Schweigen ist die erste Bürgerpflicht

Die spanische Regierung hat ein Gesetz zur Rehabilitierung der Opfer des Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur vorgelegt. Die Täter zu benennen, traut sie sich aber nicht. von thorsten mense

Dank der katholischen Kirche, des spanischen Militärs und Francisco Franco konnte das katholische Spanien die kommunistische Attacke überstehen.« Dies erklärte der polnische Europa-Abgeordnete Maciej Marian Giertych Anfang Juli im Europa-Parlament. Während der Sitzung, in der eigentlich die Franco-Diktatur verurteilt werden sollte, kam es daraufhin zu Tumulten. In Spanien sind Ansichten wie die von Giertych jedoch durchaus weit verbreitet. Viele Bürger sind davon überzeugt, dass es General Franco gewesen sei, der die Grundlagen für das heutige wirtschaftlich starke und in Europa integrierte Spanien gelegt habe.

Ende Juli hat die Regierungspartei Psoe nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Opfer des spanischen Faschismus zumindest moralisch rehabilitieren soll. Angehörige von Opfern des Bürgerkrieges (1936 bis 1939) und der Diktatur haben nun Anspruch auf Entschädigung, eine juristische Annullierung der unter Franco gefällten Urteile sieht das Gesetz aber ausdrücklich nicht vor. Der Entwurf ist daher mit wenigen Ausnahmen nicht viel anderes als eine Fortführung des so genannten Pakt des Vergessens. Der umständliche Name des Gesetzes steht dabei exemplarisch für das komplizierte Verhältnis vieler Spanier zu ihrer Landesgeschichte: »Gesetz zur Anerkennung und Erweiterung der Rechte und Ergreifung von Maßnahmen für diejenigen, die Verfolgung und Gewalt während des Bürgerkriegs und der Diktatur erlitten«.

Nach dem Tod Francos und damit dem Ende der Diktatur im Jahr 1975 einigten sich die »beiden Spanien« – das republikanische und das franquistische – auf die Transición, den langsamen Übergang von der Diktatur zur Demokratie. Faktisch bedeutete dies ein Totschweigen des Terrors und der Unterdrückung und damit ein unbeschwertes Leben für die meisten Verantwortlichen. Auf republikanischer Seite wurde die Nicht-Aufarbeitung mehr aus Angst vor neuer Gewalt als aus Sehnsucht nach Frieden akzeptiert. Denn das Militär war noch stark, und die alten Eliten aus Kirche und Anhängern von Franco hatten weiterhin großen Einfluss. Dies zeigte sich nicht nur durch den fehlgeschlagenen Putschversuch im Jahr 1981. Doch hoffte man auf linker Seite, die Aufarbeitung der Vergangenheit sei nur aufgeschoben, bis der Übergang zur Demokratie stattgefunden habe und die Gesellschaft reif sei.

30 Jahre nach dem Ende Francos zeigt sich, dass die alten Eliten noch immer da sind und mit Erfolg eine ernsthafte Beschäftigung mit der faschistischen Vergangenheit verhindern können. Bisher hatten sich alle Staatspräsidenten an das Schweigeabkommen gehalten, obwohl die sozialdemokratische Psoe, die in republikanischer Tradition steht, jahrzehntelang die Regierung stellte. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero war jedoch im Jahr 2004 mit dem Versprechen zur Wahl angetreten, dieses Schweigen zu brechen.

In dem vorgelegten Gesetzentwurf wird nun aber kein Unterschied gemacht zwischen franquistischem Terror und antifaschistischem Widerstand. Die Aufarbeitung der Vergangenheit bedeutet in Spanien wie in den meisten anderen postfaschistischen Demokratien vor allen Dingen, die Täter nicht beim Namen zu nennen und alle Menschen als Opfer einer Tragödie darzustellen, für die niemand wirklich die Verantwortung trägt. In Artikel sieben des Gesetzes heißt es ausdrücklich, dass weder die Verantwortlichkeit von staatlichen Behörden noch die Identität der Beteiligten Teil der Erklärungen sein darf, durch die die Opfer öffentlich rehabilitiert werden sollen.

Auch der restliche Text des Entwurfes ist sehr vorsichtig formuliert. Das Ausheben von Massengräbern, in denen noch immer über 30 000 Tote verscharrt liegen, müssen weiterhin private Initiativen organisieren, sie sollen aber von den Behörden unterstützt werden. Denkmäler, die nur einer der beiden Bürgerkriegsparteien gewidmet sind, sollen entfernt oder zu Gedenkstätten für alle Opfer umgestaltet werden. Versöhnung, nicht Konfrontation ist das erklärte Ziel.

Deswegen steht Zapatero nun vor allem in der Kritik der Linken und der Opferverbände, denen 30 Jahre Schweigen genug sind. Die Opfervereinigung Foro de la memoria bezeichnete den Entwurf als »eine Form des Geschichtsrevisionismus, die in anderen Ländern durch das Gesetz verfolgt werden würde«. Andere Verbände betrachten den Text als »beschämend«, der Fraktionssprecher der Republikanischen Linken ERC Joan Tardá sprach von einem »Akt des Zynismus«. Selbst amnesty inter­national erklärte, durch den Inhalt des Gesetzes »entferne man sich von den internationalen Normen der Menschenrechte«.

Die Volkspartei PP, gegründet von dem ehemaligen franquistischen Minister Manuel Fraga, will sich hingegen am liebsten überhaupt nicht mit dem Thema befassen. In der Sitzung des Europaparlaments, die sich mit der Franco-Diktatur beschäftigen sollte, wartete man während der Rede des spanischen Abgeordneten der europäischen Volkspartei, Jaime Mayor Oreja, vergebens auf eine Distanzierung vom franquistischen Regime und seinen Verbrechen. Den Gesetzesentwurf bezeichnete der Vorsitzende des PP, Mariano Rajoy, daher erwartungsgemäß als »enormen Fehler«, der nur dazu führe, »Probleme zu schaffen, wo es bisher keine gab«.

Dass die Konservativen dagegen sind, zum Beispiel die Verbrechen der Todesschwadronen der Falange während der Diktatur aufzuarbeiten, überrascht nicht. War doch sogar der von 1996 bis 2004 amtierende Ministerpräsident José María Aznar in seiner Studienzeit ein Angehöriger dieser rechtsextremen Gruppe gewesen. Sämtliche unter Franco entstandenen Organisationen dürfen weiterhin ungehindert agieren und genießen in vielen Kreisen der Konservativen bis heute großes Ansehen.

Jedes Jahr am 20. November, dem Todestag Francos, wird deutlich, wie klein die Berührungsängste und wie groß die Übereinstimmungen zwischen der extremen Rechten und den etablierten Konservativen sind. Vergangenes Jahr waren es über 6 000 Menschen, die beim Festakt in der Valle de los Caídos (Tal der Gefallenen) 60 Kilometer vor Madrid mit ausgestrecktem rechten Arm dem Caudillo (Führer) sowie dem Gründer der Falange, José Antonio Primo de Rivera, huldigten.

Nach dem Gesetzentwurf sollen solche Veranstaltungen in Zukunft nicht mehr stattfinden dürfen. Dies wäre in der Tat ein großer Schritt nach vorne, um damit zu brechen, dass Huldigungen des Verbrechers Franco zur Normalität gehören. Wie das in der Praxis aussehen soll, weiß jedoch niemand. Denn eine Durchsetzung des Verbotes würde bedeuten, jedes Jahr im November nicht wenige PP-Funktionäre und hochrangige Kirchenvertreter in dem Mausoleum verhaften zu lassen.

Wahrscheinlich wird das institutionalisierte Schweigen weiter bestehen. Klar ist bisher nur: Die Mehrheit der Parlamentarier lehnt, wenn auch aus gegensätzlichen Gründen, den Gesetzentwurf ab.