»Der Krieg war nicht zu vermeiden«

Mohammed Zakaria Targoni

Mehr als 70 000 Menschen sind nach Angaben der WHO allein seit März in der westsudanesischen Provinz Darfur gestorben, und bei den Friedensverhandlungen zwischen dem islamistischen Militärregime und den bewaffneten Oppositionsgruppen SLM (Sudanese Liberation Movement) und JEM (Justice and Equality Movement) gab es bislang keine Fortschritte. Menschenrechtsorganisationen machen vor allem die Regierung für den Konflikt verantwortlich, erhoben kürzlich aber auch Vorwürfe gegen die Opposition. Mit Dipl. Ing. Mohammed Zakaria Targoni, der in Deutschland lebt und zu den Führungsmitgliedern des JEM zählt, sprach Thomas Schmidinger.

Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für den Konflikt in Darfur?

Nach den vergeblichen Versuchen in den 48 Jahren seit der Unabhängigkeit, das Land zu demokratisieren, sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass die traditionellen Parteien nicht in der Lage sind, einen demokratischen Staat zu etablieren. Die politische und ökonomische Führung des Landes ist seit Jahrzehnten in den Händen einer nordsudanesischen Elite, die nicht mehr als zwei Prozent der gesamten Bevölkerung ausmacht. Wir denken deshalb, dass das Land so nicht mehr weiter regiert werden kann. Mit der derzeitigen Regierung ist der Zerfall des Sudan in kleinere Staaten mit Grenzstreitigkeiten nicht mehr aufzuhalten. Daher möchten wir das Land radikal reformieren. Wir verlangen die Einführung eines echten Föderalismus nach westlichem Muster, wie er etwa in Deutschland existiert. Dadurch könnte eine gleichmäßige Verteilung politischer Macht erreicht werden. Staatsbürgerliche Rechte sollten nicht länger an Religion oder ethnische Zugehörigkeit geknüpft werden, sondern für alle sudanesischen Bürger gelten.

Weshalb wählten Sie den Guerillakampf als Mittel, um sich gegen das islamistische Militärregime zur Wehr zu setzen?

Nach 171 Konferenzen zur Lösung der erwähnten Probleme seit 1956 sind nur leere Versprechungen wechselnder Regimes geblieben. Keines dieser Regimes hat die politische und ökonomische Ungleichheit im Sudan als Problem erkannt und etwas zur Änderung dieser Verhältnisse unternommen. In einem multiethnischen Staat wie dem Sudan, in dem über 500 ethnische Gruppen leben, dominierte unter wechselnden Regierungen nur eine kleine Gruppe, die alles beherrschte und mit eiserner Faust regierte. Die sudanesische Regierung hat jeden Protest mit Vernichtung bedroht. Einige Regierungsmitglieder erklärten offen, dass sie die Macht mit Gewalt erobert hätten und jeder, der die Macht haben wolle, diese auch nur mit Gewalt erobern könne. Wenn eine Regierung jede andere Möglichkeit politischer Partizipation unmöglich macht, ist ein Krieg nicht zu vermeiden.

Hat der Krieg in Darfur die Situation der Zivilbevölkerung nicht nur noch weiter verschlechtert?

Das ist richtig, der Krieg hat sogar den ganzen Sudan ruiniert. Aber ohne unseren Aufstand hätte die Situation noch viel düsterer ausgesehen. Bestimmt hätte die Regierung in Darfur ihre ethnischen Säuberungen vollendet und den Namen Darfur von der Landkarte getilgt.

Gibt es eine politische oder strategische Zusammenarbeit mit der seit 2003 in Darfur kämpfenden SLM?

Die gibt es. Wir wollen die Marginalisierung der Bevölkerung an der Peripherie und die innere Kolonialisierung beenden und aus dem Sudan einen Rechtsstaat machen. In diesen Punkten gibt es keine Unterschiede zwischen JEM und SLM. Wir beabsichtigen sogar, uns zu einer gemeinsamen Organisation zu vereinigen.

Internationale Menschenrechtsorganisationen kritisieren nicht nur die sudanesische Regierung und die mit ihr verbündeten Janjawid-Milizen, sondern auch das JEM und das SLM. Auch sie sollen in Überfälle auf die Zivilbevölkerung verwickelt sein. Flüchtlinge berichten auch von sexualisierter Gewalt der Guerilla.

Ich kann nichts über das SLM sagen, da es sich dabei um eine eigenständige Organisation handelt, aber unsere Truppen zeichnen sich auf jeden Fall durch diszipliniertes Verhalten aus. Bei uns arbeiten die politische und die militärische Führung eng zusammen. In einem Fall wurden wir zu Unrecht einer Menschenrechtsverletzung beschuldigt. Dabei handelte es sich um einen Spionagefall. Wir hatten sechs Personen verhaftet, die aus Holland und dem Tschad angereist waren. Vier Personen wurden sofort freigelassen, weil sie ahnungslos einen Bekannten begleitet hatten, die beiden anderen später. Die meisten Aussagen des Human Rights Report stimmen einfach nicht.

Teilen des JEM wird eine Nähe zum entmachteten Islamistenführer Hasan al-Turabi nachgesagt. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm?

In der Tat gehörten einige unserer Führungsmitglieder früher der Regierungspartei National Congress an. Diese Mitglieder sind jedoch vor der Spaltung der Partei, also Ende der neunziger Jahre, aus der Partei ausgetreten. Die Regierung in Khartoum benutzt diese alten politischen Beziehungen manchmal, um uns politisch zu diskreditieren. Aber wir sind eine eigenständige politische Kraft ohne Beziehungen zu Turabi und haben mit seinen Aktivitäten nichts zu tun.

Seit Wochen kommt es immer wieder zu Verhandlungen zwischen JEM und SLM auf der einen und der Regierung auf der anderen Seite. Gibt es Fortschritte bei diesen Verhandlungen? Was erwarten Sie von der sudanesischen Regierung?

Leider gibt es keine Forschritte, da die Regierung nur taktiert, um Zeit zu gewinnen. Das Regime ist an keiner friedlichen Lösung interessiert. Wir sind mit folgenden Forderungen in die Verhandlungen gegangen: Wir wollen eine vollständige Entmilitarisierung der Janjawid-Milizen, die Verhaftung ihrer Führung und den Rückzug des Militärs in die Kasernen, einen Waffenstillstand und ein militärisches Flugverbot über Darfur. Wir haben uns auch immer für eine unabhängige Untersuchung der Lage in Darfur ausgesprochen. Hier erhoffen wir uns Fortschritte von der Ernennung des italienischen Richters Antonio Cassese zum Leiter einer Untersuchungskommission durch UN-Generalsekretär Kofi Annan.

Die Friedensverhandlungen finden in Nigeria statt, aber auch der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi hat sich bemüht zu vermitteln. Welche Rolle spielen die arabischen und afrikanischen Staaten im Konflikt um Darfur?

Ägypten und Tschad unterstützen die sudanesische Regierung und sind daher keine Verhandlungspartner für uns. Libyen ist der einzige neutrale Staat, in dem auch über eine Million Flüchtlinge aus Darfur leben. Die anderen Staaten der Arabischen Liga unterstützen sowieso die Regierung des vermeintlichen »arabischen Bruderlandes«. In der Afrikanischen Union ist derzeit Nigeria, das ebenfalls gute Beziehungen zum Sudan pflegt, führend.

Was denken Sie über die Reaktion der Uno, Europas und der USA?

Wir haben immer wieder an die internationale Öffentlichkeit appelliert. Diese war aber nur mit dem Irak und den palästinensischen Gebieten beschäftigt und hat sich nicht für uns interessiert. Wenn man früher eingegriffen hätte, hätte man das Ausmaß der Katastrophe in Darfur in Grenzen halten können. Leider bewegt sich erst etwas, wenn emotional aufgeladene Bilder über den Fernseher laufen. Die Weltgemeinschaft ist nach den Erfahrungen in Afghanistan und im Irak sehr vorsichtig geworden und hält sich sehr zurück. Letztlich kann dieser Völkermord aber nur durch einen militärischen Eingriff beendet werden.