Polizeiwache im Stadion vom FC St. Pauli

Cop Watch bei St. Pauli

Der FC St. Pauli baut um – und mitten im Stadion soll eine Polizeiwache entstehen. Viele Fans sehen darin einen weiteren Schritt hin zum kommerzorientierten Durchschnittsclub.

Das Verhältnis vieler Fußballfans zur Polizei ist schwierig. Wer schon länger zum Fußball geht und auch schon öfter zu Auswärtsspielen gefahren ist, kann meist mindestens eine Geschichte von Polizeiwillkür oder Polizeigewalt erzählen. Da verwundert es wenig, dass ein großer Teil der aktiven Fanszene des FC St. Pauli derzeit in Aufruhr ist, weil ihr Verein im Zuge des Neubaus der Gegengeraden im vereinseigenen Stadion eben dort eine Polizeiwache einrichten will. Zwar sehen auch die Lizenzauflagen vor, dass es in der Umgebung jeder Arena der oberen zwei Ligen eine Wache geben muss, doch existiert eine solche direkt neben dem Stadion auch jetzt schon in Form der Domwache, diese könnte einfach saniert und modernisiert werden. Ein Neubau wäre also gar nicht notwendig.
»Das Ganze geht zurück auf eine mündliche Zusage des damaligen Präsidenten Corny Littmann«, sagt Maarten vom Zeckensalon, einer der Gruppen, die sich derzeit gegen den Bau der Polizeiwache engagieren, gegenüber der Jungle World, »der hat damals der Stadt versprochen, beim Umbau die Domwache ins Stadion zu in­tegrieren, weil das ja so schön günstig wäre.« In der Tat sind Kostengründe bis heute das einzige triftige Argument, das von Befürwortern der Polizeiwache angebracht wird. Mit einer halben bis zu einer Million Euro Mehrkosten sei bei einem Umbau der Domwache zu rechnen, gab Christian Bönig, der Pressesprecher des Vereins, immer wieder zu Protokoll.
»Das Präsidium weiß ganz genau, was es sich da für ein Ei ins Nest gelegt hat«, meint Maarten. Daher werde hinter den Kulissen auch schon seit längerem zwischen dem Verein und der AG Stadionbau, die aus engagierten Fans besteht, verhandelt. Bis zur Sommerpause und damit zum Baubeginn der neuen Gegengeraden konnte jedoch keine Einigung erzielt werden, und mit jedem Tag werden nun Fakten geschaffen. Immerhin: Die Proteste werden immer stärker. Bei einem Vernetzungstreffen, an dem über 250 Menschen teilnahmen, wurde ein Positionspapier verabschiedet, das mittlerweile von mehr als 150 Fanclubs und Fangruppen unterzeichnet worden ist. Wie heftig der Protest ist, zeigte sich auch beim Heimspiel gegen den VfR Aalen, als weite Teile des Millerntorstadions in das Rot des »Jolly Rouge« getaucht waren, also jenes Symbols, das bereits im vergangen Jahr bei den Protesten der »Sozialromantiker« genutzt worden war und dessen der Ikonographie der historischen Seeräuber und Piraten entlehnte Botschaft lautet: »Es werden keine Gefangenen gemacht.«
Das Spiel gegen Aalen stellte nur den Höhepunkt einer bereits laufenden Kampagne dar. Bereits zuvor hatte es bei mehreren Spielen Choreographien und Spruchbänder gegeben, Tausende Aufkleber sind verteilt worden und auch beim Heimspiel gegen Union Berlin wurde im und vor dem Stadion protestiert.
Das Hauptargument der Gegner der Polizeiwache ist, dass diese ausgerechnet direkt neben den neuen Räumlichkeiten des Fanprojekts eingerichtet werden soll. Da sie nicht nur für die Spiele des Vereins, sondern auch zur Überwachung des auf dem benachbarten Heiligengeistfeld stattfindenden Domfestivals genutzt werden soll, wäre die Wache darüber hinaus drei bis vier Monate im Jahr geöffnet. Eine vernünftige Sozial­arbeit mit sogenannten Problemfans wäre so nicht mehr möglich, da ja gerade jene erleb­nisorientierte Klientel für gewöhnlich ein ausgesprochen schlechtes Verhältnis zur Polizei hat. Sollte der sozialarbeiterische Ansatz des St. Pauli-Fanprojektes nicht mehr greifen, könnte dem Verein über kurz oder lang ein handfestes Gewaltproblem erwachsen, das ihn mittelfristig weit mehr als die geschätzte Million für den Umbau der alten Domwache kosten würde. Sollten sich in der Kurve der Hamburger Gewalttätigkeiten wie derzeit in Dresden, Rostock oder Köln entwickeln, wären »Geisterspiele« und hohe Geldstrafen seitens des DFB wohl unausweichlich. Hinzu kommt, dass mit jedem Fall von Randale und Ausschreitungen – egal bei welchem Verein – die Forderung sicherheitspolitischer Hardliner, die Vereine mögen die Kosten für Polizeieinsätze an Spieltagen selbst tragen, populärer werden dürfte.
Für die Fans geht es jedoch nicht nur um So­zialarbeit und deren Erfolgschancen. Für sie geht es um nicht weniger als das Herz und die Seele ihres Vereins. »Hier soll alles zerstört werden, wofür der FC St. Pauli steht«, meint auch Maarten vom Zeckensalon. Zwar ist auch ihm bewusst, dass der Verein den »Mythos St. Pauli« bereits seit Jahren immer weiter aushöhlt und dass das Gerede vom »etwas anderen Verein« für die Führungsetage vor allem Alleinstellungsmerkmal und Vermarktungsstrategie ist, doch sieht er darin nur eine Seite der Medaille: »Es gibt ja auch immer noch die Fanszene, und die ist noch immer antirassistisch, antifaschistisch und ganz klar links.« Genau diese Ideale gelte es zu verteidigen, so Maarten weiter. Für ihn und andere ist es schlicht nicht mit »ihrem FC St. Pauli« zu vereinbaren, dass ausgerechnet in der ­legendären Gegengerade, wo nicht nur Totenkopffahne und Black Block ihre Heimat hatten, sondern wo auch die Keimzelle von allem liegt, was in Deutschland heute an kritischer Fankultur existiert, nun die wahrscheinlich größte Polizeiwache innerhalb eines Fußballstadions in ganz Europa gebaut werden soll. Stattdessen, so meinen viele, sollten die Räumlichkeiten lieber für das von Fans seit langem geforderte Vereinsmuseum genutzt werden, das sich kritisch mit der wenig ruhmreichen Geschichte des Vereins während der NS-Zeit auseinandersetzen soll.
Von außen betrachtet scheint jedoch all das nicht die ganze Wahrheit zu sein. Polizeiwache, Fanprojekt und Museum scheinen nur Bruchstücke eines viel größeren Konflikts zu sein. Der FC St. Pauli ist derzeit an einem Punkt angelangt, an dem er sich entscheiden muss, ob und inwiefern er tatsächlich anders als andere Vereine sein will und bereit ist, zugunsten des wirtschaftlichen und sportlichen Erfolgs notfalls auch gegen seine Fans zu agieren. Bereits Ende der vorigen Saison beklagten Benedikt Pliquett und Fabian Boll, zwei Spieler, die selbst früher in der Fankurve standen, in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt, in der Mannschaft gebe es immer mehr Spieler, die nicht verstünden, worum es bei St. Pauli eigentlich gehe. Es scheint fast so, als würde dieses Problem auch in der Vorstandsetage bestehen. Vielleicht sollten die Zuständigen dort sich einmal vor Augen halten, was der FC St. Pauli ohne seine in der Tat noch immer außergewöhnliche Fanszene wäre: nämlich genau der SC Paderborn, zu dem der Verein auch nach dem Rausschmiss von Trainer André Schubert noch immer zu werden droht.