Die Rolle Deutschlands bei der irischen Krise

Unter den Schirm getrieben

Wochenlang sprachen deutsche Politiker über einen drohenden irischen Staatsbankrott. Nun muss Irland den europäischen Rettungsfonds in Anspruch nehmen.

Die irische Regierung wird massive Hilfen in Anspruch nehmen müssen, um den Kollaps ihrer Staatsfinanzen zu verhindern. Am Sonntag einigten sich die Finanzminister der Eurozone auf eine generelle Zusage, das Land unter den »Euro-Rettungsschirm« zu nehmen. Irland benötigt nach Schätzungen von Experten zwischen 40 und 100 Milliarden Euro, um seine Bankenkrise in den Griff zu bekommen. Der Sanierungsplan sieht offenbar Hilfen der Euro-Staaten, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und aus dem EU-Haushalt vor, die durch bilaterale Kredite aus Großbritannien und Schweden ergänzt werden sollen. Noch vor einer Woche hatte die irische Regierung dementiert, auf finanzielle Hilfe aus dem europäischen Rettungsfonds angewiesen zu sein.

Zu diesem Schritt genötigt wurde Irland offenbar nicht zuletzt durch die deutsche Bundesregierung. Denn dass die Rettung des vom Zusammenbruch bedrohten irischen Bankensystems die Regierung unter Brian Cowen in schwere Bedrängnis gebracht hatte, war seit längerem bekannt. Der irische Staat hat Sicherheiten für das marode Bankensystem des Landes übernommen und hat deshalb einen völlig überschuldeten Haushalt. Irland steuert in diesem Jahr auf ein Etatdefizit von 32 Prozent zu. Die Mutmaßungen deutscher Politiker über eine mögliche Zahlungsunfähigkeit Irlands setzten offenbar eine Dynamik in Gang, der zum Schluss nicht mehr standzuhalten war. Bereits vor zwei Wochen hatte der irische Finanzminister Brian Lenihan denn auch der deutschen Bundesregierung vorgeworfen, der starke Anstieg der Risikoprämien auf irische Staatsanleihen seit Anfang November sei auch auf Äußerungen deutscher Politiker zurückzuführen.
Er bezog sich auf die vehement vorgetragene Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), bei Rettungsaktionen für hoch verschuldete Staaten wie Irland künftig auch Anleihegläubiger heranzuziehen. Merkel hatte auf dem EU-Gipfel Ende Oktober einen entsprechenden Grundsatzbeschluss durchgesetzt. Die deutsche Re­gierung habe mit ihrer Haltung dazu beigetragen, dass die Zinsen für irische und portugiesische Staatsanleihen in die Höhe geschossen seien, sagte Griechenlands Ministerpräsident Giorgos Papandreou am Montag in Paris. Die deutsche Position zur Frage, wer für die Pleite eines Euro-Staates haften müsse, könne ein Land in die Pleite treiben. Die Bundesregierung drängt darauf, dass nach Ablauf des geltenden »Euro-Rettungsschirms« im Jahr 2013 auch private Investoren bei einem Staatsbankrott zur Kasse gebeten werden sollen.

Die Aussicht, zahlungsunfähigen Staaten künftig ihre Schulden stunden oder gar teilweise erlassen zu müssen, hat zu einer Flucht aus irischen Staatsanleihen geführt, das führte zum Fallen der Kurse und trieb die Renditen in die Höhe. Seit Monatsbeginn sind die Zinsen auf irische Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit um gut 1,8 Prozentpunkte gestiegen, Mitte November lagen sie bei neun Prozent. Die Zinsen auf portugiesische Staatsanleihen stiegen im selben Zeitraum von 6,1 auf 7,0 Prozent. Die Renditen sind ein Indikator für die Refinanzierungskosten, mit denen die Länder bei der Ausgabe neuer Staatsanleihen rechnen müssen. Nicht die Rekordverschuldung des irischen Staates machte es für die irische Regierung unausweichlich, den »Rettungsschirm« in Anspruch zu nehmen, sondern die Spekulation auf irische Staatsanleihen, die vor allem durch die Bundesregierung ausgelöst und auf EU-Ebene politisch unterstützt wurde.
Dass die deutsche Regierung im Alleingang ihre Dominanz innerhalb der EU ausspielt, stößt zunehmend auf Unmut. Die deutschen Umschuldungspläne hätten die Bailouts von Irland und Portugal wahrscheinlicher gemacht, bemerkte die Financial Times in der vergangenen Woche. Beim Umgang der deutschen Regierung mit hoch verschuldeten EU-Staaten geht es auch um die ökonomischen Interessen deutscher Großbanken. Die FAZ berichtete, dass diese gegenüber irischen Schuldnern rund 138 Milliarden Dollar an Forderungen halten.
Allein die Forderungen der verstaatlichten Hypo Real Estate (HRE) gegenüber dem irischen Zen­tralstaat und den Gebietskörperschaften würden sich auf 10,3 Milliarden Euro belaufen. In den ersten neun Monaten dieses Jahres hat die HRE weitere Verluste von 1,1 Milliarden Euro angehäuft. Sollten nun auch noch im Fall eines Staatsbankrotts die irischen Verbindlichkeiten abgeschrieben werden müssen, wäre dies ein katas-trophales Zeugnis für die Bankenrettungspolitik der schwarz-gelben Regierung. Aber auch zahlreiche deutsche Banken, die bisher nicht am Abgrund stehen, halten hohe Bestände an irischen Staatsanleihen.
Darüber hinaus dürfte die Bundesregierung auch ein strategisches Motiv für ihren Umgang mit Irlands Finanzkrise haben, wie es schon bei der deutschen Haltung gegenüber Griechenland zu beobachten war. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte bereits vor der EU-Ministerkonferenz von harten Auflagen gesprochen, an die der Sanierungsplan für Irland geknüpft sein werde. Europäische Politiker hatten eine Erhöhung der Unternehmenssteuer vorgeschlagen, die mit 12,5 Prozent in Irland so niedrig ist, dass sie in den vergangenen Jahrzehnten viele ausländische Unternehmen angelockt hat, zur Verärgerung anderer EU-Regierungen. Dieser Schritt wird bisher von der irischen Regierung abgelehnt, die um die Attraktivität für ausländische Unternehmen fürchtet. Ob die Regierung unter Cowen derzeit noch in der Position ist, sich Forderungen ihrer Geldgeber widersetzen zu können, kann allerdings bezweifelt werden. Realistisch ist wohl ebenfalls, dass es zu Privatisierungen von Staatsbetrieben und drastischen Kürzungen im Sozialsystem kommen wird. Irische Medien berichteten, das am Sonntag beschlossene Sparprogramm der Regierung umfasse unter anderem Kürzungen bei der Kinderunterstützung, den Mindestlöhnen und dem Arbeitslosengeld. Bis 2014 sollen 15 Milliarden Euro eingespart werden.

Finanzpolitisch bewegen sich die Eurostaaten auf einem schmalen Grat. Der öffentliche Schuldenstand erhöhte sich 2009 bedingt durch die diversen Konjunkturprogramme und Bankensanierungen insgesamt auf 79,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Im Jahr 2008 lag er bei 69,8 Prozent. Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, die Krisenherde in Europa in den Griff zu bekommen und zugleich eine Dynamik neoliberaler Umstrukturierungen zu bewirken, die zu einer Verschiebung politischer Kräfteverhältnisse führt. Die regelrechte Entmündigung ökonomisch angeschlagener EU-Staaten, die zu Wirtschaftsprotektoraten der EU und ihrer wichtigsten politischen und ökonomischen Zentren, Frankreich und Deutschland, werden, ist nicht nur der Furcht vor dem eigenen finanziellen Zusammenbruch geschuldet. Diese Entmündigung ist auch Teil einer Schockstrategie, die hochverschuldete Länder mehr als bisher auf die Bedürfnisse des ökonomischen Zentrums zurichtet. In Irland selbst hat die Demütigung, die eine Inanspruchnahme des »Rettungsschirms« bedeutet, zu einer Regierungskrise geführt. Für die Bevölkerung wirkte dieser Schritt wie ein Schock, es kam zu ersten spontanen Demonstrationen vor dem irischen Parlament. Diverse »Analysten« richten ihren Blick allerdings schon auf die nächsten potentiellen Krisenfälle, die damit rechnen müssen, in ähnlicher Weise von der deutschen Regierung und der EU unter den »Rettungsschirm« gedrängt zu werden: Spanien und Portugal.

Siehe auch Kommentar