Über den Geldgeber von 1860 München

Hipster-Häme

Der Geldgeber von 1860 München bringt die »Bild«-Zeitung und den FC St. Pauli gleichermaßen gegen sich auf – mit Methoden, die es allerdings auch in anderen Clubs gibt.

Hasan Ismaik kann auch Herz zeigen. »Einmal Löwe, immer Löwe«, damit unterschreibt der jordanische Milliardär und Investor beim Fußball-Zweitligisten 1860 München seine Facebook-Posts. Soll keiner sagen, er kann das nicht, das mit den Gefühlen und so. »Liebe Löwen«, schreibt er, und »euer Hasan Ismaik«, und viel von Zusammenhalt und Stärke und Stolz. Tugenden eben, wie sie dem Löwen zugeschrieben werden, dem Wappentier des Vereins.
Wenn da nur nicht all die Reibereien und das Chaos wären, die mittlerweile die Fußballrepublik mit Tratsch beliefern. Hast du gehört, was der Ismaik schon wieder … ? Ja, klar. Aber Ismaik schreibt darüber hinweg. Natürlich schreibt er das nicht selbst, denn der sehr rege Facebook-Account wird, im Gegensatz zur Trump’schen Twitter-Daueroper, vom Pressebüro Ismaiks geführt. Trotzdem bietet die Seite des 1860-Investors vielleicht die konkretesten Einblicke in das Gefühlsleben des autoritär agierenden Milliardärs. Und indirekt in das zerrüttete Innenleben der »Sechzger«.
1860, derzeit Zweitligist im Abstiegskampf, produzierte immer schon traurige Gossip-Nachrichten. Der kleine, hässliche Cousin des glitzernden FC Bayern München, der gern auch groß sein wollte, aber jedes Mal über die eigenen Füße stolperte, über innere Machtkämpfe, drohende Insolvenzen, Selbstüberschätzung, sportliche Pleiten. Und dann von den Bayern verbal eins auf den Deckel bekam. Sportlich sowieso.
Seit dem Wochenende stehen die Löwen und ihr Investor nun in zwei Angelegenheiten auch bundesweit in den Nachrichten: Beim Spiel gegen St. Pauli hat Ismaik Aufsichtsratsmitglieder des Gastvereins auf der Tribüne nach Angaben von St. Pauli dazu drängen lassen, die Plätze zu wechseln, weil sie für seinen Geschmack zu laut jubelten. Oder zu fröhlich, oder so.
Und einer Bild-Reporterin wurde vor dem Spiel die Akkreditierung verweigert, weil sie ein paar Mal zu oft über den Fall Karim Matmour berichtet hatte, den 1860 unauffällig in die zweite Mannschaft abschieben wollte.
Das ist nur die Spitze einer langen Reihe von Maulkörben und Aussperrversuchen des Vereins gegen kritische Presse. Im November hatte 1860 einen Medienboykott und obendrauf noch ein Hausverbot für Journalisten verhängt, weil die nicht so nett schrieben. Ismaik witterte auf Facebook eine große Verschwörung: »Ich werde diesen charakterlosen Menschen nie mehr ein Interview geben. Es ist ein dreckiges Spiel zwischen Medien und Hintermännern, das ich längst durchschaut habe.« Ein Gebaren, das man sonst eher von autokratischen Scheichs in der englischen Provinz oder semi-mafiösen Vereins­paten in weit entfernten Balkan-Staaten kennt. Selbst für einen an Chaos gewöhnten Verein wie 1860 ist das abenteuerlich. Die Häme des FC Bayern folgte auf dem Fuß. Dessen Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge sagte, die Ereignisse bei 1860 nehme er »mit einem großen Schmunzeln« zur Kenntnis. Also alles wie immer bei den Löwen, eigentlich. Nur diesmal in viel, viel größer. Weil es eine ideologische Diskussion geworden ist. Weil dieser Investor dabei ist. Hasan Ismaik.
Ismaik, ein in Kuwait geborener Geschäftsmann mit jordanischem Pass und schwammigem Lebenslauf, bewahrte die Sechziger 2011 mit einer Investition von 18 Millionen Euro vor der Insolvenz. Das war der Anfang der Abhängigkeit, die immer weiter wuchs. Über Ismaik wusste man nicht allzu viel: Der Bild-Zeitung erzählte er, er sei mit Immobilien und Öl reich geworden, und außerdem, dass 70 Prozent der arabischen Machthaber seine Freunde seien. Überprüfen konnte das niemand. Aber weil man das Geld brauchte und er es brachte, interessierten die Hintergründe im Verein nur eine Minderheit. Und mit der Zeit und mit den immer neuen Darlehen wurde es immer schwieriger, Ismaik zu widersprechen.
Die Personalbilanz der sechs Ismaik-Jahre bei 1860 ist unübersichtlich. Das Hamburger Abendblatt zählte elf Trainer, sechs Geschäftsführer, fünf Sportdirektoren und fünf Präsidenten; die Deutsche Presseagentur zählte 13 Trainer, sechs Präsidien und sechs Sportchefs. Es kann sich ja auch schnell wieder ändern. »Zuerst müssen wir den Verein von den Personen säubern, die gegen ihn arbeiten«, sagte Ismaik vor etwa einem Jahr. Das hatte schon einen erdoğanesken Beiklang. Trotz der formalen Einhaltung der 50+1-Regel, wonach ein Investor höchsten 49 Prozent eines Clubs übernehmen darf, ist ziemlich klar, wer das Sagen hat: 60 Millionen soll Ismaik bis heute investiert haben; seine beiden Brüder sitzen mit ihm im fünfköpfigen Aufsichtsrat, wo sie zusammen eine Mehrheit über zwei Vereinsvertreter haben. Im Beirat sitzt mit TSV-Präsident Peter Cassalette nur ein Vereinsvertreter, die anderen beiden Beiräte sind, Überraschung, Ismaik und sein Bruder Yahya. Eine Farce, die von der DFL geduldet wurde und wird.
Vielleicht sorgt sich Ismaik wirklich um 1860 München. Vielleicht will er einfach wieder einen erfolgreichen Club daraus machen. Nur ist er, das muss man nach sechs Jahren mal so sagen, darin offensichtlich nicht besonders gut. Der versprochene Bundesligaaufstieg ist so weit weg wie eh und je, die Stimmung miserabel.
Die Fanszene ist zutiefst gespalten über den Investor: Ein Teil hält ihn nach wie vor für den großen Retter (er hat Geld, er wird schon wissen, was er macht), der andere für den Teufel der Fußballkommerzialisierung. Ein Fanprojekt-Mitarbeiter erzählte jüngst der Süddeutschen Zeitung, noch nie sei die Anhängerschaft von 1860 derart zerstritten gewesen. Die beiden einflussreichen Gruppen »Cosa Nostra« und »Giasinga Buam« lösten sich vergangenen Sommer aus Protest gegen Ismaiks Vereinspolitik auf. Bei Heimspielen herrschte Stimmungsboykott. Einer anderen Gruppe soll verboten worden sein, eine Zaunfahne aufzuhängen.
Ismaik wirbt auf seiner Facebook-Seite kräftig für Versöhnung. »Um unseren Verein wieder stark zu machen und vor den vielen 1860-Ba­shern zu schützen, brauchen wir auch unsere Fans und Sympathisanten«, heißt es in einem der neusten Posts. Er wünsche sich, dass die Ultras in ihren Block zurückkehren. Die 1860-Basher, wie Ismaik sie nennt, kommen nach den letzten Vorkommnissen nicht mehr nur aus München. Der FC St. Pauli urteilte auf der eigenen Homepage harsch über das Vorgehen am Wochenende: »Das Verhalten der Löwen-Verantwortlichen der letzten Wochen sollte auch dem letzten Fußballfan in Deutschland die Augen geöffnet haben und all denen, die nach Investoren schreien, Mahnung und Warnung zugleich sein.«
Mit dem FC St. Pauli und der Bild-Zeitung hat Hasan Ismaik zwei mächtige Stimmen gegen sich aufgebracht. Die Bild-Zeitung bezeichnete Ismaik als »Wüstling« und sieht sich als Speerspitze der Pressefreiheit; St. Pauli lässt die eigene Marketingmaschine laufen und erzählt die große ideologische Geschichte über die Gefahren von Investoren.
Dass es so einfach nicht ist, zeigen Beispiele anderer Bundesligavereine, die es sich ebenfalls zur Gewohnheit gemacht haben, unliebsame Journalisten auszusperren oder unter fadenscheinigen Begründungen Akkreditierungen zu streichen. An einem Sehnsuchtsort für Fußballromantiker wie dem Vereinsgelände des 1. FC Union Berlin wurde ein Journalist der Berliner Zeitung gemobbt, nachdem er kritisch über Präsident Dirk Zingler berichtet hatte; letztlich wurde er ganz aus der Berichterstattung abgezogen. Dass auf Pressekonferenzen seine Fragen nicht mehr beantwortet wurden, genoss die volle Unterstützung eines Großteils der Fanszene.
Immerhin: Es hätte innerhalb des Vereins Möglichkeiten gegeben, einzugreifen. Bei Ismaik gibt es die eher nicht. Und der Verein 1860, der in den vergangenen Jahrzehnten vor allem Belustigung und Mitleid für seine Irrungen und Wirrungen erntete, bekommt in diesen Tagen eine Emotion zu spüren, die es lange Zeit nicht mal mehr von Bayern-Fans gab: Häme. Selbst schuld, wenn ihr euch einen Scheich an Bord holt, sagen die Fußball-Hipster. Das habt ihr jetzt davon. Sie gefällt ihnen, diese Fabel vom Misserfolg trotz all der Millionen, von den diktatorischen Zuständen, den Streitereien. Sie passt gut ins Weltbild, besser als ein Leicester oder Liverpool. 1860 ist jetzt unfreiwilliger Hauptakteur eines großen Schauspiels: Erst vor die Wand gefahren und dann öffentlich zerlegt.
Na, was hat er diesmal Beklopptes vorgeschlagen, der Ismaik? Er will ein eigenes Stadion bauen, hat aber keine Ahnung, wie das finanziert werden soll? Er verkündet die Entlassung von zwei Geschäftsführern bei einem Fan-Treffen? Er will einen Käfig mit allen Löwenarten errichten lassen und jeden Löwen nach einem 1860-Spieler benennen? Verrückt. Das Schlimme daran ist, dass er all diese Dinge wirklich getan hat oder zumindest tun wollte. In einer Pressemitteilung schrieb der Verein, also Ismaik, dass man auch an der restriktiven Medienpolitik festhalten werde.
So schnell werden sie ihn wahrscheinlich nicht los, den Investor. »Ich verspreche Euch allen, dass ich alles dafür tun werde, damit sich der sportliche Erfolg bei 1860 wieder einstellt«, schreibt er im letzten Posting. Noch hat er die Lust nicht verloren. Einmal Löwe, immer Löwe. Sagt euer Hasan.