Heute nur Klavier

Komische Oper Berlin – geförderte Staatskultur. Heute gibt’s »Orlando« von Händel. So alt, so neu – es geht um die Liebe, die war schon damals schlimm. Ritter Orlando ist unsterblich in Angelica verliebt, die liebt aber Medoro, den auch Dorinda … usw. Das Libretto war schon immer die Achilles-Ferse der Oper. Die Komische Oper ist das kleinste Haus unter den drei Singspielstätten Berlins. Die Besonderheit: Hier wird der Verständlichkeit halber Deutsch gesungen, Oper ist schon unverständlich genug. Und: Männer werden von Frauen in Frauenkleidern gespielt. Jedenfalls in dieser Inszenierung.
Der Theaterbeamte kommt auf die Bühne – ohne Kleid. Dorinda, sagt er, also ihre Darstellerin, hat Schnupfen. Deshalb hat man die mexikanische Sopranistin Rebeca Olvera einfliegen lassen. Sie singt allerdings nur italienisch. Sage einer, heute wäre nichts los.
Das kleine Orchester und die Sängerinnen weben einen Klangteppich, das Publikum schwebt sachte dahin. Alsbald kommt der Typ vom Anfang wieder. Das Orchester ist in den Streik getreten und fordert eine Lohnerhöhung. Wir können gehen und kriegen einen Gutschein. Oder wir bleiben sitzen. Man schafft ein Klavier herbei, die Arrangeurin wird die zweite Halbzeit bestreiten. Uff, unterstützen wir die Streikbrecher, wenn wir sitzen bleiben? Schön, dass sich die Realität Zeit genommen hat für die Kunst!
Am nächsten Tag suche ich mir einen Gewerkschaftssekretär, um die Streikbrecherfrage zu klären. »Klar hast du die unterstützt«, meint er, »obwohl: Was ist, wenn die Pianistin verbeamtet ist? Dann wär’s vielleicht egal.«
Hintergehe ich die streikenden BVG-Mitarbeiter, wenn ich die ­S-Bahn nehme? »Nö«, sagt der Fachmann. »Du erhöhst damit den Druck, weil du mit deinem Körper für mehr Chaos im Verkehr sorgst.«
Ob Ritter Orlando und BVG-Fahrer gleichzusetzen sind, das bleibt dann doch offen. Der Körper ist im Chaos.