»Die Think Tanks entscheiden mit«

Ulrich Müller

Der Politikwissenschaftler Ulrich Müller organisierte zusammen mit dem Verein »Bewegungsakademie« den Kongress »Gesteuerte Demokratie? Wie neoliberale Eliten die Politik beeinflussen«, der im vergangenen Monat in Frankfurt am Main stattfand und auf den politischen Einfluss wirtschaftsnaher so genannter Denkfabriken und anderer Lobbyvereine hinweisen wollte. Er arbeitet für die deutsche Sektion der Menschenrechtsorganisation Fian (Food First Information and Action Network). Er kritisiert, dass von Wirtschaftseliten bestimmte so genannte Reforminitiativen wie die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« oder der »Konvent für Deutschland« in die Debatte um den Abbau des Sozialstaats eingreifen und dabei ihren Charakter verschleiern. Mit Ulrich Müller sprach Matthias Becker.

Kaum eines der deutschen Medien hat über Ihren Kongress berichtet. Ist das ein Beispiel für »gesteuerte Demokratie«?

Ich würde das nicht überbewerten. Es gibt durchaus auch bei etablierten Blättern Interesse an dem Thema. Es ist eben immer unpopulär, über Kongresse zu berichten.

Was verstehen Sie unter gesteuerter Demokratie?

Wir befinden uns auf dem Weg in eine Gesellschaft, in der Lobbys, so genannte Denkfabriken und PR-Agenturen immer mehr Macht ausüben. Kampagnen der Arbeitgeberverbände versuchen beispielsweise, mittels Medienkooperationen ihre Positionen in der Öffentlichkeit zu verbreiten, ohne dabei selbst sichtbar zu werden. Statt eines öffentlichen demokratischen Diskurses, der dann in politische Entscheidungen mündet, spielt sich ein Großteil hinter den Kulissen ab, während die öffentliche Meinung mittels manipulativer Tricks mit neoliberalen Ideen bearbeitet wird.

Wozu sollte der Kongress dienen?

Um eine Debatte über solche Formen der Einflussnahme anzustoßen, habe ich zusammen mit dem Verein Bewegungsakademie, einem neu gegründeten Weiterbildungszentrum für soziale und globalisierungskritische Bewegungen, diesen Kongress organisiert. Den eigentlichen Anstoß gab die Gründung der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« am 12. Oktober 2000. Sie wurde von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie getragen und mit einem Millionenetat ausgestattet. Die Initiative finanziert die Produktion von Fernsehbeiträgen, kooperiert mit verschiedenen Medienunternehmen und platziert ihre Fürsprecher in Zeitungen wie dem Handelsblatt und der Financial Times Deutschland bis hin zu FAZ und Bild.

In dem Programm des Kongresses heißt es: »Die neuen Einflussstrategien hebeln die Demokratie aus und versuchen, Politik und öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu gestalten.« War es denn jemals anders?

Es hat natürlich immer Einflussnahme auf die Politik gegeben, aber nicht in diesem Ausmaß. In den letzten Jahren wurden solche Strategien immer intensiver, es gab eine regelrechte Gründungswelle von Initiativen, die sich typischerweise den Anschein einer Bürgerinitiative geben. Ihre Finanzierung bleibt teilweise im Dunkeln. Gleichzeitig verstehen sich die Medien selbst immer mehr als politische Akteure und treiben die Debatten um angebliche Reformen voran, während die Politik sich teilweise selbst entmachtet. Wir sind nicht in der Situation, dass alle Politik von einem kleinen Kreis von Leuten bestimmt wird. So etwas zu behaupten, wäre verschwörungstheoretisch und viel zu kurz gegriffen. Dennoch: Demokratische Entscheidungsfindung wird zunehmend ausgehebelt.

Was ist typisch für solche Strategien?

Die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« (INSM) hatte für viele ähnliche Initiativen Vorbildcharakter. Sie ist eine Gründung der Arbeitgeber, gibt sich aber als »überparteiliche Reformbewegung«, obwohl ihre zentrale Leitung beim Institut der deutschen Wirtschaft und beim Bund der deutschen Industrie (BDI) angesiedelt ist. Organisationen wie die INSM versuchen, ihren Hintergrund einerseits durch ihren Organisationsaufbau, andererseits in ihren einzelnen Aktivitäten zu verschleiern. So genannte Botschafter wie Lothar Späth oder Oswald Metzger treten in den Medien auf, werden über ihre Rolle als Prominente vorgestellt, obwohl sie zum Teil detaillierte Anweisungen von der INSM erhalten und Argumentationen regelrecht eingeübt werden.

Eine besondere Rolle kommt der Bertelsmann-Stiftung zu, als intellektuellem Experimentierfeld für neoliberale Strategien, die dann wieder in die Politik hineingetragen werden. Ein anderes Beispiel ist der vom ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog gegründete »Konvent für Deutschland«, der speziell die anstehende Föderalismusreform zu beeinflussen versucht. Die Vertreter wollen einen stärkeren Wettbewerb und weniger Ausgleichszahlungen zwischen den Bundesländern durchsetzen.

Was hat es sich mit dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) auf sich, das in der Debatte um Studiengebühren eine wichtige Rolle gespielt hat?

Das CHE ist eine gemeinsame Gründung der Hochschulrektorenkonferenz und der erwähnten Bertelsmann-Stiftung. Sein Interesse ist, marktwirtschaftliche Konzepte im Bildungswesen durchzusetzen, also beispielsweise Studiengebühren und stärkeren Wettbewerb zwischen den Universitäten einzuführen. Das Zentrum ist einerseits über die Hochschulrektorenkonferenz an einer ganzen Reihe von Beratungskommissionen auf Länderebene beteiligt. Andererseits versucht es, in der Öffentlichkeit für Studiengebühren Werbung zu machen, teilweise mit unsauberen Mitteln. Beispielsweise hat das Zentrum Umfragen mit Suggestivfragen veröffentlicht, die bewusst mit den Protesten der Studenten zusammenfallen sollten. So sollte der Eindruck erweckt werden, die Studentenstreiks wären nur von einer Minderheit getragen worden. Das CHE hat sogar einen eigenen Studierendenverband namens Scheme gegründet.

Sie sprechen von der Notwendigkeit einer neuen »breiten gesellschaftlichen Debatte« über solche Einflussnahme. Wo soll die stattfinden, in den etablierten Medien?

Die Debatte muss auf verschiedenen Ebenen stattfinden, einerseits natürlich innerhalb der sozialen Bewegungen und der Zivilgesellschaft, in alternativen Medien. Wenn diese Debatte andererseits eine gewisse Breite erreichen soll, dann muss sie natürlich auch in die etablierten Medien hineingetragen werden. Und da gibt es auch durchaus Interesse! Vieles kann über das Internet abgedeckt werden, damit Nutzer nachschlagen können, was es eigentlich mit einzelnen Initiativen auf sich hat.

Wir hatten für den Kongress auch die Gewerkschaften angesprochen, und diese haben sich sehr interessiert gezeigt. Schon aus eigenem Interesse. Von Seiten solcher Think Tanks gibt es schließlich massive Angriffe auf die Gewerkschaften. Und die Gewerkschaften müssen sich fragen, warum in der Debatte die eine Seite so viel mehr Gehör findet als die andere.