Dem Ölpreis sei Dank

Im algerischen Wahlkampf stehen sich erstmals zwei »offizielle« Kandidaten gegenüber. Der Präsident verteilt Geldgeschenke aus den Öleinnahmen, die Situation in der Kabylei kann er damit nicht beruhigen. von bernhard schmid, paris

Wird das die Wahl, die anders ist als alle vorhergehenden? Am Donnerstag dieser Woche sind gut 14 Millionen Wähler und Wählerinnen aufgerufen, den nächsten algerischen Präsidenten zu bestimmen. Zum ersten Mal bei einer algerischen Präsidentenwahl scheint der Ausgang offen zu sein. Früher gab es stets einen »offiziellen Kandidaten«. Diese Ära scheint zu Ende zu sein. Es gibt nun zumindest zwei »offizielle« Kandidaten, zu denen noch vier mehr oder minder chancenlose Bewerber hinzukommen.

Die besten Aussichten hat wohl der amtierende Staatschef Abdelaziz Bouteflika. Er wird in vielen Kommunen von den offiziellen Vertretern wie ein bereits feststehender Wahlsieger empfangen. Behindertenverbände und Fußballclubs werden ebenso als offizielle Unterstützer für seine Kandidatur eingespannt wie religiöse Bruderschaften und Vertreter traditioneller Regionalkulturen.

Demgegenüber hat Ali Benflis, der Kandidat der früheren Staats- und Einheitspartei Front de Libération National (FLN, Nationale Befreiungsfront), den größten Teil der algerischen Presse hinter sich.

Bouteflika und Benflis stehen für unterschiedliche Optionen der algerischen Oligarchie. Diese besteht im Wesentlichen aus Angehörigen der ehemaligen Nomenklatura aus der staatssozialistischen FLN-Ära zwischen 1962 und 1989, einer aus ihr hervorgegangenen neuen Bourgeoisie sowie höheren Militärs. Doch heute ist diese Oligarchie in sich mehrfach gespalten; strittig sind insbesondere die wirtschaftliche »Öffnung« und der Platz des algerischen Establishments in einer »globalisierten« Ökonomie. (Jungle World, 6/04)

Teile der Führungsschichten scheinen mit einem Wahlsieg Bouteflikas zu rechnen. Das ist eine plausible Hypothese. Bouteflika hat noch ein erstaunlich gutes Image. Insbesondere, weil sich die Situation der Bevölkerung seit etwa drei Jahren leicht gebessert hat. Das liegt aber nicht an der Politik Bouteflikas, sondern an der Veränderung der außenwirtschaftlichen Situation des Erdöl exportierenden Landes. Ende der neunziger Jahre lag der Ölpreis unter zehn Dollar pro Barrel, zu Anfang dieses Jahrzehnts erreichte er seinen Höhepunkt bei 35 bis 40 Dollar. Die Staatskassen sind deshalb gefüllt, die offizielle Arbeitslosenrate ist von knapp über 30 Prozent im Jahr 2000 auf rund 23 Prozent im vorigen Herbst gesunken.

Und auf seiner Wahlkampftournee quer durch Algerien verteilt Bouteflika seit Monaten Schecks an die Kommunen. In der Saharastadt Ouargla, wo Bouteflika in der letzten Februarwoche seinen Wahlkampf offiziell begann, ließ der Präsident umgerechnet 60 Millionen Euro zurück. Dennoch verlief sein Besuch in der Stadt, in deren Verwaltungsbezirk die größten Öl- und Gasreserven Algeriens liegen und zugleich nur drei von 20 Kommunen an das Erdgasnetz angeschlossen sind, keineswegs störungsfrei.

Beim Eintreffen des Präsidentenkonvois sammelten sich Jugendliche und Arbeitslose zu einem spontanen Riot. Sie verbrannten Autoreifen, fackelten eine Polizeistation und andere offizielle Gebäude ab und prügelten sich mit den Einheiten der Bereitschaftspolizei. Der Staatschef konnte seine geplante Limousinentour über die Hauptstraßen nicht abhalten, sondern lediglich 300 Meter zu Fuß zurücklegen. In der Nachbarstadt Touggourt flogen gar Steine auf den Konvoi.

Soziale Friedhofsruhe herrscht also nicht in Algerien. Zugleich aber fehlt eine Veränderungsperspektive oder die Hoffnung auf eine gesellschaftliche Umwälzung. Dabei haben die Enttäuschungen über den FLN-»Sozialismus« ebenso wie die Blamage der reaktionären Utopie der Islamisten, die nicht zuletzt am passiven Widerstand des größten Teils der Bevölkerung gegen ihre ideologischen Diktate scheiterten, Spuren hinterlassen.

Chaotische Verhältnisse herrschen in der Kabylei, der 80 Kilometer östlich von der Hauptstadt Algier beginnenden Region der berbersprachigen Minderheit. Von der dort im Jahr 2001 entstandenen breiten Bewegung für die kulturellen wie sozialen Rechte der Berberbevölkerung sind nur organisatorische Splitter übrig geblieben. Seitdem die Ausdehnung der sozialen Bewegung auf andere Landesteile scheiterte und sie auf eine regionalistische Dimension zurückgeworfen wurde, ist kaum noch eine halbwegs rationale Strategie auszumachen. Gleichzeitig bleibt ein enormes Unruhepotenzial in der Jugend dieser Region, das sich am Mittwoch voriger Woche erneut entlud: Präsident Bouteflika musste einen Wahlkampfauftritt in der kabylischen Bezirkshauptstadt Tizi Ouzou vorzeitig abbrechen und den Ort seiner Rede fluchtartig verlassen. Vermutlich wird die Wahlbeteiligung in der Kabylei, einmal mehr, niedrig ausfallen.

Ein Vertreter der Kabylen, der Liberale Saïd Sadi vom RCD (Sammlung für die Kultur und die Demokratie), kandidiert zwar zu den Präsidentschaftswahlen. Er wird allerdings weniger von der »Basis« in den Berbergebieten als von den frankophonen Eliten des Landes, dessen herrschende Schichten in einen arabisch- und einen französischsprachigen Teil gespalten sind, unterstützt.

Daneben gibt es eine linkspopulistische Kandidatin, Louisa Hanoune von der Arbeiterpartei (PT). Sie zeichnet sich allerdings durch ihre Kritik am internationalen Kapital und an den IWF-Auflagen, jedoch kaum oder gar nicht durch ihre Opposition zu den einheimischen Eliten aus. Seit drei Jahren klagt sie die unruhige Jugend der Berberregion Kabylei des Anschlags auf die »nationale Einheit« an. Louisa Hanoune und ihre Arbeiterpartei, die zu Anfang der neunziger Jahre aus taktischen Gründen auch mit den Islamisten kooperierten, hängen sich jetzt eher an Bouteflika. Wiederholt appellierten sie an den Präsidenten als vermeintlich unabhängige, nationale Überinstanz.

Mit ihrer Kritik an der neoliberalen Wirtschaftspolitik, an Privatisierungen und den Diktaten westlicher Gläubiger unterscheidet sich Louisa Hanoune dennoch von allen anderen Kandidaten. Als einzige Frau, die bereits in den neunziger Jahren für das höchste Staatsamt kandidierte, verfügt sie zudem auch über eine persönliche Aura. Bei den Parlamentswahlen 2002 konnte ihre Arbeiterpartei mit fünf Prozent der Stimmen und zwanzig Sitzen einen Achtungserfolg verbuchen.

Und die Islamisten? Sie verfügen über einen Kandidaten, den Prediger Abdallah Djaballah von der legalen Bewegung Islah (Reform), die vor allem in Ostalgerien rund um Constantine verankert ist. In seinem Diskurs überwiegt die Komponente der autoritären »Moralisierung« der Gesellschaft und des Appells an die »Erziehung des Volkes«, um die vermeintlich durch westlichen und kolonialen Einfluss verursachten sozialen und familiären Strukturveränderungen zu »reparieren«. Dagegen fehlt bei ihm weitgehend die soziale Demagogie, die einst das Erfolgsrezept der Islamischen Rettungsfront (FIS) ausmachte; ihr hat Djaballah damals immer ihren »plebejischen« Charakter vorgeworfen. Daher werden die so genannten Islahisten nicht dieselbe Kraft entfalten können wie die FIS-Islamisten 1990/91.