Zähmung der Räuber

Streik in Guinea von ruben eberlein

Für Bescheidenheit hatten die beiden Gewerkschaften Guineas, die Anfang März einen fünftägigen Streik zur Durchsetzung höherer Gehälter organisierten, wenig übrig. Viermal soviel Lohn, durchschnittlich 200 statt 50 Euro, forderten sie für die Angestellten in der öffentlichen Verwaltung und den staatlichen Betrieben, denn die grassierende Inflation entwertet täglich den guineischen Franc, die Reis- und Kraftstoffpreise steigen gewaltig. Erkämpfen konnten die Streikenden 30 Prozent sowie Steuervergünstigungen in Höhe von zehn Prozent. Der Generalsekretär der USTG, Ibrahima Fofana, zeigte sich dennoch zufrieden: »Der Streik hat bewiesen, dass die Regierung ihre Methode, wie sie mit den Arbeitern umgeht, ändern muss.«

Am empfindlichsten dürfte die Regierung die Tatsache getroffen haben, dass die Streikenden die Bauxitminen und Exporthäfen geschlossen haben. In Guinea lagert Schätzungen zufolge ein Drittel der weltweiten Vorkommen dieses Grundstoffs für die Aluminiumherstellung. Die Minen werden in Joint Ventures betrieben, an denen der gui­neische Staat, die Konzerne Alcoa und Alcan, die Rousski Alumini (RusAl), die deutschen Vereinigten Aluminium-Werke (VAW) sowie US-amerikanische und französische Unternehmen Anteile halten. Nur ein Teil des Bauxits wird an Ort und Stelle von RusAl und künftig von japanischen Investoren raffiniert, der größte Teil wird unverarbeitet nach Asien und Europa ausgeführt. Guinea, dessen Bevölkerung in großer Armut lebt, ist eine zentrale Rohstoffquelle der internationalen Wirtschaft.

Das Land exportiert nach Statistiken des IWF jährlich Mineralien im Wert von rund 700 Millionen US-Dollar. Die Verteilung der staatlichen Einnahmen, die zu 75 Prozent aus dem Bergbaugeschäft – neben Bauxit und Aluminium auch Gold und Diamanten – stammen, ist der International Crisis Group (ICG) zufolge durch eine »generalisierte Plünderung« gekennzeichnet. Je höher die Stellung eines Beamten im Staatsapparat ist, desto größer ist sein Anteil an der Beute. Ein Teil der Ressourcen wird über den Verwaltungsapparat nach unten verteilt. Viele Familien sind auf das Einkommen eines einzigen Lohnempfängers in Staatsdiensten angewiesen und können nur mit Hilfe von Rücküberweisungen der großen Diaspora ihr Leben fristen.

Die gegenwärtigen Zugeständnisse der Regierung an die Gewerkschaften zeigen, dass die soziale und politische Ausgrenzung in Guinea nicht jenes Ausmaß erreicht hat, das zum Ausbruch der langen Kriege in den Nachbarländern Liberia und Sierra Leone Ende der achtziger Jahre beitrug. Allgegenwärtige klientelistische Loyalitäten werden relativiert durch ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein sowie die Erfahrungen mit den Kriegen in der Region und der Gewaltherrschaft im eigenen Land.

Vor 50 Jahren begann der Aufstieg des Gewerkschafters Sèkou Tourè, der ihn über ein Mandat in der französischen Nationalversammlung in den Präsidentensessel des unabhängigen Guinea führte. Armut in Freiheit, so lautete damals sein berühmtes Diktum, sei dem Reichtum in Sklaverei vorzuziehen. Er und seine Apparatschiks führten die antiimperialistische Republik jedoch in eine afrostalinistische Diktatur, in der Tausende umgebracht und zwei Millionen Menschen außer Landes getrieben wurden. Reichtum in Freiheit bleibt für die meisten Guineer auch heute ein verschwommener Traum. Die gegenwärtigen Kämpfe der Gewerkschaften für eine Zähmung der räuberischen Elitenherrschaft, so korporatistisch sie auch daherkommen, sind das wirksamste Mittel gegen den nach wie vor nicht ausgeschlossenen gesellschaftlichen Zusammenbruch.