Der Film »Jean Améry – Die Tortur«

Nicht mehr heimisch in der Welt

Der Essay »Die Tortur«, in dem Jean Améry 1966 darüber schrieb, wie ihn die Nazis folterten, ist die Grundlage für Dieter Reifarths gleichnamigen Film, der versucht, das Unvorstellbare zu bebildern.

»Wer das Kunstspiel mit Peitsche und Folter treibt, hat zur Wirklichkeit der Tortur zu schweigen« schrieb Jean Améry 1971 in der Zeitschrift Merkur mit Blick auf den Film »L’ Eden et ­après« (1970) von Alain Robbe-Grillet. Améry stieß vor allem die Sexualisierung der gezeigten Folterszenen durch den französischen Avantgardefilmer auf, wie auch grundsätzlich die Diskrepanz zwischen der außerkünstlerischen Realität der Folter und ihrer artifiziellen Darstellung. Positiv hat Améry dagegen den Umgang des deutschen Regisseurs und Schriftstellers Horst Bienek mit diesem Thema im Film »Die Zelle« bewertet, mit dem er sich im Jahr darauf im Merkur auseinandersetzte. »Vom Augenblick an«, schreibt Améry dort, »in dem die Tore des Gefängnisses dröhnend hinter dem Arrestanten zufallen, denkt, handelt, verfügt eine rätselhafte Macht.« Weil Bienek die Räume, die Mauern, Gitter und Wände in den Mittelpunkt rücke, gelinge es ihm, die »Befindlichkeit der Gefangenschaft« mit solcher Dichte und Eindringlichkeit zu reproduzieren, dass der Film schließlich generell »die metaphysische Frage nach der Freiheit des Menschen« stelle.

»Die Tortur« ist Amérys intensivste Annäherung an diese biographische Erfahrung und schließt thematisch unmittelbar an den Eröffnungstext von »Jenseits von Schuld und Sühne« an. In diesem, »An den Grenzen des Geistes« betitelten Essay, hat er seine Zeit als Häftling in Auschwitz reflektiert, seine Situation als Intellektueller im KZ.

Ob überhaupt angemessene Bilder für die Folter und die Tortur gefunden werden können, seien es literarische Bilder oder Filmbilder, hat Améry zeit seines Lebens beschäftigt. Während in dem Fragment geblie­benen Text »Die Festung Derloven« von 1945 sein Alter Ego Eugen Althager noch um Worte für das Erlebte ringt, und beispielsweise das Geräusch der während der Folter aus den Gelenkkugeln springenden Arme mit einem bei »unzureichendem Funktionieren der Kupplung ­eines geschalteten Automobils« vergleicht, erklärt Améry 20 Jahre spä­ter im Essay »Die Tortur«: »Es wäre ohne alle Vernunft, hier die mir zu­gefügten Schmerzen beschreiben zu wollen. War es ›wie ein glühendes ­Eisen in meinen Schultern‹, und war dieses ›wie ein mir in den Hinterkopf gestoßener stumpfer Holzpfahl‹? – ein Vergleichsbild würde nur für das andere stehen, und am Ende wä­ren wir reihum genasführt im hoffnungsvollen Karussell der Gleichnis­rede.«

Am 23. Juli 1943 war der jüdische Kommunist Hans Mayer, wie Améry damals noch hieß, in Brüssel von der Gestapo verhaftet worden. »Wir stellten ziemlich primitives Agita­tionsmaterial her, von dem wir uns einbildeten, es könne die deutschen Soldaten vom grausamen Wahnwitz Hitlers und seines Krieges überzeugen«, erinnerte er sich 20 Jahre später in »Jenseits von Schuld und Sühne«. »Heute weiß ich oder glaube zumindest, ich wisse, dass wir unser dürf­tiges Wort an taube Ohren richteten.« Der 1912 in Wien geborene Améry war nach dem Anschluss Österreichs an Nazideutschland nach Belgien geflohen und hatte sich nach dem dortigen Einmarsch der Deutschen und einer kurzzeitigen Inhaftierung im französischen Internierungslager Gurs der kommunistischen Widerstandsgruppe »Österreichische ­Freiheitsfront« angeschlossen. Von Brüssel aus wurde er nach seiner Verhaftung in die Festung Breendonk überführt, wo er bis zum 2. November des Jahres inhaftiert blieb. »Dort geschah es mir: Die Tortur«, heißt es in »Jenseits von Schuld und Sühne«. Der Text »Die Tortur« ist ein Bestandteil der aus insgesamt sechs Essays kompilierten autobiographischen Annäherung Amérys an den »Zwang und die Unmöglichkeit, Jude zu sein«. Die Folter, der er in Breendonk ausgesetzt war, ließ ihn Zeit seines Lebens nicht mehr los, in den »Bewältigungsversuchen eines Überwältigten«, wie der Untertitel des Buches lautet, hält er fest: »Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in dieser Welt.«

»Die Tortur« ist Amérys intensivste Annäherung an diese biographische Erfahrung und schließt thematisch unmittelbar an den Eröffnungstext von »Jenseits von Schuld und Sühne« an. In diesem, »An den Grenzen des Geistes« betitelten Essay, hat er seine Zeit als Häftling in Auschwitz reflektiert, seine Situation als Intellektueller im KZ. So beschreibt er darin den gescheiterten Versuch, sich in Auschwitz über ein Hölderlin-Gedicht zu vergewissern, dass noch eine Verbindung zu seinem bisherigen Leben bestehe: »Das Gedicht transzendierte die Wirklichkeit nicht mehr. Da stand es und war nur noch sachliche Aussage: so und so, und der Kapo brüllte ›links‹, und die Suppe war dünn, und im Winde klirren die Fahnen.« Die sechs Essays des Bandes waren ursprünglich für das Radio konzipiert worden, in Auftrag gegeben von Helmut Heißenbüttel, der damals als Redakteur beim Süddeutschen Rundfunk arbeitete. »Die Tortur« wurde am 3. Mai 1965 ausgestrahlt, eingelesen von Améry selbst. Heißenbüttel hatte ihn darum gebeten: »Das, was die Qualität Ihrer Arbeit ausmacht, die unmittelbare Verschränkung von persönlicher Erfahrung und objektiver Analyse, kann, so denke ich, nur der einem Zuhörer nahebringen, der diese Dinge erlebt und geschrieben hat.«