Arafat unter Beschuss

Neue Korruptionsvorwürfe gegen den Palästinenserpräsidenten stoßen auch in Europa auf Unmut. von andré anchuelo

Während Yassir Arafat im Gazastreifen von jüngeren Milizführern zunehmend unter Druck gesetzt wird, sieht sich der »Rais« auch immer mehr der Kritik alter Kampfgefährten ausgesetzt. So strahlte das ARD-Magazin »Report München« letzte Woche Auszüge aus einem Interview mit Jawid Ghusseini aus.

Ghusseini, zwölf Jahre lang Finanzchef der PLO und Mitglied ihres Exekutivkomitees, packte aus über das Finanzgebaren dieser Organisation, welche die Grundlage für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) bildet, und wie diese von Arafat geleitet wird: »Es haben etwa zwölf verschiedene Finanztöpfe existiert. Viele der Leute, die in der PLO in Schlüsselpositionen arbeiteten, haben ihre Taschen mit Geld vollgestopft und sind Multimillionäre geworden.« An der Spitze des korrupten Netzwerkes stehe nach wie vor Arafat. »Er verfügt über alle Konten der Fatah und der PLO. Er ist der einzige, der weiß, wo das Geld ist«, so Ghusseini.

Derartige Berichte werfen ein erhellendes Licht auf den nur scheinbar widersprüchlichen Zusammenhang zwischen dem Reichtum der palästinensischen Führung und der Armut ihres Fußvolkes. Während Schätzungen zufolge etwa 60 Prozent der Bewohner des Gazastreifens unter der Armutsgrenze leben, gehören sie statistisch gesehen zu den Empfängern der höchsten Hilfsgelder pro Kopf weltweit. Die Differenz fließt nicht nur in die private Bereicherung einzelner, sondern vor allem in den Machterhalt Arafats und dessen Krieg gegen Israel.

Ghusseini bezeichnete Arafat schließlich als »Mafiaboss«, schwieg aber fortan. Dass sein ehemaliger Schatzmeister jetzt sein Schweigen brach, könnte auch mit der Rebellion gegen Arafat in den palästinensischen Gebieten zusammenhängen (Jungle World, 31/04). Angesichts der offenen Auflehnung einiger bislang loyaler Fatah-Milizen und bewaffneter PA-Einheiten trauen sich offenbar immer mehr Palästinenser, den PA-Vorsitzenden öffentlich zu kritisieren.

Und auch in Europa gibt es offenbar zunehmenden Unmut. So forderte etwa in der vergangenen Woche der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Gert Weisskirchen, bei einer Zuspitzung des Machtkampfes in der PA die Finanzhilfen an die Autonomiebehörde einzufrieren. »Wir hätten dann ein sinnvolles Instrument, die konstruktiven Kräfte in Palästina zu unterstützen«, meint Weisskirchen. Der Nahostexperte der CDU, Ruprecht Polenz, regte angesichts der Korruptionsvorwürfe gegen Arafat an, »ob man nicht eines seiner Konten in Europa sperrt, auf dem Hilfsgelder offensichtlich unrechtmäßig liegen«.

Anscheinend ist man in den europäischen Hauptstädten im Hinblick auf den anstehenden Abzug Israels aus dem Gazastreifen unzufrieden mit der Performance Arafats, was die Organisation der Machtübernahme angeht. Denn um eine generelle Kehrtwende in der europäischen Nahostpolitik handelt es sich keineswegs. Das machte letzte Woche die niederländische EU-Ratspräsidentschaft deutlich, als sie in der UN-Vollversammlung die geschlossene Unterstützung aller 25 EU-Mitgliedsstaaten für eine Resolution organisierte, die die israelischen Sperranlagen zum Westjordanland als ungesetzlich verurteilte und Israel zum Abriss der bereits gebauten Teile aufforderte. Nur wenige Tage später bügelte Javier Solana, der außenpolitische Repräsentant des EU-Rates, entsprechende israelische Kritik ab. Die EU werde im Nahen Osten weiter ihre Rolle spielen, sagte Solana seinen israelischen Gesprächspartnern, »ob ihr wollt oder nicht«.