Der Bürgermeister von Moskau ist entlassen worden

Die Hände über Moskau

Der abgesetzte Moskauer Bürgermeister Jurij Luzhkow hat angekündigt, eine neue politische Bewegung für mehr Demokratie und die Einführung von Bürgermeisterwahlen gründen zu wollen.

Der Moskauer Bürgermeister Jurij Luzhkow, der wegen seiner typischen Kopfbedeckung einfach nur »der Mann mit der Mütze« genannt wird, ist Ende September zurückgetreten. Seinen Dienst hat der wohl mächtigste Lokalfürst Russlands jedoch keineswegs freiwillig quittiert. Der Kreml gönnte ihm zunächst eine Woche Sonderurlaub, »zum Nachdenken«. Hätte Luzhkow die Zeichen der Zeit erkannt, wäre er nach 18 Jahren als Oberhaupt einer der reichsten Metropolen der Welt in allen Ehren entlassen und mit einem alternativen, wenn auch dekorativen Posten bedacht worden. Nun fertigte ihn der russische Präsident Dmitrij Medwedjew unrühmlich ab. »Vertrauensverlust«, lautete die Begründung.

Luzhkows Rückhalt im Kreml schwand schon seit Jahren. Gründe dafür gab es viele, allerdings wird man vergeblich nach einem einzigen ausschlaggebenden Anlass suchen. Sicher ist, dass er einer aussterbenden Spezies angehörte. Im Land der gelenkten Demokratie sind mit Machtattributen ausgestattete Volkstribunen nicht nur rar gesät, sondern vollkommen überflüssig. In dieser Hinsicht setzt Medwedjew die Politik von Wla­dimir Putin zielstrebig fort. Mächtige Provinz­oberhäupter aus Luzhkows Generation haben ihre Karriere in den vergangenen Monaten not­gedrungen beendet oder stehen kurz davor. Zu viel Eigenmächtigkeit zieht auch in der jüngeren Gouverneursriege negative Konsequenzen nach sich.
Doch Moskau stellt zweifellos einen Sonderfall dar. Nicht nur, weil das Treiben des Bürgermeisters direkt vor den Toren des Kremls stattfand, sondern weil die enormen Profite der Stadt an der zentralen Staatsmacht vorbei flossen. Luzhkows Ehefrau, Jelena Baturina, spielte dabei eine wichtige Rolle. Sie war nicht nur für die Kapitalanreicherung im Ehebund der beiden zuständig, sie ist auch Chefin des Business-Impe­riums Inteko und dem US-Magazin Forbes zufolge die drittreichste Frau der Welt. Der nach der Jahrtausendwende durch hohe Ölpreise begünstigte Bauboom in der russischen Hauptstadt ­katapultierte die umtriebige Geschäftsfrau in den Kreis der Milliardäre. Ohne den Status ihres Mannes wäre ihr dieser Sprung wohl kaum gelungen, und auch die Wirtschaftskrise konnte ihr Firmengeflecht nur dank dieser Familienbande unbeschadet überstehen. Von nun an wird sie einer harten Konkurrenz ausgesetzt sein, denn Moskaus Geschäftswelt bedindet sich seit einiger Zeit in einem gigantischen Umverteilungsprozess. Dieser zeigt sich zum Beispiel in der Schließung des größten Moskauer Warenumschlagplatzes, des Tscherkizow-Marktes, im Sommer vergangenen Jahres und in einer Reihe von Firmenübernahmen im Stile der neunziger Jahre.

Luzhkow kündigte im Zorn seine Mitgliedschaft in der Kremlpartei Einiges Russland auf. Trotz seiner 74 Jahre will er weiter kämpfen, nun in der Opposition. Er kündigte an, eine neue politische Bewegung für mehr Demokratie und die Wiedereinführung von Bürgermeisterwahlen gründen zu wollen. Seit der Präsidentschaft Putins werden Gouverneure in Russland nicht mehr gewählt, sondern ernannt. So gesehen ist Luzhkow der letzte gewählte Bürgermeister Moskaus gewesen. Seine Popularität lässt sich nicht allein durch die üblichen Manipulationen bei russischen Wahlen erklären. Vielmehr basiert sie auf einem erfolgreichen System sozialer Vergünstigungen aus dem städtischen Budget für Rentner und weitere Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen, den sogenannten Luzhkower Zuschlägen. Diese sollen nicht abgeschafft werden, teilte nun die Interimsregierung mit. Zumindest nicht 2011, im Jahr der Parlamentswahlen.
Der Bürgermeisterwechsel könnte durch das Machtvakuum übergangsweise einige Vorteile mit sich bringen, wie eine Entschärfung des faktisch bestehenden Demonstrationsverbots in der Stadt oder die Einstellung umstrittener Bauvorhaben. Langfristig wird sich in Moskau aber vermutlich nicht viel ändern.