Jazz gehört nicht in den Jazzkeller

Berlin Beatet Bestes. Folge 99. Bully Buhlan: Räuberballade (1947).

Am Sonntag haben wir mal wieder im Tempelhofer Park Swing getanzt, bis die Füße qualmten. Heute habe ich einen ordentlichen Sonnenbrand, aber der Spaß hat sich gelohnt. Besonders gerne lege ich Platten auf, die wir auf den Swingveranstaltungen, die wir sonst besuchen, nie zu hören kriegen. Noch vor einem Jahr hielt ich Jazz für langweilige Musik, die sich grauhaarige Lehrer im Sitzen anhören. Schließlich gilt Jazz nicht mehr als Tanzmusik, und mich interessiert nun mal ausschließlich Musik, zu der man tanzen kann. Für den kontemplativen Kunstgenuss bin ich eben immer noch nicht alt genug. Durch das gemeinsame Tanzen habe ich dennoch begonnen, genauer hinzuhören: Wann wechseln sich ruhige mit schnellen Passagen ab, wo wird improvisiert, und wann setzt welches Solo ein?
Dabei lässt sich nicht nur zu Louis Armstrong, Duke Ellington und Lionel Hampton Swing tanzen. Auch zu swingenden Songs von Miles Davis, dem Modern Jazz Quartet und Dizzy ­Gillespie wurde am Wochenende anstandslos ­getanzt. Manche Jazztitel stellen die Tänzer allerdings vor echte Herausforderungen. Ein plötzlich auftauchendes, zweiminütiges Schlagzeugsolo in dem lässig swingenden Stück »Down on the desert« des schwarzen Klarinettisten Edmond Hall ließ meine Freundin aufschreien: »Mann, Andi! Dazu kann man nicht tanzen!« Mit ein wenig Improvisation ging es aber doch, und als der Song zu seinem Thema zurückfand, waren alle versöhnt.
Ebenso überrascht waren die Tänzer, als ich Bully Buhlans »Räuberballade« auflegte, eine Schellackplatte von 1947, die unlängst ein Freund von mir bei Ebay ersteigert hatte, um sie mir zu schenken. Im Alter von 23 Jahren hatte Bully Buhlan den Text und die Musik zu diesem »Trümmerswing«-Hit geschrieben, aufgenommen in den Ruinen Berlins und mit dem Zusatz versehen: »Hergestellt unter der Zulassungsnummer 9-503 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung«. Sehr flott amerikanisch, im Bigbandsound von Glenn Miller, beginnt das Orchester Erwin Lehn zu spielen. Nach einer Minute setzt dann Bully mit sanftem Gesang ein. Auf Deutsch! Und er singt ein Kinderlied! Das Schönste daran ist der Refrain, der im Hintergrund vom Orchester laut mitgesungen wird. Und den auch ich, tanzend, laut mitgesungen habe!
»Es war einmal ein Räuber (Oh-ho-ho!), der lebte tief im Wald (Aha, so ein Kerl!), er liebte alle Mädchen, jung und alt (Ach, ihr Mädchen, hütet euer Herz.) Er stahl nicht nur die Herzen (Oh la la), er raubte auch das Geld (Na, so ein Wicht), es ärgert sich ein Jeder auf der Welt (Nur wir nicht). Sogar die uralte Hexe (Hui) fürchtete sich vor ihm (Hei-ho), und auch Hänsel und Gretel (Ho) hatten Angst vor ihm, und das ärgert ihn. Das Ende der Geschichte (Die Moral): Der Räuber wurde alt (An Hundert Jahr!), er hatte weiße Haare und starb bald. Und wenn er nicht gestorben wär, dann lebte er noch heut!«