In Libyen kämpfen Milizen um die Kontrolle der Stadt Tripolis und ihre Anteile an staatlichen Einnahmen

Terror in Tripolis

In der libyschen Hauptstadt hat ein brüchiger Waffenstillstand die schwersten Auseinandersetzungen seit 2011 vorläufig beendet. Die Zukunft der UN-gestützten Einheitsregierung steht in den Sternen.

Eine von den Vereinten Nationen vermittelte Waffenruhe war erst seit kurzem in Kraft, da kam es erneut zu einem bewaffneten Angriff in der libyschen Hauptstadt Tripolis. Am Montag stürmten Bewaffnete den Sitz der National Oil Corporation (NOC), einem Kommuniqué der NOC zufolge wurden mindestens zwei Angestellte des Unternehmens getötet und zehn weitere verletzt. »Mehrere Explosionen haben im Innern des Gebäudes stattgefunden, ebenso heftige Feuerstöße«, hieß es darin. In einer Presseerklärung rechnete der Sicherheitschef von Tripolis, Salah al-Semoui, den Angriff dem sogenannten Islamischen Staat zu, ohne weitere Details anzugeben. Zu der Attacke hat sich bis Redaktionsschluss keine Gruppe bekannt.

Die UN-Unterstützungsmission in ­Libyen (UNSMIL) verurteilte »die feige und terroristische Attacke« und rief die Libyer dazu auf, »auf nutzlose sekundäre Konflikte zu verzichten und sich, in Partnerschaft mit der internationalen Gemeinschaft, zu vereinen, um die ­Plage des Terrorismus überall im Land auszumerzen«.

Mit den »nutzlosen sekundären Konflikten« bezog sich die UNSMIL auf die Kämpfe in und nahe Tripolis, die zwischen dem 27. August und dem 4. September mindestens 63 Menschenleben und 159 Verletzte gefordert haben. Es waren die schwersten Kämpfe in der Region seit dem Beginn des Aufstands gegen das despotische Staatsoberhaupt Muammar al-Gaddafi im Februar 2011. Am 27. August hatte die Siebte Brigade, eine Miliz aus Tarhouna, 65 Kilometer südöstlich von Tripolis, einen Über­raschungsangriff auf rivalisierende Milizen in der Hauptstadt begonnen. ­»Tri­polis von korrupten Milizen zu säubern«, war das erklärte Ziel der Siebten Brigade, da diese Milizen »ihren Einfluss nutzen, um Millionen Dollar schwere Bankkredite zu erhalten, während normale Leute vor den Banken schlafen, um ein paar Dinar zu bekommen«. Unterstützt unter anderem von Kämpfern aus Misrata, Tajura und Zintan wirft die Siebte Brigade vier Milizen in Tripolis vor, die Macht zu usurpieren.

Der Angriff dieser losen Allianz aus Milizen, die sich marginalisiert sehen, war seit Monaten in Vorbereitung und konnte mehrmals nur knapp durch UN-gesponserte Verhandlungen verhindert werden. Er spiegelt die ver­fahrene politische Situation, in die sich die UN-gestützte Einheitsregierung gebracht hat, die seit März 2016 in Tripolis ansässig ist und, da sie über ­keine eigene bewaffnete Macht verfügte, sich auf Milizen stützte, die sie in staatliche Strukturen überführen wollte. Daraus wurde nichts. Bereits im April beschrieb Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik, wie vier Milizen mit stillschweigender Unterstützung der UNSMIL rivalisierende Milizen in Tripolis ausschalten und sich einen immer größeren Einfluss auf das Bankensystem und die ­Regierung verschaffen konnten, bis sie ein »Milizenoligopol« in der Hauptstadt schufen und sich zu Mafias entwickelten. Mittlerweile, so Lacher in ­einem Interview mit dem Deutschlandfunk vor einigen Tagen, sei die Einheitsregierung Konfliktpartei und »völlig unter Kontrolle dieser vier Milizen«. Diese hätten sich den Löwenanteil an den staatlichen Mitteln gesichert, was im Rest des Landes für Empörung sorge.

Erschwert wird die politische Entwicklung dadurch, dass das Land in unterschiedliche Einflusssphären aufgeteilt ist. Im Nordosten existiert eine Parallelregierung, das Repräsentantenhaus, das den General Khalifa Haftar als Befehlshaber der dortigen Streitkräfte eingesetzt hat. Haftar präsentiert sich als antiislamistisch und wird von Russland, Ägypten und den Vereinten ­Arabischen Emiraten unterstützt. An ihm kommt man nicht vorbei, will man die politische Situation in Libyen stabilisieren. Im Rest des Landes agieren lokale Milizen.

Die Kämpfe in Tripolis wurden am 4. September durch einen Waffenstillstand beendet, doch dieser ist äußerst fragil. Als Kollateralschaden des Konflikts gelten die für den 10. Dezember geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Um sich außenpolitisch zu profilieren, veranstaltete der französische Präsident Emmanuel Macron im Mai in Paris ein Gipfeltreffen mit Fayez al-Sarraj, dem Ministerpräsidenten der Einheitsregierung, General Haftar und anderen libyschen Vertretern vermittelt, die diesem Wahltermin zugestimmt hatten. Macrons Initiative wurde insbesondere in Italien, der ehemaligen Kolonialmacht Libyens, mit Misstrauen beäugt. Am Montag twitterte Matteo Salvini, der rechte Innenminister und stellvertretende ­Ministerpräsident Italiens, mit Blick auf Frankreich: »Meine Befürchtung ­­ist, dass jemand aus ökonomischen Motiven und selbstsüchtigen nationalen Interessen die Stabilität Nordafrikas und damit auch Europas in Gefahr bringt.«