»Das Abschiebelager ist jetzt geschlossen«

Chiara Lauvergnac

Vor zwei Wochen kam es zu einem Aufstand im Abschiebelager Harmondsworth (Foto) in der Nähe des Londoner Flughafens Heathrow. Harmondsworth, in dem rund 2 000 Flüchtlinge untergebracht waren, wird im Auftrag des britischen Innenministeriums von dem Privatunternehmen Kalyx betrieben. Am Tag vor dem Ausbruch der Unruhen hatte die Regierungsbeauftragte für Gefängnisse, Anne Owers, einen Report über Harmondsworth veröffentlicht. Sie bezeichnete die Zustände dort als die schlimmsten, über die ihre Behörde jemals einen Bericht verfasst habe. Mit Chiara Lauvergnac, die mit No Border London mehrmals Proteste gegen Harmondsworth organisiert hat, sprach Fabian Frenzel.

Wie begann der Aufruhr in Harmondsworth?

Das ist nicht völlig klar. Aber es ist wohl am Dienstagabend gegen 22 Uhr im B-Flügel losgegangen, als einer der Wärter versuchte, die Insassen vom Fernsehen abzuhalten und das Gerät auszuschalten. Dort wurde über den Report der Regierungsbeauftragten für Gefängnisse berichtet, nach dem Harmondsworth in einem sehr schlechten Zustand ist. Insassen erzählten, dass sich der Aufstand danach auf die anderen vier Flügel ausweitete. Es gab eine Menge Zerstörung, es wurde Feuer gelegt, die elektrischen Anlagen wurden zerstört und auch Wasserrohre aufgebrochen. Was gefährlich war, denn Wasser und Elektronik gehen nicht gut zusammen. Das Ganze ist im Endeffekt aber ziemlich glimpflich verlaufen.

Einige der Insassen wurden in den Innenhof evakuiert, wo sie die ganze Nacht in der Kälte verbringen mussten. Andere waren im Gebäude eingesperrt, weil die elektrischen Türen nicht mehr funktionierten. Sie hatten einiges auszustehen, denn der Rauch von den Feuern breitete sich aus und die Temperatur im Gebäude stieg, weil die Belüftung ausgefallen war.

Wie haben die Wärter reagiert?

Die meisten Wärter sind geflohen, wie sie das immer tun, wenn etwas passiert. Viele sind sofort nach Beginn der Unruhen verschwunden. Die Polizei kam um vier Uhr morgens, aber sie hat zunächst nicht eingegriffen, erst etwa Mitte des nächsten Tages. Nachdem wir Berichte von Insassen bekommen haben, dass die Situation eskaliere, haben wir mehrmals die Polizei und die Feuerwehr angerufen. Sie haben aber nichts getan. Sie sagten uns nur, sie hätten alles unter Kontrolle. Das behaupteten sie auch noch am nächsten Abend, als einige der Insassen bereits 24 Stunden ohne Wasser und Essen hatten auskommen müssen. Einige hatten auch Rauchvergiftungen und keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung. Manche berichteten davon, von den Wärtern geschlagen worden zu sein.

Wie kamen Sie an diese Informationen?

Das war natürlich sehr schwierig. In der Nacht habe ich telefonisch mit einigen Flüchtlingen gesprochen, aber viele Telefone waren nicht zugänglich wegen der Feuer. Und als ich schließlich am nächsten Morgen mit Insassen sprach, wurden wir von den verbliebenen Wärtern unterbrochen, die solche Gespräche offensichtlich verhindern wollten. Auch die Polizei hat versucht, die Kommunikation zu verhindern. Die BBC hatte tagsüber einen Hubschrauber über dem Abschiebelager fliegen lassen, und die Insassen, die auf dem Innenhof ausharrten, sahen das. Sie haben dann mit Betttüchern Worte wie »Hilfe« und »SOS« in den Hof geschrieben , was die BBC im Fernsehen sendete. Kurz darauf wurde der Luftraum über dem Lager gesperrt, und das BBC-Team musste abfliegen. Wenig später erschien ein Polizeihelikopter.

Was passiert jetzt in Harmondsworth?

Das Abschiebelager ist geschlossen, weil es so schlimm zerstört wurde. Wir wissen zwar, dass die meisten Insassen in anderen Abschiebelagern und auch Gefängnissen sind. Aber von 70 Menschen war der Aufenthaltsort bis zum Wochenende nicht klar. Ohnehin waren die Insassen länger als erwartet – bis 24 Stunden nach dem Ausbruch der Unruhen – dort im Lager geblieben, denn das Innenministerium wusste nicht, wohin mit ihnen. Die Polizei kam mit einer beeindruckenden Anzahl von Transportern, doch viele mussten leer wieder abfahren. Letztlich wurden insgesamt 150 Abschiebehäftlinge auf Kaution entlassen, um Platz zu schaffen.

Das Abschiebelagersystem ist nicht nur nicht mit den Menschenrechten vereinbar, es ist auch praktisch kaum zu bewältigen. Das hat auch der Aufstand in Harmondsworth gezeigt. Sowohl das Privatunternehmen Kalyx als auch die Behörden scheinen überfordert zu sein.

Der Innenminister John Reid nannte den Aufruhr »zielgerichtete Sabotage«.

Das ist doch ein lächerlicher Vorwurf. Es gab keinen Plan, Harmondsworth zu sabotieren. Der Aufruhr wurde durch die Wärter selber ausgelöst und durch einen Bericht, der bestätigt, dass in Harmondsworth eine untragbare Situation herrscht. Viele Häftlinge sind natürlich wütend und frustiert. Aber es ist der Innenminister, der diese Situation politisch zu verantworten hat. Reid hat es natürlich nicht für nötig befunden, den Report selber zu kommentieren.

Das war nicht der erste Aufruhr in einem Abschiebelager?

Es gibt eine lange Geschichte der Aufstände. Seit Harmondsworth im Jahr 1999 in Betrieb genommen wurde, hat es fünf Selbstmorde gegeben und unzählige Selbstmordversuche. Im Jahr 2004, nach einem Selbstmord, platzte den Insassen der Kragen, der Aufstand dauerte drei Tage und konnte nur mit Spezialpolizeikräften beendet werden. Auch damals war das Lager im Nachhinein lange nicht nutzbar.

Im April dieses Jahres sind Häftlinge im Abschiebelager Colnbrook in einen Hungerstreik getreten. Das war ein wichtiger Augenblick der Politisierung. Der Hungerstreik hatte nach einer Protestaktion verschiedener britischer Menschenrechtsgruppen vor dem Lager begonnen und war der längste und am besten organisierte, den wir bisher erlebt haben. Es gelang sogar, einige Flüchtlinge freizubekommen. Wir stehen seitdem in engem Kontakt zu den Insassen.

Wie reagiert der Staat auf diese Proteste?

Im Jahr 2004 wurden einige Insassen wegen Rädelsführerschaft und Sachbeschädigung verurteilt. Sie wurden ziemlich willkürlich ausgewählt und angeklagt. Wir fürchten, dass es diesmal einen ähnlichen Versuch geben wird. Es hat übrigens nie eine Verurteilung von Gefängnismitarbeitern gegeben, obwohl wiederholt Berichte darüber erschienen – etwa Untersuchungen von Seiten der Behörden, aber auch von den Medien –, dass es Rassismus und Missbrauch in Harmondsworth und anderen Abschiebelagern gibt.

Erwarten Sie eine Änderung der Politik angesichts der Probleme mit den Lagern?

Die Regierung scheint nichts aus den Vorfällen zu lernen. Es gibt einen Report nach dem anderen, und nichts wird verändert, keine Vorschläge werden in die Tat umgesetzt. Es wurde zum Beispiel trotz wiederholter Empfehlung nichts getan, um die psychologische Betreuung der Flüchtlinge zu verbessern.

Einige politische Gruppen und auch Labour-Abgeordnete haben gefordert, dass Harmondsworth wieder direkt vom Innenministerium betrieben wird, damit es eine direkte politische Verantwortung gibt. Zurzeit macht mit Kalyx ein Unternehmen Profite mit dem Betrieb des Lagers. Aber das Ende der Privatisierung würde das Problem nicht lösen, denn das Problem ist die Existenz dieser Lager selbst. Egal, wie sie verbessert werden, sie bleiben Institutionen eines inhumanen Grenzregimes.