Ein Plätzchen für die Suchmaschine
»Google Stay Home« ist auf einem Transparent zu lesen, das an einem Hausprojekt in Berlin-Kreuzberg hängt. Im selben Häuserblock möchte der amerikanische IT-Konzern am Ende des Jahres einen weiteren »Google-Campus« eröffnen. Dieser soll im Umspannwerk Kreuzberg entstehen. Das denkmalgeschützte Gebäude stand in den neunziger Jahren leer, alternative Technopartys fanden dort gelegentlich statt. Nach einer umfassenden Sanierung dient es seit längerem als Veranstaltungsort und beherbergt ein teures Restaurant. Im November feierte der Bundesnachrichtendienst im Umspannwerk sein 60jähriges Bestehen, in Anwesenheit der Bundeskanzlerin. Nach solchen Veranstaltungen verschwinden die Gäste meist genauso schnell, wie sie gekommen sind. Google hingegen möchte für längere Zeit in Kreuzberg bleiben.
Als das Unternehmen seine Pläne vorstellte, kam der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) persönlich. Schließlich soll Berlin die Hauptstadt der Start-ups in Europa werden. Was macht solche Firmen aus? Dem Bundesverband Deutscher Start-ups zufolge handelt es sich um vielversprechende Unternehmen mit einem innovativen Geschäftsmodell oder einem Konzept für eine Technologie, die seit weniger als zehn Jahren bestehen. Da mit einer unfertigen Technologie kein Geld verdient werden kann, müssen Geldgeber in den ersten Jahren solche Start-ups finanzieren. Der »Google-Campus« soll dem IT-Konzern zufolge Entwicklern, Gründern und Investoren einen Treffpunkt bieten. Es gehe um die Förderung von Unternehmensgründungen durch Ausbildung und Netzwerkarbeit. »Google hat als Start-up in einer Garage angefangen – die Unterstützung von Start-ups liegt uns daher sehr am Herzen. Wir hoffen, mit dem Campus Berlin die Start-up-Community zu stärken«, schreibt das Großunternehmen in einer Pressemitteilung. Seine Marketingabteilung spricht von der »Förderung des lokalen Start-up-Ökosystems«.
Uneigennützig ist das Engagement selbstverständlich nicht. Google ist auf ständige technische Innovationen angewiesen. Sonst könnte es dem Unternehmen irgendwann wie dem Konkurrenten und früheren Internetpionier Yahoo gehen, der nach 22 Jahren Geschäftstätigkeit demnächst als Marke verschwinden dürfte.
Angesichts der Eröffnung einer Dependance des zweitwertvollsten Konzerns der Welt geht im Kiez um die Reichenberger Straße die Angst vor einem weiteren Aufwertungsschub um. Denn die Gründer der Start-ups, die um die Kontakte und Finanzierungsmöglichkeiten im »Google-Campus« buhlen werden, dürften bemüht sein, ihre Büros in räumlicher Nähe zu der Niederlassung zu beziehen. Da bieten sich Gewerbeflächen wie in der nahegelegenen Lausitzer Straße 10/11 (Jungle World 1/17) an, in der zurzeit linke Projekte um ihr Bestehen kämpfen. Zudem wollen die jungen Gründer und ihre Mitarbeiter mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht weit von der Arbeitsstelle eine Wohnung beziehen.
Die Sorge mancher Anwohner speist sich auch aus der Entwicklung der Herkunftsorte ehemaliger Start-ups, die mittlerweile die vorderen Plätze auf der Liste der höchstdotierten Unternehmen der Welt einnehmen. So berichtet Erin McElroy, die sich in San Francisco gegen Zwangsräumungen einsetzt, dass rund um die Bushaltestellen, von denen aus die Angestellten zu ihrer Arbeit ins Silicon Valley gefahren werden, die Mieten deutlich gestiegen seien und dort ein Großteil der Zwangsräumungen stattfinde. Die Höhe der Miete spielt für die gutbezahlten, jungen Mitarbeiter der dort ansässigen Internetkonzerne keine Rolle. Derzeit müsse man über 5 000 Dollar im Monat für ein einzelnes Zimmer mit Bad und das Privileg bezahlen, »nicht weiter als eine Meile von Google entfernt« zu wohnen, schrieb die FAZ im Dezember in einer langen Reportage über das Silicon Valley.
Der Konzern lässt die Frage, warum er sich nicht am Berliner Stadtrand, etwa im Technologiepark Adlershof, ansiedeln wolle, ebenso unbeantwortet wie weitere Fragen der Jungle World. Stattdessen meldet sich eine für das Unternehmen arbeitende Hamburger Agentur. Sie verweist schlicht auf lobende Zeitungsartikel zum »Google-Campus«. Die Agentur sitzt ebenfalls in einem Szenestadtteil, dem Schanzenviertel. In derselben Straße befindet sich das autonome Zentrum Rote Flora. Nur 100 Meter entfernt – laut Google Maps.