Serbischer Nationalismus im Nordkosovo

Abkommen mit Tücken

Für die Aussicht auf einen Beitritt zur EU sind die Regierungen im Kosovo und in Serbien bereit, ihre Beziehung zu normalisieren. Die serbische Bevölkerung im Norden Kosovos zeigt daran kein Interesse.

»Ausgerechnet Ivica Dačić!« Diese Worte hört man dieser Tage immer wieder von serbischen Linken. Der einstige Pressesprecher von Slobodan Milo­še­vić hat als erster serbischer Ministerpräsident öffentlich bekundet, dass der Kosovo de facto nicht mehr zu Serbien gehöre. Nun könnte es unter dem ehemaligen Kriegspropagandisten sogar zu einer Normalisierung der serbisch-kosovarischen Beziehungen kommen. Am 19. April einigten sich Hashim Thaçi, der kosovarische Ministerpräsident und Mitbegründer der paramilitärischen UÇK, und Dačić in Brüssel auf ein Abkommen, das den Status und die Rechte der serbischen Minderheit im Norden des Kosovo regeln soll. Vermittelt hatte die Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton. Kurz nach dem Treffen wurde das Abkommen einstimmig von der serbischen Regierung bestätigt. Im Parlament in Priština kam es vor der Abstimmung zu Tumulten und Unterbrechungen, weil einige Abgeordnete der Ansicht waren, die Zugeständnisse an die serbische Minderheit gingen zu weit. Allerdings fiel das Ergebnis letztlich mit 89 gegen fünf Stimmen eindeutig für das Abkommen aus. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sprach von einem »Meilenstein« und Ashton lobte: »Für den Kosovo und Serbien ist das Abkommen ein wichtiger Schritt in eine europäische Zukunft.«
Beide Seiten betonten, dass sie mittelfristig der EU beitreten wollten und man sich gegenseitig auf dem Weg dorthin nicht behindern wolle. Entsprechend hat die Europäische Kommission den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten vorgeschlagen, mit Serbien Beitrittsverhandlungen und mit dem Kosovo Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen aufzunehmen. Da Spanien, Rumänien, Zypern, Griechenland und die Slowakei den kleinen Staat bislang nicht anerkannt haben, ist noch nicht klar, wie die Verhandlungen mit dem Kosovo aussehen werden. Einem EU-Beitritt Serbiens könnte insbesondere die deutsche Regierung im Weg stehen. Außenminister Guido Westerwelle betonte vor einem Treffen mit seinen EU-Kollegen in Luxemburg: »Wir wünschen uns, dass das, was zwischen Serbien und Kosovo vereinbart wurde, auch eingehalten wird.« Dass die serbische Minderheit im Norden Kosovos wenig Interesse daran hat, ein Teil des jüngsten Staats in Europa zu sein, ist allen Seiten klar, aber nach Jahren der Verhandlungen und Milliardeninvestitionen im Kosovo müssen Erfolge erzielt werden. Erst im Juni soll über die Beitrittsverhandlungen entschieden werden, bis dahin sollen sich Serbien und der Kosovo in weiteren strittigen Punkten, insbesondere in der Energiewirtschaft, einigen. Ob sie dazu in der Lage sind, ist fraglich. Da das Abkommen einige schwer realisierbare Forderungen enthält, bleibt unklar, ob die deutsche Regierung bereit ist, ihren Wählerinnen und Wählern zu erklären, dass die EU noch größer werden soll, insbesondere wenn wieder Stimmung gegen »Armutseinwanderung« aus Südosteuropa gemacht wird.

Das Abkommen garantiert den etwa 40 000 Serbinnen und Serben im Nordkosovo weitgehende Autonomie. So sollen diese nun Gemeinden bilden, in denen sie ihre fiskalischen Angelegenheiten selbst regeln. Die serbische Minderheit soll die volle Kontrolle über die Bildungs- und Kulturpolitik, ein eigenes Parlament sowie einen Präsidenten, stellvertretenden Präsidenten und eine Regierung erhalten – ein Kleinststaat im Kleinstaat. Am wichtigsten war Dačić aber, dass die serbische Minderheit in Rechts- und Sicherheitsfragen weitgehende Autonomie erhält. Die Leitung von Polizei und Gerichten soll von Serben gestellt werden. Militär und Polizei aus Priština erhalten zunächst nicht das Recht, im Norden des Kosovo einzugreifen. Geht es nach Thaçi, soll das für die nächsten drei, nach Dačić mindestens zehn Jahre gelten. Schon an diesem Punkt wird deutlich, wie groß der Interpretationsspielraum des Abkommens für beide Seiten ist. Für den Aufbau einer wirklich funktionierenden Verwaltung im von organisierter Kriminalität und fehlender Staatlichkeit gekennzeichneten Nordkosovo ist das problematisch. Insbesondere, da das nation building im gesamten Kosovo bislang nicht durch Erfolg gekennzeichnet ist und die Serbinnen und Serben im Nordkosovo keine weitgehende Autonomie, sondern einen Verbleib des Kosovo in Serbien wünschen.
Zumindest einer der beiden Ministerpräsidenten freute sich. »Das ist ein erstes und historisches Abkommen zwischen Serbien und dem Kosovo. Damit hat Serbien die volle Souveränität und territoriale Integrität des Kosovo anerkannt«, sagte Thaçi. Dačić erklärte deutlich verhaltener: »Das ist der beste Vorschlag, den wir in diesem Dialog bekommen haben.« Von einer Anerkennung auf serbischer Seite kann allerdings keine Rede sein. So betonte der serbische Präsident Tomislav Niko­lić, dass er den Kosovo nie anerkennen werde, und auch Dačić hatte das so nie behauptet. Russland und China stehen in der Kosovo-Frage auf der Seite Serbiens und erkennen den Kosovo nicht an. Wenn es in naher Zukunft um einen Sitz in den Vereinten Nationen für den Kosovo geht, hat Dačić somit ein weiteres Argument in der Hand, um Zugeständnisse für die serbische Minderheit im Nordkosovo auszuhandeln. Einerseits gilt es, die Beziehungen zum Kosovo zu normalisieren, andererseits ist die serbische Regierung nicht bereit, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen.

Was die Serbinnen und Serben im Nordkosovo von dem Abkommen halten, haben sie bereits deutlich gemacht. Etwa 10 000 serbische Nationalistinnen und Nationalisten protestierten nach der Bestätigung des Abkommens durch die serbische Regierung in Mitrovica. Dabei warfen sie den serbischen Politikerinnen und Politikern Hochverrat vor. Darunter hatte insbesondere der serbische stellvertretende Ministerpräsident Aleksandar Vučić zu leiden, der als Initiator und Befürworter der Gespräche mit dem Kosovo gilt. Vertreter der ultranationalistischen Partei SRS haben Flugblätter mit der Mobilfunknummer von Vučić verteilt. Im serbischen Staatsfernsehen beschwerte er sich darüber, dass er und seine Familie nun im Minu­tentakt Morddrohungen bekämen. Wie die serbische Tageszeitung Večernje Novosti bereits vor der Demonstration berichtete, erklärten Vertreter der serbischen Minderheit im Kosovo: »Dieses Dokument ist illegal und verstößt gegen die Verfassung. Wir werden keinen Teil unseres Territoriums aufgeben.« Sie kündigten ein Referendum gegen das Abkommen an.
Ob man einen Staat mit einer serbischen Minderheit machen kann, die diesen nicht haben will, lässt sich in Bosnien-Herzegowina studieren. Dort blockiert sie jede Integration innerhalb des Staats, wo sie nur kann. Nationalistische Serben imaginieren den Kosovo als Geburts- und Schicksalsort der serbischen Nation und der serbisch-orthodoxen Kirche und bestehen darauf, eine Region zu behalten, in der sie gerade einmal sieben Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Minderheit im Nordkosovo gilt als besonders radikal. Unterstützung erhält sie auch von der serbisch-orthodoxen Kirche. Patriarch Iriney erklärte: »Dieses Abkommen ist ein Ausverkauf Serbiens.« Die Minderheit im Nordkosovo erhält zudem finanzielle Unterstützung aus Serbien. Wer fordert, diese einzuschränken, um Druck auszuüben, riskiert seine politische Zukunft. Jeder Versuch der Kosovo-Truppe K-for und der kosovarischen Zentralregierung, den Norden militärisch unter Kontrolle zu bringen, könnte Tote und Verletzte zur Folge haben. Das Abkommen ist weitgehend Wunschdenken, aber immerhin kann die EU einen gewissen Erfolg vorweisen.