Guter Jude, böser Zionist
Geht es nach dem iranischen Regime, haben alle Muslime unter anderem eine Pflicht: gegen Israel und für die »Befreiung« von »al-Quds« zu kämpfen, wie Jerusalem auf Arabisch heißt. Seit der »islamischen Revolution« im Iran im Jahr 1979 wird deshalb jährlich der al-Quds-Tag abgehalten, gewöhnlich am letzten Freitag des Ramadan. In der Islamischen Republik Iran wird er als gesetzlicher Feiertag mit staatlich organisierten und finanzierten Demonstrationen und Millionen Teilnehmern begangen. Dabei fordert das Regime unmissverständlich die Zerstörung Israels, die ohnehin Staatsräson ist. Auch Präsident Hassan Rohani nimmt regelmäßig an der Propagandaveranstaltung teil. Zum al-Quds-Tag 2013 sagte der vor allem in Europa als moderat geltende Politiker: »Seit Jahren ist das zionistische Regime eine Wunde im Körper der islamischen Welt und diese sollte entfernt werden.«
Offiziell heißt das Propagandafest »Internationaler al-Quds-Tag«, denn es soll weltweit stattfinden. Vielerorts kommen Anhänger der Mullahs diesem Wunsch nach, so auch in Deutschland. Seit mittlerweile 20 Jahren findet der al-Quds-Tag in Berlin statt, zuvor marschierten die Teilnehmer zumeist in Bonn. Seit 2003 werden die Märsche von der »Quds AG« des Vereins »Islamische Gemeinde der Iraner in Berlin-Brandenburg« organisiert. Diese steht in engem Kontakt zum »Islamischen Zentrum Hamburg«, das die al-Quds-Märsche zuvor mitorganisierte und das aus dem Iran gesteuert wird.
Deutsche Behörden nehmen an, dass hinter den Kulissen die ursprünglich vom Iran gegründete schiitisch-libanesische Organisation Hizbollah die Aufmärsche in Deutschland koordiniert. In der Vergangenheit wurden Fahnen und andere Symbole der auf der Terrorliste der EU stehenden Organisation mitgeführt. In einem vom American Jewish Committee in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten kam der Anwalt Max Putzer jüngst zu dem Ergebnis, es gebe gewichtige Gründe, das Zeigen von Symbolen der Hizbollah zu verbieten. So habe das Bundesverwaltungsgericht die Hizbollah als „völkerverständigungswidrige Organisation“ eingestuft, die die Vernichtung Israels zum Ziel habe. Daraufhin erklärte Innensenator Frank Henkel (CDU), es werde auf der Demonstration nicht erlaubt sein, Symbole der Hizbollah zu zeigen.
Die Teilnehmer des al-Quds-Marsches sind mehrheitlich dem islamistischen Milieu zuzuordnen, hinzu kommen immer wieder deutsche Neonazis, linke Israel-Feinde und Verschwörungsideologen. Der gemeinsame Kitt sind der antisemitische Wahn und der antizionistische Vernichtungswunsch.
Anders als im Iran versuchen die Organisatoren des Marsches in Deutschland, dessen antisemitischen Charakter zu kaschieren. »Gegen Zionismus und Antisemitismus« ist das Motto der »Quds AG« – man habe nichts gegen Juden, nur gegen Zionisten. Um dies glaubhaft zu machen, wird stets ein Häuflein antizionistischer Juden präsentiert. Diese wüssten im Gegensatz zu zionistischen Juden, was »Glaube« sei, wie Jürgen Grassmann, der Hauptorganisator der Demonstration, es formuliert. »Authentische Rabbiner sind immer gegen Zionismus«, stand 2014 auf Transparenten.
Die polizeilichen Auflagen verbieten etwa das Verbrennen von Flaggen und Parolen wie »Tod den Israelis«. Doch anhand von Redebeiträgen, Parolen und Plakaten wird deutlich, worum es den Demonstrierenden geht. Hinter allen Übeln werden die »Zionisten« vermutet, sie verursachten die Krisen in der arabischen Welt und kontrollierten die deutschen Medien. Mit Verweis auf die deutsche Unterstützung Israels sagte der Antizionist Martin Lejeune auf dem Marsch 2015: »Deutschland trägt schon die Schuld an einem Holocaust, und es darf nicht noch einen weiteren Holocaust geben. Ein Holocaust ist genug!«
Der vom iranischen Regime initiierte antisemitische Marsch stößt in Berlin aber auch auf Protest. Wie bereits in den vergangenen Jahren gibt es gleich zwei Demonstrationen gegen den al-Quds-Marsch, der am Samstag durch Charlottenburg-Wilmersdorf führen soll. Das bürgerliche »Bündnis gegen den Quds-Marsch«, zu dem ganz unterschiedliche Politikerinnen und Politiker wie die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (»Die Linke«) und Philipp Lengsfeld (CDU) gehören, wird von diversen jüdischen, proisraelischen und sich dem Kampf gegen den Antisemitismus widmenden Organisationen wie etwa dem Mideast Freedom Forum getragen. Zwar fordert das Bündnis das »Verbot des antisemitischen Quds-Marsches«, doch damit ist nicht zu rechnen. Am Rande der Marschroute veranstaltet es eine Protestkundgebung, auf der auch Innensenator Henkel reden soll.
Das »Antifaschistische Berliner Bündnis gegen den al-Quds-Tag«, das vor allem aus antifaschistischen Gruppen und Parteijugendorganisationen besteht, veranstaltet eine Gegenkundgebung neben dem Auftaktort des Marsches. Der Aufruf soll offensichtlich auch Linke jenseits des antideutschen Milieus ansprechen. Die Verfasser beklagen, dass es wenig »Bereitschaft zum Protest« gegen die »größte regelmäßig stattfindende antisemitische Veranstaltung« in Deutschland gebe. Beide Bündnisse arbeiten mit iranischen Oppositionellen zusammen.
Doch das Regime ist gefestigt. Um die nukleare Bewaffnung des Iran zu verhindern, wurden zwar über Jahre internationale Wirtschaftssanktionen gegen den schiitischen Gottesstaat verhängt. Doch im Juli 2015 einigten sich die Staaten des UN-Sicherheitsrats sowie Deutschland mit dem Iran und unterschrieben das Atomabkommen von Wien. Die Sanktionen wurden im Januar aufgehoben. Gerichtet an Israel twitterte Irans oberster religiöser Führer, Ali Khamenei, aus diesem Anlass: »Ihr werdet die nächsten 25 Jahre nicht erleben.«
Der diesjährige al-Quds-Tag wird der erste nach dem Atomabkommen von Wien sein. Dass sich der Charakter des Regimes nicht geändert hat, stellte es Anfang März eindrücklich unter Beweis. Medienwirksam testete der Iran zwei Mittelstreckenraketen, auf denen auf Persisch und Hebräisch »Israel muss ausgelöscht werden« stand. Es wird angenommen, dass die Raketen zur Beförderung von Nuklearwaffen geeignet sind. Auch am diesjährigen al-Quds-Tag dürfte sich das Ritual von Vernichtungsdrohungen und -ankündigungen gegen den jüdischen Staat vor der Kulisse brennender israelischer Flaggen auf den Straßen Teherans ein weiteres Mal wiederholen.