Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Kinderpornographie

Strafe muss sein

Der neue Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Kinderpornographie zeugt von einem immensen Strafbedürfnis und der Verdrängung gesellschaftlicher Tatsachen.

Man möchte diesen Satz nicht unbedingt vor einer Menschenmenge sagen: Das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs von Kindern zur Herstellung und Verbreitung pornographischer Schriften wird in der öffentlichen Debatte falsch bewertet. Wahrscheinlich käme man nur bis zu diesem Punkt, ehe wutschnaubende Kontrahenten den Vorwurf der Verharmlosung oder der Sympathie für die Täter vorbringen würden. Doch das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs von Kindern zur Herstellung und Verbreitung pornographischer Schriften wird übertrieben, was im Verhältnis mit dem gesamten Ausmaß des Kindesmissbrauchs offensichtlich wird. Ein Blick in die Polizeiliche Kriminalstatistik genügt: Im Jahr 2012 erfasste die Polizei insgesamt 12 623 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch. In 149 Fällen wurden die Taten verübt, um pornographisches Material herzustellen – eine Quote von 99 zu eins.
In der öffentlichen Debatte wird dieses Verhältnis ebenso wenig erwähnt wie im Zuge der Gesetzgebung, wo die Abwägung von Zweck, Mitteln und Prioritäten eine Rolle spielen sollte. Davon zeugt der Gesetzentwurf des Bundesjustizministers Heiko Maas (SPD) zum Kampf gegen Kinderpornographie. Es sollen nicht mehr nur Darstellungen sexueller Handlungen, sondern auch Schriften verboten sein, die »die Wiedergabe von ganz oder teilweise unbekleideten Kindern in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung« zum Gegenstand haben. Da bleiben Fragen: Gibt es eine natürlich geschlechtsbetonte Körperhaltung? Müssen Museen Gemälde abhängen, auf denen Künstler nackte Kinder in aufreizenden Posen dargestellt haben? Die »Edathy-Lücke« wäre mit dem Passus jedenfalls geschlossen: Findet die Polizei nichts strafrechtlich Relevantes, wird eben die Grenze der Strafbarkeit ausgedehnt. Zudem soll bestraft werden, »wer unbefugt eine bloßstellende Bildaufnahme von einer anderen Person« herstellt oder verbreitet. Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens könnten sich von einer kritischen Bildberichterstattung zukünftig also bloßgestellt fühlen und Schritte gegen Bildjournalisten einleiten. Der Nutzen für Kinder bleibt hingegen fraglich.
Tatsächlich zeigen sich in dem in nur zwei Monaten angefertigten Machwerk des Justizministers »punitive Affekte«, wie der Kriminologe Sebastian Scheerer kürzlich im Gespräch mit dem Legal Tribune Online feststellte. Ein Verfolgungs- und Strafbedürfnis schlägt sich nieder, das auch während der Edathy-Affäre laut zu vernehmen war. Welche verdrängten psychischen Verhältnisse die Beteiligten dabei antreiben, bleibt Spekulation. Welche gesellschaftlichen Verhältnisse verdrängt werden, ist aber offensichtlich: Sexueller Kindesmissbrauch geschieht überwiegend nicht in den dunklen Kammern zwielichtiger Internetklitschen, sondern – auch das bestätigt jede Kriminalstatistik – in der Familie und im Bekanntenkreis. Das passt nicht ins Bild von der Familie als »Keimzelle der Gesellschaft« (CDU) oder als »solidarisches Miteinander der Generationen« (SPD). Deshalb bleiben solche Familienangelegenheiten lieber unerwähnt. Dafür ist der Furor über die bösen Männer im Internet umso größer.