Danke, Fifa, danke!

Die Eröffnungsgala für die Fußball-Weltmeisterschaft wurde von der Fifa abgesagt. Was uns allen deshalb entgeht, erklärt elke wittich

Deutschland hat die Fußball-WM von der Fifa nur geliehen – ein Umstand, der leider viel zu selten erwähnt wird. Denn als Franchise-Nehmer haben die Organisatoren mitnichten das Recht, diese Weltmeisterschaft so durchzuführen, wie es ihnen gerade gefällt, sondern müssen sich exakt an die Vorgaben des Weltverbandes halten. Nur Kleinigkeiten bleiben den Veranstaltern selber überlassen, was auch ganz gut ist, denn zum Beispiel die Vorschriften auszuarbeiten, wie das innenministerielle Verbot von Dreitage-Bärten bei Polizisten während der Großveranstaltung, erfordert eine Akribie, die einen Gutteil der administrativen Kräfte bis in den Juni hinein binden wird.

So bleibt zum Glück nicht viel Zeit, sich anderen Blödsinn auszudenken – sollte man denken. Von wegen!

Die primäre Beschäftigung der internationalen Funktionäre scheint es derzeit zu sein, groben deutschen Unfug während der Weltmeisterschaft zu verhindern. Ein solcher wäre das Abhalten einer Eröffnungszeremonie ganz unbedingt gewesen.

Leuten beim in aller Regel von schräg gespielten Nationalhymnen untermalten, mehr oder weniger gemessenen Herumschreiten auf einer Tartanbahn zuzuschauen, ist ziemlich langweilig und nur für diejenigen ein Leckerbissen, die sich gerne anschauen, was internationale Modeschöpfer alle vier Jahre als so genannte Olympia-Uniformen wehrlosen Sportlern antun. Insofern bestand eigentlich kein Grund, diesen Eröffnungsquatsch nun auch bei Fußball-Weltmeisterschaften einzuführen.

Der hätte nach Sachlage zudem auch noch aus all dem bestanden, woraus Sportzeremonien eben so bestehen: Schlecht gekleidete Sportler laufen unter dem mehr oder weniger lauten Jubel der Zuschauer einmal im Kreis herum und tun so, als hätten sie trotz der drückenden und schlecht eingelaufenen neuen Schuhe unglaublich gute Laune. Nach Beendigung der Stadionrunde stellen sie sich brav hinter ihrem Länderschild auf und verfolgen mit an Irrsinn grenzendem Enthusiasmus die Darbietung dessen, was sich das Organisationskomitee in jahrelanger Arbeit so ausgedacht hat.

Im Großen und Ganzen handelt es sich dabei dann um die folgenden Punkte: Der örtliche Gymnastikverein turnt die harmlosen Parts der Landesgeschichte nach, inklusive historischen Meilensteinen wie der Einführung des öffentlichen Personennahverkehrs, des Wahlpflichtfachs Werken in der Mittelstufe oder des Leinenzwangs für Kampfhunde in öffentlichen Parks. Ist das erledigt, tritt die in bunte Kleider gehüllte Neigungsgruppe Volkstanz mit einer Allegorie auf den Sport als Völker verbindende Angelegenheit auf – in diesem Fall würde auf die Darstellung des so genannten Fußballkriegs zwischen El Salvador und Honduras ziemlich sicher verzichtet werden.

Nach viel Love and Peace und den ersten freigelassenen Tauben, deren weiteres Schicksal darin bestehen wird, sich im Stadionrund zu verirren und irgendwann unterm Dach zu verhungern, wird die eigene zum Event verfasste Hymne vorgestellt. Dabei handelt es sich um ein Lied im Mitklatsch-Rhythmus, in dem die Wörter »winner«, »goal«, »team« und »spirit« zwingend vorzukommen haben, während die Verwendung von Wörtern wie »anabole Steroide«, »Cheating« und »Hooligans« ebenso zwingend verboten ist. Dieses Lied wird nun von einer blond gefärbten Frau in sexy Kleidung im Playbackverfahren vorgetragen, wonach sich die übertragenden Reporter halbtot zu freuen haben über den tollen Anblick und sich in beziehungsreiche Anspielungen ergehen müssen, in denen Bälle vorkommen und tolle Beine, mindestens.

Haben sich die Kerle wieder beruhigt, folgt das zu Herzen gehende obligatorische Rührstück, dargeboten von einer aus als entzückende Elfen verkleideten Kleinkindern bestehenden Formation, die unter dem Motto »Wir sind die Meister von morgen« ihre Fähigkeiten im Niedlichsein, Neben-den-Ball-Treten und Lustig-auf-dem-Rasen-Herumpurzeln de­mons­triert und zum Schmunzeln anregt, einem die Tränen der Rührung in die Augen treibt oder was es sonst noch so an kalkulierten Ekelhaftigkeiten gibt.

Mit viel Pech treten zwischendurch die obligatorischen international renommierten Künstler auf, was so viel bedeutet: Die immergleichen Leute singen ihre immergleichen Hits, die schon damals vor 20 Jahren, als der Kram gerade aus den Charts geflogen war, eigentlich niemand mehr jemals zu hören wünschte, aber weil eben keiner auf die Idee kam, dies auch den Interpreten mitzuteilen, tingeln sie seither unverdrossen die Großveranstaltungen aller Kontinente ab.

Nach dem Gesangsvortrag dieser usual suspects gehören Feuerwerke, freigelassene Tauben und/oder vom Publikum gehaltene und auf Ansage umgedrehte Farbtafeln zu den Musts einer jeden Eröffnungsshow.

Dass mittlerweile selbst Frühjahrsfeste von Dorffeuerwehren und Saison-End-Feiern von Anglervereinen nicht mehr ohne mindestens eine dieser gern als opulente optische Highlights bezeichneten Zutaten auskommt, hat sich nun zum Glück auch bis zur Fifa herumgesprochen. Die Aussicht, unglaubliche Mengen Geld für etwas bezahlen zu müssen, für das sich bislang nicht einmal 10 000 Menschen interessieren – so viele Eintrittskarten wurden für das 25 Millionen Euro teure geplante Spektakel bisher verkauft –, führte dazu, dass die Eröffnungsgala ohne viel Federlesens abgesagt wurde.

Was die Beteiligten, von André Heller, der umgehend beklagte, dass sich über die Veranstaltung »die begabtesten Leute den Kopf und ihr Talent zerbrochen haben«, bis hin zu Bild, die »Skandal! Fifa sagt unsere WM-Gala ab« titelte, nun sehr traurig macht.

Denn was war nicht alles fest eingeplant gewesen: Peter Gabriel! Brian Eno! Vielleicht hätten sogar Sarah O’Connor und Daniel Kübl­böck gesungen, wer weiß das schon, und womöglich hätte es ein opulentes optisches Highlight aka Feuerwerk gegeben, die Freilassung des kompletten Bestands des Taubenzüchtervereins von Berlin-Moabit und eine akrobatische Allegorie zum Thema Sport in Deutschland. Und putzig verkleidete Kleinkinder wären als Helden von morgen lustig auf dem Rasen herumgepurzelt. 13 000 nach Auskunft von Bild »freiwillige Darsteller« hätten unentgeltlich irgendetwas, vermutlich die Geschichte des Fußballs als Völker verbindendes Element, dargestellt.

Man muss der Fifa für diese prompte Unterbindung des Gala-Unsinns einfach dankbar sein. Sehr, sehr dankbar.