Das Buch: »Die Linke und der Sport«

Emanzipatorische Körperlichkeit

Arbeitersport, Roter-Stern-Vereine, linke Sportkritik und linker Sporthass – in Gabriel Kuhns Buch »Die Linke und der Sport« geht es um genau das: Linke und Sport.

Lange hatten links gesinnte Menschen ein rein negatives Verhältniszum Sport – wenn überhaupt eines. Sport konnte man im Befreiungskampf nicht gebrauchen, er galt als des Volkes Opium; pars pro toto mag dafür bis heute Gerhard Vinnais Buch »Fußballsport als Ideologie« von 1970 stehen, das für linke Sportverächter bis heute zur Standardlektüre gehört. Eine der wesentlichen Thesen des Buchs lautet: »Die Tore auf dem Spielfeld sind die Eigentore der Beherrschten.«
Das sehen manche Linke noch heute so und stellen das Sporttreiben angesichts der ökonomischen Verhältnisse, unter denen der Spitzensport heute ausgeübt wird, generell infrage. Die Kritik flammt besonders während kommerzieller Großveranstaltungen wie der Fußball-WM oder den Olympischen Spielen auf, bei allen allzu berechtigten Einwänden wird dabei zuweilen das Böse schlechthin im Sport vermutet.
Und liest man so manche linke Kritik am Sport in Gabriel Kuhns jüngst erschienenem Buch über den Leistungssport-Diskurs, »Die Linke und der Sport«, so fragt man sich auch da, welches Bild von einem guten, einem lebenswerten Leben hinter einigen Argumenten stehen mag.
Da ist zum Beispiel von einer »vom Sport verseuchten Welt« (Marc Perelman, französischer Marxist, im Jahr 2008) die Rede, da hält man den Fußball für »eine besonders effektive Methode, um Menschen für politische Ungerechtigkeit blind zu machen« (Terry Eagleton, britischer Marxist). Dabei wird meist nicht zwischen der Gestalt heutiger Sport-Events und dem Sport an sich unterschieden – Perelman etwa konstatiert, in einer besseren Welt »sollte [es] keinen Sport geben«.
Kuhn, der schon zahlreiche Sachbücher und Essays zu linken (subkulturellen) Phänomenen veröffentlicht hat, stellt in seinem lesenswerten Bändchen zu Beginn geschickt Extrempositionen gegenüber: jene, die den Sport per se für schädlich halten, und jene, die Werte wie Solidarität und Integration in den Vordergrund stellen. Dabei stellt Kuhn fest: »Viele Argumente linker Sportkritik (…) treffen den Sport überhaupt nicht, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen dieser ausgeübt wird.«
Im Anschluss fragt sich der Autor: Warum eigentlich werden die Auswüchse der Sportindustrie oft so viel harscherer Kritik unterzogen als jene der Kulturindustrie? Kuhn sucht nach Antworten, eine wirkliche Erklärung findet er nicht. Aber er findet für sich eine Haltung zu dem Diskurs: Die Kritik an den aufgepumpten Superevents, an der unpolitischen Kaste der Sportler, an der mit dem Sport verbundenen Verblendung und Ablenkung sei zwar berechtigt, diese Phänomene seien im Sport aber nicht ausgeprägter, vielleicht gar weniger ausgeprägt als in der Unterhaltungsindustrie generell. Als wolle er beides gegeneinander aufwiegen, kommt Kuhn glücklicherweise nicht daher, vielmehr ordnet er es nur in den Gesamtkontext ein.
Vom Wesen des Sports ist – sowohl bei den Kritikern als auch in Kuhns Text – zu wenig die Rede. Etwa: Sport als tiefster Ausdruck von Freude und Lebendigkeit, Sport als Sich-selbst-Spüren. Oder auch: Sport und Spiel als irrationales Moment in einer – zumindest theoretisch – vernunftgeprägten Welt, als anthropologische Konstante. Damit verzichtet der Autor auch größtenteils darauf, die Kritik etwas grundlegender zu analysieren, was vielleicht durchaus lohnend gewesen wäre.
Kuhn zeigt stattdessen anhand einiger hervorragender Beispiele, dass sich linkes Bewusstsein mit Sportbegeisterung und Sporttreiben vereinbaren lässt: von revoltierenden Ultras bei den Gezi-Protesten in der Türkei über Sportler wie Muhammed Ali oder den Hafenstraßen-Bewohner und ehemaligen St.-Pauli-Torwart Volker Ippig bis hin zu den schwedischen Athletinnen, die bei der Leichtathletik-WM 2013 in Moskau gegen Homophobie protestierten. Gegenwärtig findet er die Vereinsgründungen von Linken nach DIY-Vorbild am interessantesten, er schlägt den Bogen von den Easton Cowboys and Cowgirls zu den Roter-Stern-Vereinen in Deutschland bis hin zum Punk-Charakter der Roller-Derby-Szene.
Auch die »Rotsport«- und die Arbeitersportbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden angeführt, wobei besonders letztere mit ihrem starken Pathos und ihrem simplen Gut-gegen-böse-Schema uns heute wohl nicht mehr viel darüber erzählen kann, was am Sport denn links sein mag – genauso wenig wie die damals verbreitete Trennung zwischen »bürgerlichem« und »proletarischem« Sport. Heute müsste man die Trennlinie eher zwischen Amateur- und Profisport ziehen. Kuhn berichtet darüber hinaus von vielleicht nicht so bekannten Wiederbelebungsversuchen der Arbeitersportbewegung seitens der K-Gruppen in den siebziger und achtziger Jahren.
So manches Argument linker Sportkritik hätte man sich ausführlicher dargestellt gewünscht. »Dass sich ein befreiter Sport auch von Körperkult, Disziplinierung und Männlichkeitsritualen befreien muss, versteht sich von selbst«, schreibt Kuhn. Sicher, dies alles sind Phänomene, die man erst mal nicht mit Freiheit und Gleichheit und anderen linken Idealen assoziiert. Aber wo fängt Körperkult an? Kann ein positives Körperbewusstsein im emanzipatorischen Sinne wirksam werden? Ist (Selbst-)Disziplinierung per se schlecht? Vielleicht ist das Buch eine Einladung, die Debatte an diesen Punkten weiterzuführen, wo sie hier leider aufhört.
Im Fazit heißt es, im Sport gebe es auf der einen Seite »Konkurrenzdenken, Leistungsfixiertheit, identitäre Exklusivität« und auf der anderen »soziales Lernen, Kommunikation, Solidarität« – das Konzept eines »linken Sports« müsse sich auf letztere Werte konzentrieren. Auch da hat man das Gefühl, hier ginge die Diskussion erst los, denn zum Beispiel »identitäre Exklusivität« ist etwas, das sich ja auch viele linke (Fan-)Gruppen im Sport zunutze machen.
Und ob Konkurrenzdenken und Leistungsorientiertheit im Sport wirklich ein Problem darstellen und im Gegensatz zu emanzipativem Denken stehen, darf man auch in Frage stellen. Eine etwas ausführlichere Behandlung des Fair-Play-Gedankens und der Frage wie und ob er heute im Profisport noch seiner eigentlichen Bestimmung entsprechen kann, hätte dem Text an dieser Stelle gut getan.
Vielleicht ist Kuhns Text, der in der Reihe »linker alltag« erscheint, somit vor allem insofern gelungen, dass er zur Debatte anregt. Als Überblick darüber, wann und wo der Sport historisch zur Emanzipation beigetragen hat und welche linken Gruppierungen und Bewegungen sich bis heute im Sport tummeln, ist das Buch sowieso hervorragend geeignet. An einer Stelle konstatiert der Autor: »Der Sport ist genauso gut – oder schlecht – wie die Gesellschaft, in der er betrieben wird.« Vielleicht ist dies ein Satz, den man heute an den Anfang einer Debatte stellen sollte, in der es um den (Leistungs-)Sport und seine heutigen Auswüchse geht.

Gabriel Kuhn: »Die Linke und der Sport«, Unrast-Verlag, Münster 2014, 79 Seiten, 7,80 Euro