Die Kiezfilme »Rollo Aller«

Daddel und Eule machen weiter

Nach den Hamburger Kiezfilmen »Rollo Aller 1« und »Rollo Aller 2« kommt jetzt – logisch – »Rollo Aller 4«. Sogar bis nach Berlin.

Ich halte uns schon mal einen Chair frei«, sagt eine Mittzwanzigerin in dunkler Polyester-Jacke und einem grauen American-Apparel-Top, engem Rock und noch engeren Leggins zu ihrer Freundin, die schnell noch zur Theke hastet. Die beiden sind in den Festsaal Kreuzberg zur Premiere von »Rollo Aller 4« gekommen. Der Film ist der neueste Teil der Trash-Saga um den Spielautomatenzocker Daddel (Reverend Christian Dabeler) und den Möchtegern-Rocker Eule (Rocko Schamoni), die alles versuchen, um aus ihrem Leben das Beste zu machen, und dabei immer gegen die da oben sind.
»Rollo Aller« ist guter Trash, und der hört sich so an wie beispielsweise in »Rollo Aller 1«: »Ey, Daddel, du alder Bumsknochen, komm mal raus, ey!« »Was’n los, du Penner, ich hab’ grade ’ne Bonus-Serie!« »Komm ma’ mit, ey, ich muss was mit dir bequatschen. Ich hab’ die Faxen digge, ey, wir machen uns vom Acker, wir hauen ab von der ganzen beschissenen Gesellschaft, ey.« »Du bis’ doch nich’ ganz schussecht. Was’n mit deiner Arbeit?« »Hab’ ich gekündigt. Ey, ich lass mich doch nich’ hundert Jahre ins Knie ficken von die Bonzen oder was.«
Nicht nur dieser großen Dialoge wegen gehören die Filme, in denen zwei unbeholfene Prolls »raus aus der Gesellschaft, rein in den Rock« wollen und das auch noch »gegen den Staat, denn ich bin gut drauf«, für einen Hamburger mit Kiez-Prägung zum offiziellen Bildungskanon. Für den ist es also schwer zu verstehen, wieso der Saal in Berlin mit 80 Prozent Prenzelbergern in engen Karotten-Jeans, Pony-Schuhen und bunten Plastikjacken besetzt ist. Ist der Trash mit Eule und Daddel also doch schon Hamburger Hype und nicht mehr bloß Untergrund-Kult?
Auch Schamoni in seinem schwarzen Hemd, der weißen Hose und mit einer Goldkette mit einem Anhänger, auf dem »Sheila« steht, schaut sich um, als sei ihm die Menge suspekt.
Der Laden ist immerhin voll: 40 Rollo-Fans mehr als Sitzplätze. Schamoni, der seit kurzem mit der Crew auf der Bühne sitzt, um einiges über die Entstehungsgeschichte der Filme zu erzählen, spricht erst mal alle Exil-Hamburger an. »Wieso seid ihr eigentlich in Berlin? Ist doch scheiße hier. Die Jungs aus dem Film waren da aber schon früher schlauer«, sagt er in Anspielung auf den Versuch von Eule und Daddel, von Hamburg aus über Berlin nach Hongkong zu kommen, genauer gesagt: »nach Bruce Lee sein Grab«.
Allerdings scheitern Eule und Daddel auch kläglich, und das schon recht bald. Gerade mal zwei Tage brauchen die beiden Prolls in »Rollo Aller 2« für die Erkenntnis, dass das Berliner Pflaster nichts für einen Hamburger Jung ist. Die Mischung aus Geldnot, Blowjob, Kokain und Prügel ist für beide zu heftig.
Wieso nach »Rollo Aller 2« nun der vierte Teil kommt, verwundert natürlich jeden, der bis vier zählen kann. Das Kuriosum hat einen technischen Grund. Henrik Peschel, der Regisseur der beiden Vorgängerfilme, ist nun schon seit 14 Jahren damit beschäftigt, das richtige Schnittmuster für den dritten Teil zu finden, deshalb wurde lieber erst mal der vierte Teil fertiggestellt. Kleine Fragmente aus dessen theoretischem Vorgänger kann das Publikum dennoch begutachten. Die am heftigsten bejubelte Szene ist, als Rocko Schamoni in der Rolle eines Regisseurs eine Schauspielerin zusammenstaucht: »Ich nehm der die Schlampe einfach nicht ab. Sag mal, warst du auf der Schauspielschule?« »Ja, war ich.« »Dann können wir mit dir nichts anfangen.« Es ist eine Anspielung auf den Filmemacher Klaus Lemke, der in seinen Low-Budget-Filmen immer nur Laien auftreten lässt. Lemkes Film »Rocker« ist neben »Nordsee ist Mordsee« von Hark Bohm die Hauptinspiration für die »Rollo-Aller«-Serie.
Und dann beginnt endlich der vierte Teil. Er ist ein 500 Euro teures Geburtstagsgeschenk an Peschel von seinen Freunden Markus Tetzlaff und Thorsten Stegmann gewesen, die im Abspann als Regisseur und Produzent genannt werden. Ähnlich wie kleine Jungs, die ihrem Freund zum Geburtstag ein Computerspiel schenken, mit dem sie selbst spielen wollen, verhielten sich auch Tetzlaff und Stegmann. »Wir konnten einfach nicht mehr warten, bis Hennah (Peschel) mit seiner Schneiderei fertig war. Wir wollten endlich einen neuen Teil sehen«, erklärt Tetzlaff.
Die Handlung des vierten Teils ist schnell erzählt. Eule und Daddel planen mal wieder was. Sie wollen einen Beach-Club aufmachen. Dafür klauen sie drei Bierbänke, zwei Kisten Astra und kaufen für den kleinen Hunger, den das Biertrinken mit sich bringt, eine »Partybombe«, die 36 Knackwürste beinhaltet. Nebenbei schmeißt Eule einigen Frauen seine Wohnungsschlüssel, die er im Dutzend mit sich herumträgt, vor die Füße und sagt jedes Mal: »Wenn du mal nicht weißt, wo du pennen sollst, ne. Bei mir ist immer ein Platz frei.« Bis auf eine Polizistin, die den Beach-Club schließt, kriegt er damit aber keine rum.
Christian Dabeler als Daddel trägt in »Rollo Aller 4« genau den gleichen Anzug wie vor 14 Jahren, Rocko Schamoni tritt dagegen ohne sein berühmtes USA-T-Shirt aus den ersten beiden Teilen auf. »Eigentlich wollte ich mir noch ein neues kaufen. Aber bei den Türken, bei denen ich das T-Shirt früher gekauft habe, gibt es die Dinger nicht mehr«, erklärt der Autor des Erfolgsromans »Dorfpunks« erstaunt. Aber dafür hätten die Türken in ihren Läden jetzt Feuerzeuge mit den zwei Türmen des World Trade Center drauf, fügt er hinzu, und wenn man bei denen draufdrücke, explodieren die Tower.
Ja, es hat sich einiges geändert seit dem vorigen Teil der Saga. Und das machte Reverend Christian Dabeler am Anfang der Dreharbeiten auch ein wenig melancholisch. »Als ich Rocko im Eule-Outfit in die Augen sah, dachte ich nur: Da stehen sich jetzt zwei Typen gegenüber, die seit 14 Jahren jegliche Entwicklung verweigert haben«, sagt er ein wenig fassungslos. Doch dem Publikum gefällt das so.
Was eingefleischten Fans dagegen ein wenig abgehen wird, ist, dass die vierte Wand im neuen Teil eingerissen wurde. Eule und Daddel wissen nun, dass sie in zwei Filmen mitgespielt haben, und deswegen heißt es jetzt nicht mehr »Raus aus der Gesellschaft«, sondern »Raus aus dem Film«. Dabeler war anfangs dagegen, die Meta-Ebene aufzumachen, so kann man erfahren: Es war ihm zu selbstreferentiell. Schamoni aber bestand darauf. »Das ist wie mit einer Beziehung, bei der nichts mehr vorankommt und man sich wünscht, dass sie vorbei ist. Beim dritten Teil geht ja auch nichts mehr voran«, rechtfertigt er den neuen Dreh in »Rollo Aller 4«. Mehr will er dazu aber nicht sagen. Er will jetzt Rum und Cola trinken.
Doch die Verantwortlichen geben schon mal Ausblick auf einen fünften Teil, und Henrik Peschel werde das mit dem dritten Teil auch noch hinbekommen, so die einhellige Meinung der Hamburger.