Alex Lipowski von den jungen liberalen im Gespräch über den Rücktritt von Westerwelle und die Zukunft der FDP

»Westerwelle musste weg!«

Alex Lipowski ist Vorsitzender der Jungen Liberalen Nordberlin. Der 22jährige Nachwuchspolitiker wird bei der kommenden Landtagswahl im Herbst für die FDP als Direktkandidat im Wahlkreis Reinickendorf 2 kandidieren.
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Nehmen wir an, ein Außerirdischer kommt auf die Erde, schaut sich eine Weile so um, der Typ ist supergescheit und kapiert sofort alles, aber nach ein paar Monaten entdeckt er eine Buchstabenfolge, die ihm nichts sagt, und er fragt Sie, was das bedeutet: FDP – was sagen Sie?
Das ist die Partei, die sich in Deutschland für den Liberalismus einsetzt, also für die größtmögliche Freiheit des Einzelnen. Während andere Parteien stark auf Bevormundung setzen, den Lebensweg der Menschen von oben vorgeben möchten, wollen wir, dass die Menschen selbständig und selbstverantwortlich, frei und mündig darüber entscheiden können, wie sie ihr Leben gestalten.
Jetzt sagt der Außerirdische, er sei gerade bei jemand anderem gewesen und habe den gefragt, was denn die Grünen seien, und der habe ihm genau dasselbe erzählt.
Für manche Politikbereiche stimmt das, etwa wenn es um Bürgerrechte geht. Wobei man selbst da feststellen muss: Als die Grünen unter Rot- Grün Regierungsverantwortung trugen, haben sie sehr wenig geliefert. In Fragen der Wirtschaftspolitik stimmt es aber nicht, und auch, wenn es um die individuelle Entfaltung geht, sind die Grünen viel bevormundender, wollen einem sagen, was richtig und was falsch ist. Wir sagen: Im Endeffekt darfst du alles machen, was du möchtest, solange du nicht die Freiheit eines anderen einschränkst, sprich mit deinem Handeln jemand anderem schadest.
Die Jugendorganisationen der Parteien haben den Anspruch, darauf zu achten, dass auch die Interessen der jungen Menschen vertreten werden. In der FDP findet gerade ein Generationswechsel statt. Die neue Garde – Philipp Rösler, Christian Lindner und Daniel Bahr – wurde im Tagesspiegel als »die Bambis aus dem FDP-Jugendzentrum« bezeichnet. Sind die Julis nicht vollkommen überflüssig geworden?
Im Gegenteil. Man sieht ja gerade in der FDP, dass eine Partei junge Leute braucht, die nachrücken. Gerade in Zeiten, in denen es nicht so gut läuft. Die Sache mit Brüdere, der mit seinen Kernkraft- Äußerdungen wesentlich Mitschuld an den letzten Wahldebakeln der FDP hatte, zeigt exemplarisch, es muss immer Alternativen geben. Und bei der FDP, insbesondere bei den Julis, gibt es hervorragende Alternativen.
Also Brüderle auch abschalten?
Brüderle gehört zu denen, die den Fokus ganz stark auf die Wirtschaft und dabei auf den Mittelstand gelegt haben, was zwar eine Kernkompetenz der FDP ist, aber was nicht alles sein darf. Wir Julis haben immer gesagt, dass zur Idee des Liberalismus viel mehr gehört. Und dieses Mehr wird von Brüderle nicht verkörpert.
Für welche Politik wird die FDP denn künftig stehen? Nach der überraschenden Wende in der Atompolitik war jetzt zu lesen, dass der schleswig-holsteinische Arbeitsminister Heiner Garg von der FDP nun »bundesweit einheitliche Mindestlöhne« fordert. Kommt jetzt die nächste Wende und die FDP wird zur antika­pitalistischen Partei?
Das bestimmt nicht. Von oben verordnete Armut für alle ist nicht so unser Ding. Doch wie in jeder Partei gibt es auch in der FDP Leute, die Minderheitenpositionen vertreten. Also bis die FDP flächendeckende Mindestlöhne fordert, da müsste schon viel passieren.
Das hätte man vor ein paar Wochen auch in Sachen Atompolitik gesagt.
Ja. Klar ist, dass man nach einer Katastrophe wie in Fukushima nicht einfach so weitermachen kann. Welche Lehren genau daraus gezogen werden müssen, müssen wir sehen. Den ersten Schritt der Bundesregierung, erst einmal ein »Moratorium« zu machen, fand ich richtig. Zur jetzigen Zeit kann man noch gar nicht wirklich abschätzen, wie übertragbar die Situation auf deutsche Kernkraftwerke ist und welche Lehren man daraus ziehen muss. Leider ist man neben diesem ersten richtigen Schritt in Aktionismus verfallen. Vieles von dem, was gesagt worden ist, war nicht ganz durchdacht, auch die Aussage von Christian Lindner gehört dazu. Das war jedoch erst einmal eine Einzelmeinung, die bisher durch keinen Parteitagsbeschluss oder ähnliches gedeckt ist. Erst nach dem Parteitag im Mai wird man sagen können, wie sich die FDP zur Atompolitik künftig positioniert.
Und Ihre Position zur Atomkraft?
Wir Julis waren nie Fans der Kernkraft. Der Strom kommt zwar aus der Steckdose, muss aber irgendwie da hineinkommen, also muss er erzeugt werden. Ich glaube, dass man zwar so schnell wie möglich aussteigen sollte, dies aber nicht von heute auf morgen möglich ist.
Gibt es unter den jungen Leuten in der FDP Erleichterung, dass der Westerwelle-Knoten geplatzt ist und nun etwas Neues entsteht?
Klar ist: Westerwelle musste weg. Die Partei hat ihm wahnsinnig viel zu verdanken. Wir haben bei der Bundestagswahl 2009 mit 14,6 Prozent das mit Abstand beste Ergebnis in der Geschichte der FDP geholt, und das nicht trotz, sondern auch dank Guido Westerwelle. Aber wenn man sich die Performance nach der Bundestagswahl anschaut, so ist da viel zu wenig geliefert worden. Zu wenig von den Regierungsmitgliedern, zu wenig von der Partei, dessen Vorsitzender Westerwelle noch ist, und vor allem auch viel zu wenig von der FDP-Bundestagsfraktion und ihrer Vorsitzenden Birgit Homburger. Auch dort steht unserer Meinung nach ein personeller Neuanfang an.
Hätte die FDP nicht viel eher die Reißleine ziehen müssen?
Es ist ja nicht alles schlecht, was Schwarz-Gelb geleistet hat. Ein paar Dinge haben wir umsetzen können. Wir haben in zwei Jahren geschafft, was weder Rot-Grün mit den pseudopazifistischen Grünen noch die Große Koalition geschafft haben, nämlich dass die Wehrpflicht ausgesetzt wird. Aus Sicht der Julis ein riesiger Erfolg …
… der CSU …
Sicherlich hat auch die Union eingelenkt aufgrund von Sparzwängen. Wir hatten andere Gründe, die wichtiger waren, nämlich dass der Staat nicht derart in die Lebensplanung der Menschen eingreifen soll. Aber so oder so steht das Resultat: Die Wehrpflicht ist weg. Oder jetzt aktuell: löschen statt sperren. Die Internetzensur fällt weg, wir setzen jetzt konsequent aufs Löschen, auch das ist ein guter Schritt für die Bürgerrechte. Das sind Lichtblicke, obschon nicht die Themen, wegen denen wir gewählt wurden. Gerade da, also bei den Versprechen bezüglich Steuersenkung und Steuerrechtvereinfachung, sind wir den Menschen bisher zu viel schuldig geblieben.
Ist der junge Philipp Rösler aus Sicht der noch jüngeren Generation eine gute Wahl?
Ja, er ist nicht nur sympathisch und sehr offen, sondern wird einen Stilwechsel einleiten, weg vom Westerwellegepolter. Mit ihm wird die FDP wieder einen breiten Liberalismus vertreten. Westerwelle war ein hervorragender Oppositionspolitiker, der, als er anfing zu regieren, einsehen musste, dass das nicht so ganz seine Stärke ist. Rösler galt – für Gesundheitsminister nicht ge­rade unüblich – im Bundeskabinett zwar immer als einer der unbeliebtesten Minister, bei uns Julis war er jedoch immer einer der beliebtesten.
Gilt Rösler mit seiner Gesundheitsreform in der Öffentlichkeit nicht gerade als Paradebeispiel für die Klientelpolitik der FDP?
Nennen Sie mir einen Gesundheitsminister, der in der Öffentlichkeit positiv dastand! Er macht einen guten Job, er hat den richtigen ersten Schritt zu einer wettbewerbsorientierten Gesundheitsreform unternommen. Statt Klientelpolitik würde ich im Gegenteil sagen: Es ist doch ein großer Fortschritt, dass zum ersten Mal in Deutschland jemand vom Fach, also ein Mediziner, Gesundheitsminister ist. Das ist definitiv ein Zugewinn an Kompetenz.
Apropos Kompetenz. Ich kenne niemanden, der der Meinung ist, dass Guido Westerwelle seinen Job als Außenminister gut macht. Schadet er nicht der FDP mehr, als er ihr nutzt?
Er hat als Außenminister nicht so geglänzt, wie man es sich erhofft hat. Aber es bringt nichts, wenn man jetzt alles komplett umwirft. Die FDP braucht eine Mischung aus Neuanfang und Kontinuität.
Aber bei Rösler haben Sie gesagt, es sei gut, dass er als Arzt eine gewisse Kompetenz für sein Ministeramt mitbringe. Westerwelle besitzt eine solche aber ganz offensichtlich in seinem Verantwortungsbereich nicht. Wie konnte er überhaupt dahin kommen, wo er jetzt mühsam hinausgemobbt werden muss?
Er hat Kompetenzen! Die FDP hat Guido Westerwelle ein großartiges Wahlergebnis zu verdanken. Aber es stimmt schon, wenn wir wirklich etwas hätten verändern wollen in unseren Kernbereichen, dann hätten wir als FDP nicht auf dem Außenministerium bestehen sollen, sondern auf dem Finanzministerium.
Aber das kann er ja auch nicht!
Ob er das gekonnt hätte, weiß ich nicht. Fakt ist, es hätte in der FDP viele fähige Leute gegeben, beispielsweise Hermann Otto Solms. Aber jetzt muss man nach vorne blicken: Wir haben bald einen neuen Parteivorsitzenden, ich hoffe, es kommt noch ein neuer Fraktionsvorsitzender dazu, vielleicht muss man auch noch mal überlegen, ob der aktuelle Wirtschaftsminister der richtige ist. Dann haben wir ein gutes Team, das dem Liberalismus wieder zu größerem Einfluss in der Politik verhelfen wird.
Drei Landtagswahlen stehen bevor, bei denen die FDP mit ziemlicher Sicherheit baden gehen wird, in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Wird der neue Vorsitzende nicht verheizt? Ist er ein Übergangsvorsitzender?
Wer sollte denn danach kommen? Etwa noch ein jüngerer?
Allgemein wird Christian Lindner eher eine große Zukunft zugetraut als Philipp Rösler.
Beide gemeinsam sind ein gutes Team. Lindner ist ein super Generalsekretär und Rösler wird ein guter Parteivorsitzender. Im übrigen sind die Landtagswahlen noch längst nicht verloren. Gerade in Berlin müssen wir deutlich machen, dass es nicht um Fukushima geht oder den Libyen-Einsatz. Es geht um Themen wie die Einheitsschule oder flächendeckend Tempo 30, wie etwa die Grünen fordern. Da müssen wir in die Offensive gehen und zeigen, dass es neben den Sozialromantikern von Grünen, SPD und Linkspartei noch ein liberales Korrektiv gibt und weiterhin geben muss.
Das Bedürfnis nach einem liberalen Korrektiv haben gerade mal drei Prozent der Berliner.
Auch in Berlin gab es in der FDP vor einigen Jahren einen Neuanfang, mit vielen neuen, jungen, frischen Gesichtern, die nicht so bekannt sind bisher. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die FDP nicht ins Abgeordnetenhaus kommt. Ohne ein liberales Gegengewicht wird etwas fehlen. Schließlich ist Berlin nach zehn Jahren Rot-Rot bei nahezu allen Wirtschafts-, Sozial- und Armutsrankings Letzter. Aber klar, regieren werden wir vermutlich nicht.
Wieso denn nicht? Gegen Rot-Rot könnten sich ja auch andere Formationen bilden.
Sicher, eine Jamaika-Koalition ist theoretisch denkbar. Aber sie ist in Berlin doch sehr unwahrscheinlich. Aber es wäre allemal besser als dieser rot-rote Stillstand, nein, es sind eher Rückschritte, die wir seit Jahren in Berlin ertragen müssen.