er die Arme in die Höhe und schrie: »Smrt fašizmu, sloboda narodu!« (»Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk«). Das Bild wurde zum Symbol des antifaschistischen ­Widerstands, der Ausspruch zum Motto der jugoslawischen Linken.

1949 wurde Stjepan Filipović zum Volkshelden Jugoslawiens erklärt, doch für viele Kroatinnen und Kroaten ist er das nicht mehr. »Geschichtsrevisionismus wird in Kroatien zum Mainstream. Viele Veteranenverbände aus dem Kroatien-Krieg der neunziger Jahre hängen offen der Ustascha-Ideologie an und werden nicht kritisiert. Auch die katholische Kirche ist sehr mächtig und vertritt meist erzkonservative und revisionistische Ansichten«, sagt Grgurinović.

 

Rechte Hegemonie

Mit dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien ­Anfang der Neunziger übernahmen in Kroatien die Rechten die Macht. Das Land erklärte sich für unabhängig und viele sehnten sich nach einer neuen nationalen Identität und einer glorreichen Geschichte. Die meinte man beim sogenannten Unabhängigen Staat Kroatien zur Zeit des Zweiten Weltkriegs zu finden, einem Satellitenstaat Nazideutschlands, den die Ustascha unter Pavelić regierte. Hunderttausende Juden, Serben, Roma und Oppositionelle wurden von dem Regime ermordet.

Knapp 50 Jahre später formierten sich im Kroatien-Krieg die rechtsextremen paramilitärischen HOS-Milizen, die positiv auf die Ustascha Bezug nahmen, deren Uniformen kopierten und deren Gruß »Za dom spremni« (»Für die Heimat bereit«) übernahmen – das kroatische Pendant zu »Sieg Heil«. Die »Verteidiger des Vaterlands« wurden zu Helden stilisiert, deren faschistische Symbole bis weit in die Mitte der kroatischen Gesellschaft ­akzeptiert sind.

Nach wie vor gelten die Veteranen vielen in Kroatien als Helden, die nicht kritisiert werden dürfen. So wird in Kroatien einiges hingenommen, das in anderen Teilen Europas als rechtsextrem eingestuft würde.

Dabei nennt die kroatische Verfassung den Antifaschismus als eines der Fundamente des Staates und man kann im Stadtbild Zagrebs Statuen und Denkmäler sehen, die an den Partisanenkampf erinnern. Diese werden allerdings oft mit rechten Symbolen und Parolen beschmiert. Im November ­versuchte ein Mann in der Hafenstadt Split, das Monument für den antifaschistischen Partisanen Rade Končar, der 1942 von der italienischen Geheimpolizei ermordet wurde, umzuwerfen. Beim Umfallen brach die Büste dem Mann ein Bein.

Die Erinnerungspolitik in Kroatien hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten radikal verändert. Der Kampf gegen die Ustascha und die Nazis nimmt immer weniger Platz im öffentlichen Raum ein. Dafür werden der Ustascha Denkmäler gebaut. Unweit des ehemaligen Konzentrationslagers Jasenovac, in dem die Ustascha über 80 000 Juden, Serben, Roma und Oppositionelle ermordete, wurde eine Gedenktafel mit dem Ustaschagruß angebracht. Nach Protesten wurde sie wieder entfernt. Der zentrale Tito-Platz in Zagreb wurde 2017 in »Platz der Republik Kroatien« umbenannt. An die Stelle von Tito trat in der Erinnerungspolitik ein anderer Mann, der nun als großer Kroate verehrt wird: Kroatiens Kriegspräsident Franjo Tuđman, der sich nur deswegen nicht vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten musste, weil er vorher verstarb.

 

Linker Journalismus in Gefahr

Im Zentrum Zagrebs hat sich eine Gruppe Männer chic gemacht und will nun öffentlich Zeitungen verbrennen. Ihr Anführer ist Dražen Keleminec. Er trägt Jeans, Hemd, Sakko und eine markante Brille. Der 54jährige ist der Vorsitzende der rechtsextremen Autochthonen Kroatischen Partei der Rechten (A-HSP) und organisiert Demonstrationen, bei denen faschistische Parolen und Slogans wie »Tod den Serben« gegrölt werden. Vor der Redaktion der Wochenzeitung Novosti zieht Keleminec ein Feuerzeug aus seinem Sakko und setzt ein Blatt mit der Titelseite in Brand. Seine Fans applaudieren. An ihrer Kleidung tragen sie Verzierungen mit dem Ustaschagruß und Abzeichen der HOS-Milizen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Männer Zeitungen verbrennen. Beim ersten Mal zündete Keleminec noch eine Originalausgabe an, inzwischen fackelt er eine ausgedruckte Kopie des Titelblatts ab, um nicht noch die Auflage der Zeitung zu steigern. Es ist kein ­Zufall, dass sich der Mob die Novosti ausgesucht hat: Die Wochenzeitung wird vom Nationalrat der serbischen Minderheit in Kroatien herausgegeben und gilt als links. Die großen Feindbilder der kroatischen Rechten sind Serben und Linke. Keleminec hält eine Rede, während er das brennende Titelblatt in die Luft streckt. Die Journalistinnen und Journalisten der Zeitung nennt er Terroristen. Er gibt ihnen die Schuld an den verheerenden Waldbränden, die wegen der Trockenheit im Sommer 2017 weite Teile der Adria­küste verwüsteten.

Die Redaktion der Novosti schaut dem Treiben der Rechten von ihren Büros aus zu. An den Wänden hängen auch hier mehrere Bilder des ehemaligen ­jugoslawischen Staatschefs Tito und Porträts von bekannten Serben aus Kroatien. Obwohl draußen Männer stehen, die ihnen lauthals den Tod wünschen, bleiben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelassen. »Kein Grund zur Panik, wir sind das schon gewohnt«, sagt die Journalistin Ana Brakus.

»Als ­Organ der serbischen Minderheit werden wir von den kroatischen Nationa­listen als Erzfeind angesehen«, sagt ihr Kollege Hrvoje Šimičević, »sie hassen uns aber auch, weil wir eine linke, antifaschistische Zeitung machen. Für die kroatischen Nationalisten ist ›Antifaschist‹ ein Schimpfwort.« Der 34jährige gehört selbst nicht zur serbischen Minderheit, er ist Kroate. »Für die Nationalisten bin ich ein Verräter«, sagt Šimičević. »Das ist die einzige Gruppe, die sie noch mehr hassen als die Serben.« Der Hass auf Novosti werde nicht nur von offen Rechtsextremen, sondern auch von der kroatischen Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović und der mächtigen katholischen Kirche geschürt, so Šimičević. »Die Frage ist, wie lange diese Leute vor unserer Redaktion stehen und nur Papier verbrennen. Und wann sie anfangen, uns physisch anzugreifen.«

Grabar-Kitarović wurde 2015 mit einer knappen Mehrheit zur kroatischen Präsidentin gewählt. Die entscheidenden Stimmen erhielt sie von der extremen Rechten, bei der sie sich seither einschmeichelt. Sie zweifelt öffentlich die offizielle Zahl der Opfer an, die in den kroatischen Konzentrationslagern getötet wurden, und besuchte in Argentinien Ustascha-Kollaborateure, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg ihrer Strafe entzogen hatten. Als im November 2017 der Kriegsverbrecher Slobodan Praljak im Gerichtssaal in Den Haag ­einen Giftcocktail trank, um per Selbstmord einer Haftstrafe zu entgehen, stellte sich die Präsidentin auf die Seite derjenigen Kroatinnen und Kroaten, die Praljak als Helden verehren. »Das kroatische Volk wurde tief in seinem Herzen getroffen«, ließ sie verlauten.

Die Zeitung Novosti ist bekannt für ihre investigativen Recherchen. So veröffentlichte sie etwa Fotos des ehe­maligen Kulturministers Zlatko Hasan­be­gović, die ihn in einer an die Ustascha erinnernden Uniform zeigten. In einer anderen Recherche entlarvten sie die Lügen im Film »Jasenovac – Die Wahrheit«, in dem behauptet wird, es habe sich beim Konzentrationslager Jasenovac lediglich um ein Arbeitslager ­gehandelt (Jungle World 19/2016). Obwohl die Journalistinnen und Journalisten dem Regisseur Jakov Sedlar Dutzende bewusste Fälschungen nach­weisen konnten, erhielt er 2017 den mit rund 4 000 Euro dotierten »Preis der Stadt Zagreb«. »In manchen Ländern wird man strafrechtlich verfolgt, wenn man den Holocaust relativiert. In Kroatien bekommt man dafür einen Preis«, sagt Šimičević. Novosti sei auch deswegen so verhasst, weil sie die rechts­extreme und geschichtsrevisionistische Grundlage des kroatischen Identitätskonstrukts benennt.

 

Antifaschismus am Ball

Auch der Fußball ist Teil dieser National­identität und wird von den Rechten vereinnahmt. Als die Nationalmannschaft nach dem verlorenen Welt­meisterschaftsfinale 2018 gegen Frankreich nach Zagreb zurückkehrte, fuhr auf Wunsch von Luka Modrić, der 2018 zum Weltfußballer des Jahres gekürt wurde, der Sänger Marko Perković mit, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Thompson – das Idol der kroatischen Rechten. Seinen Künstlernamen entlehnte er dem Gewehr, das er im Kroatien-Krieg verwendet hatte. Thompson beginnt seine Konzerte schon ­einmal mit dem Ustaschagruß, auf der Bühne singt er Lieder, in denen die ­Opfer des Konzentrationslagers Jasenovac verhöhnt werden. In mehreren Ländern Europas hat er ein Auftrittsverbot. Doch in Kroatien ist Thompson nicht nur akzeptiert – er ist der beliebteste Musiker des Landes.

»Der Fußball in Kroatien gehört den Rechten, und wir sind die einzige ­Ausnahme«, sagt Robi vom Fußballclub NK Zagreb 041. Er ist Anfang 30 und trägt kurzrasierte Haare. Sein richtiger Name soll nicht in der Zeitung stehen, denn anders als Grgurinović fürchtet er, bedroht zu werden. Sein Nachname deutet auf seine jüdische Herkunft hin und Angehörige seiner Familie wurden von den Ustascha in Jasenovac ermordet. Als Kind war Robi bei den Spielen von Dinamo Zagreb. Die Dina­mo-Ultras, die Bad Blue Boys, galten im Jugoslawien der achtziger Jahre als Avantgarde des völkischen kroatischen Nationalismus. Ihre Vorstellungen prägten praktisch die gesamte kroatische Fanszene – bis heute sind faschistische Parolen und Grüße weitverbreitet. Der kroatische Fußballverband unternimmt wenig dagegen. Der Verbandspräsident Davor Šuker selbst hat dem faschistischen Führer Pavelić an dessen Grab die Ehre erwiesen.

Dennoch gibt es in Kroatien eine linke Fankurve, jene des Fußballvereins NK Zagreb, der jahrelang in der höchsten kroatischen Liga mitspielte, zuletzt aber in die dritthöchste Spielklasse abstieg. Jahrelang war Robi Fan des NK Zagreb und 2014 gründete er gemeinsam mit Freunden, unter denen sich auch Geflüchtete befinden, einen eigenen Verein, NK Zagreb 041. 041 war die Vorwahl Zagrebs zu Zeiten Jugoslawiens. Der Verein ist basisdemokratisch organisiert, es gibt keinen Präsidenten und keine Hierarchien.

Das Auswärtsspiel gegen Mala Mlaka, ganz am südlichen Rand Zagrebs, findet bei Regenwetter statt. Der Fußballplatz des Gastgebers ist heruntergekommen. Ein Pfosten des einen Tors steht schief. Auf einem Holztisch am Spielfeldrand sind ein Hakenkreuz und das Symbol der Ustascha eingraviert. Die Stimmung ist angespannt, beim letzten Aufeinandertreffen der beiden Teams hatten die Fans von Mala Mlaka ein Banner gezeigt, auf dem »Refugees not welcome« stand. Es richtete sich nicht nur gegen Geflüchtete in Kroatien im Allgemeinen, sondern auch gegen Spieler bei NK Zagreb 041.

Einer von ihnen ist Puria Javidi im Trikot mit der Nummer elf. Das Spiel wird angepfiffen. Javidi spielt im Mittelfeld, seine Aufgabe ist es, Tore vor­zubereiten. Vor drei Jahren verließ der 24jährige mit seiner Frau Samira den Iran und gelangte bis Traiskirchen in Niederösterreich. Wegen des Dublin-Abkommens musste das Paar nach einem Jahr zurück ins erste EU-Land, in dem es registriert worden war, nach Kroatien. Beide erhielten Asyl und zogen in eine kleine Wohnung im Westen von Zagreb. Von einem Freund erfuhr Javidi von NK Zagreb 041, von einem Club, der anders sei als alle anderen, offen für Geflüchtete.

Dass Javidi anfangs kein Kroatisch sprach, spielte keine Rolle. Fußball ist eine universelle Sprache. »Ich habe mich sofort wohlgefühlt«, sagt er. »Ich trainiere dreimal die Woche im Verein und habe da meine besten Freunde.« Jetzt steht er in Mala Mlaka einer Mannschaft gegenüber, deren Fans keine Geflüch­teten mögen. Trotzdem sagt er: »Ich mag die Kroaten. Sie sind keine Rassisten.«

Auf dem Platz wird viel geflucht und auf den Boden gespuckt. Die Spieler von NK Zagreb 041 beleidigen dabei politisch korrekter als jene des anderen Teams, sie benutzen etwa keine homophoben Schimpfwörter. Das Spiel endet 4:3 für Mala Mlaka. Robi und Javidi sind enttäuscht, sie wollen dieses Jahr endlich aufsteigen, nachdem es im Jahr zuvor nur für den dritten Tabellenplatz gereicht hatte. Robi sagt: »Die Schimpfwörter stören mich nicht. Schwuler, Serbe, Kommunist – für mich sind das keine Beleidigungen.«.