Der Rechte Sektor in der Ukraine gerät außer Kontrolle

Schießerei mit dem Rechten Sektor

Im westukrainischen Mukatschewo lieferten sich Sicherheitskräfte eine schwere Auseinandersetzung mit Rechtsextremen.

Nun ist es auch in der Westukraine zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen. Am 11. Juli fand eine Schießerei in der Stadt Mukatschewo statt, 40 Kilometer von der EU-Grenze und 1 400 Kilometer von der Front in der Ostukraine entfernt. Geschossen wurde aus Maschinenpistolen, einem Maschinengewehr und Granatwerfern. Nach unterschiedlichen Angaben kamen bis zu vier Menschen ums Leben, knapp ein Dutzend Personen wurden verletzt.
Auf der einen Seite beteiligten sich an der Schießerei Anhänger des Rechten Sektors, auf der anderen Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte. Zuvor waren der Generalstaatsanwaltschaft zufolge etwa 20 schwer bewaffnete Angehörige des Rechten Sektors zu einem Treffen mit Mykhajlo Lanjo gekommen, dem Parlamentsabgeordneten der Partei Volkswille, der vermutlich einen großen Einfluss auf illegale Geschäfte in Transkarpatien ausübt. Lanjo wollte etwas mit Roman Stojka besprechen, dem Leiter des Rechten Sektors in Transkarpatien, der 2009 wegen Korruption aus der Polizei entlassen und 2013 verhaftet worden war, als er Zigaretten mit Hilfe eines Flugdrachens über die Grenze schmuggelte. Dem Rechten Sektor hatte sich Stojka erst nach der Revolte auf dem Maidan angeschlossen, konnte sich aber zum regionalen Leiter hocharbeiten. Bei den Verhandlungen zwischen Lanjo und Stojka handelte es sich wahrscheinlich um die Neuaufteilung von Geschäften um Zigarettenschmuggel in die benachbarten EU-Länder. Doch es lief etwas schief und einem Polizeisprecher zufolge wurde ein Bodyguard von Lanjo erschossen. Als die Polizei an Ort und Stelle war, kam es zu einem regelrechten Feuergefecht und der Abteilung des Rechten Sektors gelang es, in die Berge zu fliehen. Auch eine Woche nach der Schießerei versteckten sich noch mindestens sechs Mitglieder der Organisation in den Wäldern, vier weitere wurden verhaftet.

Unmittelbar nach dem Zwischenfall schickten die ukrainischen Sicherheitskräfte Verstärkung herbei, einschließlich Panzerwagen und Hubschraubern. Der Rechte Sektor kündigte an, seine Bataillone von der Front abzuziehen und weitere Reservebataillone zu mobilisieren. Etwa 100 Rechtsextreme aus der Region Lwiw sollen einigen Meldungen zufolge nach Transkarpatien gefahren sein, einige Abteilungen der Regierungstruppen mussten auf ihrem Weg dorthin Barrikaden aus brennenden Reifen entfernen. Der Rechte Sektor stellte einen Checkpoint vor Mukatschewo und drei weitere Checkpoints gar vor der ukrainischen Hauptstadt auf, mit dem Ziel, den Transport von weiteren Regierungstruppen in Richtung Westukraine zu verhindern. Die Organisation rief zu einer unbefristeten Protestaktion vor dem Gebäude der Präsidialverwaltung in Kiew auf. Für weitere Unruhe sorgten Nachrichten aus Lwiw, wo es am 14. Juli zwei Bombenanschläge auf Polizeireviere gab, bei denen zwei Polizisten schwer verletzt wurden.
Das Gewaltmonopol des Staats ist innerhalb von wenigen Tagen auf eine spektakuläre Weise in Frage gestellt worden. Es hat sich gezeigt, dass die Regierung nicht genügend Autorität hat, um hart gegen den Rechten Sektor vorzugehen, und damit rechnen muss, dass im Fall einer Gewalteskalation ein nicht geringer Teil der Gesellschaft hinter dem Rechten Sektor steht. Dieser ist der letzte bewaffnete Freiwilligenverband, der weder in die Armee noch in die Sicherheitskräfte integriert wurde. Ein bereits im April unternommener Versuch der Entwaffnung des Rechten Sektors scheiterte.

Doch noch heikler ist die Lage des Rechten Sektors. Angesichts der verwirrenden Erklärungen dazu, was seine bewaffneten Angehörigen mit einem mutmaßlichen Mafioso zu besprechen hätten, und eines Eskalationskurses, der im schlimmsten Fall mit Kriegshandlungen weit entfernt von den umkämpften Gebieten in der Ost­ukraine enden könnte, hat die Organisation binnen weniger Tage Unterstützer und Ansehen verloren. Es ist offensichtlich geworden, dass die Organisation in illegale Geschäfte verwickelt ist und dass ihr Leiter, Dmytro Jarosch, wenig Kontrolle über regionale Abteilungen hat. Erklärungsversuchen, es handele sich dabei um einen »Kampf gegen Schmuggel«, glauben wohl nur die hartnäckigsten Anhänger.
An der als unbefristet angekündigten Protestaktion vor der Präsidialverwaltung beteiligten sich maximal 200 oder 300 Anhänger. Der groß angekündigte Marsch der Bataillone auf Kiew blieb aus. In Erklärungen hieß es jedoch, dass der Rechte Sektor nur zwei Bataillone an der Front, hingegen »18 bis 19 Bataillone in der Reserve« habe. Zudem gab der Leiter eines der Frontbataillone, Ruslan Kamchala, am 13. Juli bekannt, seine Abteilung trete aus dem Rechten Sektor aus und schließe sich dem Azow-Bataillon an, das in die regulären Truppen integriert ist. 40 seiner Männer haben seine Entscheidung unterstützt, nur fünf beschlossen, weiterhin beim Rechten Sektor zu bleiben. Insgesamt soll das Bataillon Kamchala zufolge nur aus 60 Kämpfern bestehen.