»Nackt herumzulaufen hat keinerlei Wirkung«

Jan Bönkost

Deutschlands Nachwuchs demonstriert wieder. Vor allem in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Bremen und Niedersachsen, in denen nach dem Willen der Landesregierungen zum nächstmöglichen Termin allgemeine Studiengebühren eingeführt werden sollen, protestieren die Betroffenen gegen die aktuellen Hochschulreformen. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichten die Aktionen am 25. Mai, als mehrere Hundert Studierende in sechs norddeutschen Hochschulen Rektorate und Verwaltungsgebäude besetzten. Jan Bönkost ist Referent für Hochschul- und Sozialpolitik im Allgemeinen Studierendenausschuss der Universität Bremen. Mit ihm sprach Steffen Falk.

Der aktuelle Protest der Studenten hat ungewöhnlich unalbern begonnen. Neben großen Demonstrationen gab es Blockaden und Besetzungen von Rektoraten. Woher kommt diese neue Sachlichkeit?

Das liegt zum einen an der Dramatik der Lage, andererseits haben die Studierenden, die jetzt wieder aktiv werden, aus dem letzten Streik gelernt. Das ist überhaupt das Bemerkenswerte, dass diejenigen, die sich damals politisiert haben, mit ihren Erfahrungen weiterarbeiten. Dadurch entstehen auch neue, radikalere Analysen. Normalerweise finden diese Streiks ja alle vier bis fünf Jahre statt, und die Studierenden sind dann fast komplett ausgetauscht. Die Aktionen sind deswegen radikaler geworden, weil die Leute nicht vergessen haben, dass sie vor anderthalb Jahren verarscht wurden. Der nette Protest wird zwar gerne von den Medien aufgegriffen, aber z.B. baden zu gehen und nackt durch die Innenstadt zu laufen, solche Protestaktionen sind inhaltsleer und haben keinerlei Wirkung. Zusätzlich wird man von allen möglichen Seiten vereinnahmt. Da soll Aufmerksamkeit erregt werden, egal warum und wofür.

Welche Inhalte wollt ihr vermitteln, und welche Ziele und Forderungen ergeben sich daraus?

Wir müssen aus der Universität rausgehen. Die Vernetzung und die Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Gruppen hat im Norden mittlerweile auch inhaltlich eine ganz andere Qualität. Am 1. Mai haben sich Studierende zum ersten Mal seit langer Zeit an den Demonstrationen beteiligt. Da geht noch mehr, das war aber ein wunderbarer Anfang. In Hamburg wird zum Beispiel am 16. Juni eine Bündnisdemonstration stattfinden unter dem Motto: »Gebührenfreie Bildung für alle – Von der Kita bis zur Hochschule!« Bei allen Beteiligten entsteht ein gemeinsames Bewusstsein. Daraus müssen sich unsere Forderungen weiter entwickeln, und sie müssen endlich offensiver werden. Statt immer nur gegen Studiengebühren zu protestieren, kann man als erste Schritte gebührenfreie Kita-Plätze und mehr Bafög fordern.

In Hamburg sind die Studierenden mit einem unnachgiebigen Bildungssenator und mit einer Polizei konfrontiert, die bei Protestaktionen ein »Null-Toleranz-Konzept« anwendet. Wie reagieren sie darauf?

In Hamburg hat das gewaltsame Vorgehen der Polizei gegen die Blockaden ganz klar zu einem viel besseren Zusammenhalt geführt. Auch im ganzen Norden kam es aufgrund der entwickelten Strukturen zu einer überregionalen Solidarität. In Hamburg ist die Situation eben auch deswegen so zugespitzt, weil dieses Bundesland Vorreiter bei der Einführung von Studiengebühren und der Studienstrukturreform sein will und auch die protestierenden Studierenden einen größeren Druck als anderswo aushalten müssen. Das ist ihnen auch sehr bewusst, dass sie eine Schlüsselrolle für den Widerstand spielen. Was dort passiert, wird wahrgenommen, weil es Folgen für alle anderen hat. Wir treffen uns mindestens einmal im Monat mit Aktivisten von zehn norddeutschen Hochschulen, um Inhalte zu diskutieren und um unsere Aktionen besser aufeinander abzustimmen.

Wie arbeitet ihr denn mit dem Freien Zusammenschluss der Studierendenschaften (FZS) zusammen?

In Bremen sind wir in diesem Frühjahr bewusst aus dem FZS ausgetreten. Dieser Verband ist angesichts dessen, was er tut, nicht nur irrelevant, er schadet auch unserer Bewegung. Wir sehen in ihm eine Kaderschmiede, in der Nachwuchspolitiker Karriere machen wollen. Wir kritisieren seinen Alleinvertretungsanspruch und das festgefahrene so genannte Top-Down-Verfahren, mit dem politisch von oben nach unten entschieden wird. Da geht es eben nicht darum, mehr Menschen zu politisieren, die dann versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Unser Anspruch ist eine stärkere Zusammenarbeit mit anderen Hochschulen und darüber hinaus. Aber in unserem Sinne. Und mit dem FZS funktioniert das nicht. Unser Ansatz der losen Vernetzung auf gleicher Augenhöhe bewährt sich schon seit über einem Jahr. Wir sind nicht an die offiziellen Strukturen gebunden, und das belebt den ganzen Prozess. Unsere Allgemeinen Studentenausschüsse bilden dort auch keine neuen Hierarchien. Das ist eine schwere Arbeit an und von der Basis, dafür klappt auch die Koordinierung viel besser und erreicht mehr Leute.

Am 2. Juni wird es in sechs Städten Großdemonstrationen geben. In ihren Aufrufen befürchten manche, dass aus dem »Volk der Dichter und Denker« funktionale Dumme werden. Was sind eure Befürchtungen im Hinblick auf die Hochschulreformen?

Die Idee zu den dezentralen Demonstrationen ist aus unseren Kreisen entstanden und nicht aus dem Verband. Das ist aber auch einfach so, dass da versucht wird, sehr viel zu vereinnahmen. So kommen dann solche Parolen raus, die hier wirklich niemand mehr versteht. Letztlich sind die Maßnahmen der Hochschulreformen nur logisch, wenn man in den Kategorien der Bildungspolitiker denkt. Wir Studierende werden immer stärker nur anhand zweier Kriterien betrachtet, der Kosten des Lernens und der Nützlichkeit des Erlernten. Finanzielle Eigenbeteiligung mit Studiengebühren und Abschaffung der Wissenschaft mittels des Bologna-Prozesses sind aus dieser marktwirtschaftlichen Perspektive notwendig und richtig. Wir sind nicht Subjekte, sondern Objekte einer größeren gesellschaftlichen Entwicklung, die wir kaum beeinflussen können. Bei vielen ist das Vertrauen in demokratische Entscheidungsprozesse leider noch unglaublich groß. Die Masse der Studierenden bekommt aber langsam mit, dass die so genannten realpolitischen Handlungsalternativen nichts bringen. Spannend wird es deshalb sein, welche Schlüsse die Mehrheit aus dieser Erkenntnis in Zukunft ziehen wird.

Kommen aus dieser Mehrheit nicht auch kritische Stimmen, die euch vorwerfen, Mitbestimmungsmöglichkeiten nicht zu nutzen?

Diese Stimmen gibt es auch unter Studierenden. Wir wollen aber an dem, was uns blüht, nicht konstruktiv mitarbeiten. Das ist eine leider weit verbreitete Illusion, dass es dann nicht ganz so schlimm wird. Meistens ist das Gegenteil der Fall.

Ungewöhnlich an den derzeitigen Protesten ist auch, dass sie im Sommersemester beginnen, das Mitte Juli auch wieder vorbei ist. Geht es denn nach dem »Summer of Resistance« und der großen Sommerpause weiter?

Wir werden bis zum Wintersemester die geschaffenen Strukturen aufrechterhalten und so gestärkt weitermachen. Durch den gestiegenen Druck ist die Sensibilisierung bei den Studierenden viel größer als sonst. Das wollen wir aufgreifen und den Betroffenen zeigen, dass Hochschulpolitik nicht losgelöst zu betrachten ist. Ich bin davon überzeugt, dass wir auch im Winter je nach Situation wieder eine Protestwelle oder auch Streiks hinbekommen. Viel wichtiger ist es aber, dass wir inhaltlich und theoretisch eine neue Perspektive schaffen. Das ist viel Arbeit, aber es ist sowohl unser Risiko als auch unsere große Chance.