Kinder unter Vertrag

Die indische Bayer-Tochterfirma Proagro kauft Saatgut von Farmen, die Kinder auf ihren Feldern arbeiten lassen. Ungeachtet der Proteste will das Unternehmen die Verträge nicht kündigen. von knut henkel

Philipp Mimkes von der Koordination gegen Bayer-Gefahren e.V. hält die Fortschritte für dürftig: »Jedes weitere Kind, das zur Arbeit auf den Saatgutfeldern verpflichtet wird, ist eines zu viel.« Rund 1 650 Kinder arbeiten einer aktuellen Studie von indischen Wissenschaftlern zufolge bei der Herstellung von Hybrid-Saatgut auf den Feldern der Bayer-Vertragspartner. Rund 350 weniger als vor einem Jahr, als die Gespräche zwischen der indischen Bayer-Tochter Proagro und der Kinderrechtsinitiative Mamidipudi Venkatarangaiya Foundation (MV Foundation) aufgenommen wurden.

Zu wenig habe sich auf den Farmen geändert, kritisiert Cornelia Heydenreich von der Menschenrechtsorganisation Germanwatch. Deshalb hat die Organisation gemeinsam mit dem Global March against Child Labour und der Koordination gegen Bayer-Gefahren eine Beschwerde bei der OECD-Kontaktstelle eingereicht. Die sitzt im Berliner Wirtschaftsministerium und hat die Aufgabe, nicht nur die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen bekannt zu machen, sondern auch Beschwerden über die Verletzung dieser Leitsätze entgegenzunehmen.

Nach Einschätzung der drei Organisationen hat die Bayer-Tochter Proagro Seed Company Pvt. Ltd. über mehrere Jahre hinweg gegen die OECD-Leitlinien verstoßen, die eine »effektive Abschaffung der Kinderarbeit« vorsehen. Dass es Probleme bei den Bayer-Zulieferern gibt, ist unstrittig. Das bestätigte ein Firmensprecher schon im September letzten Jahres. Seitdem laufen die Gespräche zwischen der MV Foundation und den betroffenen Unternehmen.

Neben der Proagro sitzen Tochterunternehmen transnationaler Saatgutanbieter wie die amerikanischen Monsanto AG, die holländische Advanta sowie zahlreiche indische Unternehmen am Verhandlungstisch. Laut einer neuen Studie von Davaluri Venkateswarlu von den Glocal Research and Consultancy Services in Hyderabad, der Hauptstadt von Andhra Pradesh, arbeiten derzeit 12 357 Kinder auf Farmen, die internationale Unternehmen mit Saatgut beliefern.

Das wird von den Unternehmen auch nicht bestritten. »Sie haben die Verantwortung für die Nutzung von Kinderarbeit übernommen«, sagt Shanta Sinha von der Kinderrechtsinitiative. Die ist in rund 4 300 Dörfern des südindischen Bundesstaates Andhra Pradesh präsent, der eines der Zentren der indischen Saatgutproduktion ist. Mindestens 150 000 Kinder arbeiten Sinhas Angaben zufolge dort in der Produktion von Baumwollsaatgut, landesweit sind es schätzungsweise 450 000. »Im Dezember läuft die Pflanzsaison aus, die neue beginnt im März. Im Januar und Februar werden die neuen Arbeitskontrakte ausgehandelt«, erklärt die Professorin der Universität Hyderabad, die seit Jahren für den Schulbesuch der Kinder kämpft.

Vor allem Mädchen zwischen sechs und vierzehn Jahren sind es, die in der Produktion von hybridem Saatgut arbeiten. Das Saatgut entsteht aus der Kreuzung zweier Pflanzen mit unterschiedlichem Erbgut. Die neu entstehenden Pflanzen sind steril, so dass jedes Jahr neues Saatgut gekauft werden muss. Der manuelle Aufwand bei der Kreuzung ist sehr hoch, denn bei jedem Keim muss der eigene Samen entfernt und durch einen fremden ersetzt werden.

Diese Arbeit wird überwiegend von Kindern gemacht, da ihre Löhne nur etwa halb so hoch sind wie jene von Erwachsenen, so eine Studie, die von einem indischen Forschungsinstitut im letzten Jahr veröffentlicht wurde. Demnach waren 88 Prozent der Arbeiter in den 22 besuchten Betrieben Kinder zwischen sechs und vierzehn Jahren. Neunzig Prozent der Kinder müssen Darlehen abarbeiten, die ihre Eltern bei den Farmern aufgenommen haben. Wegen der oft sehr hohen Zinsen sind die Kinder zur Arbeit gleich für mehrere Pflanzzyklen verpflichtet. Andere Kinder werden von den Baumwollfarmern in den umliegenden Dörfern gekauft und müssen in Hütten direkt bei den Feldern leben.

»Viele der Kinder arbeiten unter menschenunwürdigen Bedingungen«, sagt Shanta Sinha, die immer wieder Farmen besucht. Arbeitszeiten von vierzehn Stunden täglich sind keine Ausnahme, Löhne von 50 Cent am Tag auch nicht, zudem sind die Kinder durch den intensiven Pestizideinsatz gesundheitlich gefährdet. So starben in den letzten Monaten mindestens drei Kinder an Pestizidvergiftungen.

Die internationalen Saatgutanbieter, u.a. die Bayer AG, haben mehr Transparenz zugesichert, so Frau Sinha. Doch zufrieden ist sie mit dem Verhandlungsergebnissen nicht. Bayer hat, so Pressesprecher Gerhard Waitz, Anfang 2004 die Verträge verschärft und sich bemüht, die Vertragslandwirte für das Thema zu sensibilisieren. Frau Sinha fordert hingegen eine klare Aussage der Konzerne, dass sie Kinderarbeit nicht tolerieren und dass entsprechende Vereinbarungen auch kontrolliert werden. Zudem fordert sie die Konzerne auf, mehr für das Saatgut zu bezahlen, damit volljährige Arbeitskräfte eingesetzt werden könnten.

Diese Forderungen scheinen den Unternehmen allerdings zu weit zu gehen, stellt die MV-Foundation in einem Bericht fest. Die Unternehmen wollen die Verträge nicht stornieren, weil sie dann kein Saatgut anbieten können. Nach langem Zögern und öffentlichen Protesten haben zuerst zwei Unternehmen, Advanta und Syngenta, der Kinderschutzorganisation Kopien der Verträge zukommen lassen. Die Bayer AG ist den Konkurrenten mittlerweile gefolgt.

Listen von 29 Dörfern, deren Farmer für die Bayer-Tochter Pro Agro arbeiten, wurden der MV Foundation ausgehändigt. Neun dieser Dörfer wurden von Mitarbeitern der Kinderrechtsorganisation besucht, wobei allein 1 210 Kinder, die auf Baumwollfeldern arbeiten, identifiziert wurden, berichtet die Organisation in ihrer Beschwerde an die OECD. Die wurde eingereicht, um den Druck auf das Unternehmen zu erhöhen und auch die staatliche Ebene in Deutschland einzubeziehen, so Cornelia Heydenreich von Germanwatch.

Bayer gehört zu den Gründungsmigliedern der UN-Initiative Global Compact und hat sich damit zur Einhaltung ethischer Prinzipien verpflichtet, auch zur Abschaffung der Kinderarbeit. Ein Bekenntnis zur sozialen Verantwortung gehört für die meisten transnationalen Konzerne mittlerweile zur Geschäftsstrategie. Doch Global Compact überwacht die Einhaltung der Prinzipien nicht, stattdessen verlässt man sich auf »öffentliche Verantwortlichkeit, Transparenz und das aufgeklärte Eigeninteresse der Unternehmen«. Das aber scheint nicht zu genügen.