Diana Sacayán im Gespräch über das Gesetz zur Geschlechtsidentität in Argentinien

»Außerhalb von Buenos Aires ist es ziemlich hart«

Im Mai dieses Jahres wurde in Argentinien ein weltweit einzigartiges Gesetz zur Geschlechtsidentität verabschiedet, das es Personen erlaubt, ihr selbstgewähltes Geschlecht ohne langwierige Prozeduren ­offiziell anerkennen zu lassen (Jungle World 21/2012). Die Jungle World sprach mit Diana Sacayán über die Bedeutung dieses Gesetzes und die gesellschaftliche Akzeptanz von Transpersonen in Argentinien. Sie ist Repräsentantin der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Asso­ciation (ILGA) für den Cono Sur.

In Argentinien gibt es ein neues Gesetz zur Geschlechtsidentität. Wie sieht der Prozess des offiziellen Identitätswechsels konkret aus?
Das Gesetz war das Resultat eines jahrelangen Kampfes von Transpersonen und anderen. Die Geschlechtsidentität von Transvestiten, Transsexuellen, Transgender, Intersexuellen und anderen Identitäten wird anerkannt, darüber hinaus ist es eines der besten Gesetze in Bezug auf Ge­schlechts­identität weltweit, da es ein einfaches und schnelles Verfahren vorsieht und mit der Stigmatisierung durch pathologisierende Kriterien bricht. Beispielsweise braucht es keinen Untersuchungsprozess, weder Experten, die bestätigen, dass wir sind, wer wir sagen, das wir sind, noch eine gerichtliche Erlaubnis. Man muss nur die Personenstandsänderung bei den zuständigen Behörden beantragen. Das Gesetz bricht auch mit der Vorgabe einer medikamentösen Behandlung, weil es nicht zu einer Hormontherapie vor der Operation verpflichtet. Außerdem dürfen alle Personen ab 16 Jahren die Personenstandsänderung einfach aus ihrem Bedürfnis heraus beantragen. Falls die Eltern sich weigern, ihr Einverständnis zu geben, kann die minderjährige Person um eine richterliche Autorisierung bitten, um den Eintrag im Dokument zu ändern. Außerdem setzt das Gesetz die »Yogyakarta Principles« um, eine Art Menschenrechtserklärung für Lesben und Schwule.
Unter welchen Bedingungen leben Transvestiten und Transsexuelle heute in Argentinien?
Auch wenn der Gesetzesbeschluss ein wichtiger Schritt war, ist das Leben für Transvestiten und Transsexuelle in Argentinien ziemlich hart, vor allem außerhalb von Buenos Aires. Es gibt alarmierende Zahlen: Im Durchschnitt werden sie 35 Jahre alt, 64 Prozent von ihnen haben nie die Grundschule abgeschlossen, 84 Prozent haben keinen Schulabschluss einer weiterführenden Schule. Nur drei Prozent erreichen den tertiären Bildungssektor. Das Gesetz ist nur der juristische und administrative Rahmen, innerhalb dessen unsere Identität anerkannt wird, was die Tür öffnet für die Grundrechte Bildung, Wohnung, Arbeit und Gesundheit. Es gilt noch, die Realität zu ändern, und dafür kämpfen wir. Das Gesetz wurde in einem politischen und gesellschaftlichen Kontext möglich, der Raum ließ für die Forderungen bestimmter Gruppen der Gesellschaft, der verletzlichen, vergessenen, ausgeschlossenen. Sie werden heute endlich gehört in unserem Land. Es gibt den politischen Willen, und der Einsatz für Menschenrechte ist ein Anliegen der Zentralregierung.
Auf nationaler Ebene ist die Politik bezüglich der Rechte von Transvestiten und Transpersonen sehr klar. Welche Position vertreten die Provinzregierungen?
Buenos Aires unterscheidet sich stark vom Rest des Landes. Es kommt vor, dass es bei einigen Ämtern Probleme mit der Ummeldung gibt, zum Beispiel lassen die Beamten die Antragstellenden unnötige Behördengänge machen. Das Verhalten dieser Provinzregierungen betrifft nicht nur Transvestiten, sondern auch viele andere gesellschaftliche Gruppen. Das hat alles mit dem jüngsten strukturellen Wandel der Art, wie Politik gemacht wird in unserem Land, zu tun. Diese Regierungen wollen die überkommenen Strukturen nicht überwinden.
Vor zwei Wochen wurde zum Beispiel bekannt, dass in der Provinz Córdoba Transpersonen der Eintritt in den Polizeidienst verboten ist.
Ich weiß nicht, ob das eine gute oder schlechte Nachricht ist! (lacht) Aber im Ernst, natürlich hat eine Person das Recht zu tun, was sie will. Alles, was die Partizipation irgendeiner Person aufgrund ihrer Lebensumstände, Religion oder sozialen Klasse einschränkt, muss abgelehnt werden. Das ist ganz klar ein Fall von Diskriminierung.
Ist es nicht ein bisschen widersprüchlich, dass in einem Land, das in Sachen Menschenrechte so fortschrittlich ist und ein Gesetz zur Geschlechtsidentität erlassen hat, Abtreibung weiterhin kriminalisiert wird?
Absolut. Man muss das unbedingt thematisieren, damit es bald im Parlament diskutiert wird. Wir arbeiten mit anderen sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen zusammen und verstehen uns als feministisch, deshalb geht es für uns sowohl beim Gesetz zur Geschlechtsidentität als auch bei der Entkriminalisierung der Abtreibung um Menschenrechte. Im ersten Fall geht es um das Leben Tausender Transvestiten, die sterben, weil sie sich Schmieröl für Flugzeugmotoren als Ersatz für Silikon injizieren, und im anderen um das Leben Tausender Frauen, die sterben, weil sie versuchen, heimlich mit Hilfe von Stricknadeln und Ähnlichem abzutreiben. Die meisten haben geringe finanzielle Ressourcen. Wir sind dafür, dass Frauen über ihren eigenen Körper bestimmen dürfen, und unterstützen ihre Forderungen. Wir wissen, dass es Widerstand geben wird, weil es ein Thema ist, das die katholische Kirche gerne verschweigen würde, mit dem Argument, dass es ein Recht der Ungeborenen auf Leben gibt. Aber was ist mit dem Recht auf Leben der Frauen? Oder kann jemand ernsthaft behaupten, dass es Frauen Spaß macht, abzutreiben?
Sie wollen als Ombudsfrau für den Grundrechtsausschuss in La Matanza kandidieren?
(Lacht) Ich lache, weil alles als Spiel anfing. Verschiedene soziale, politische und Menschenrechtsorganisationen haben meine Kandidatur befördert und erst vor kurzem habe ich sie akzeptiert. Für mich ist das sehr wichtig, weil wir dadurch mit Vorurteilen brechen, die durch die Medien verbreitet werden, und mit dem sozialen Stigma, dass das einzige, was Transvestiten machen könnten, sei, als Hure an der Ecke zu stehen. Meine Kandidatur und die Unterstützung, die ich erhalte, zeigen, dass wir Transvestiten am politischen Leben des Landes teilhaben können, dass wir nicht Lustobjekte sind im Tausch gegen Geld, dass unsere Beziehung zur Gesellschaft nicht einfach nur geschäftlicher Natur sein sollte.
Und vielleicht, dass Sie nicht nur Objekte der Politik sind, sondern es schaffen, selbst auf solche Posten zu kommen.
Natürlich. Ich zumindest habe eine regierungsnahe Perspektive, denn das, was wir im Bereich Menschenrechte und soziale Gleichheit seit der Regierung von Néstor Kirchner erreicht haben, ist noch nie dagewesen, nicht einmal mit Perón und Evita. Und wir werden das, was wir erreicht haben, bis zum Tod verteidigen. Um das zu verteidigen, müssen auch die sozialen und politischen Verteidigerinnen und Verteidiger der Menschenrechte strategische Plätze in Institutionen einnehmen, die die Rechte der Bürgerinnen und Bürger verteidigen, beispielsweise im Grundrechtsausschuss. In La Matanza gibt es eine Lokalregierung, die der Zentralregierung nahesteht, obwohl wir die Regierung auch kritisieren, weil es in einigen Institutionen noch Überreste der alten Politik gibt. Man muss mit dieser Art, Politik zu machen, brechen und dazu braucht es unbedingt die Beteiligung von Aktivisten, sozialen und politischen Akteuren. Wir wissen, dass es ein verrücktes Abenteuer ist, wie alle, zu denen wir aufbrechen, aber wir träumen gerne. Wir sind, wie man hier sagt, »locos lindos« (schöne Verrückte).

Aus dem Spanischen von Nicole Tomasek