Der Schlaf der Vernunft

Die internationale Justiz und der Liberia-Konflikt

Gestandene Militärjuristen sind nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. »Ich leide deswegen nicht unter Schlaflosigkeit«, erklärte David Crane, der Chefankläger des Special Court for Sierra Leone, in der vergangenen Woche zu den Vorwürfen, seine Anklage gegen den liberianischen Präsidenten Charles Taylor habe die Eskalation des Kampfes um Monrovia ausgelöst.

Bereits im März hatte Crane die Anklageschrift fertig gestellt, die Taylor die Unterstützung der Warlord-Miliz Ruf im Bürgerkrieg Sierra Leones vorwirft. Veröffentlicht wurde sie am 4. Juni, als Taylor zu Friedensverhandlungen nach Ghana gereist war. Die Verhandlungen waren damit beendet, Taylor kehrte eilig nach Liberia zurück und die Rebellenbewegungen Lurd und Model begannen umgehend eine militärische Offensive.

Crane macht nun die Weigerung der westafrikanischen Regierungen, Taylor zu verhaften, für die Eskalation verantwortlich, obwohl das Chaos in Monrovia wohl nicht geringer gewesen wäre, wenn Taylors Truppen plötzlich führungslos gewesen wären. Möglicherweise hätten Taylors Gegner dann allerdings einen militärischen Sieg erkämpfen können, und Cranes Äußerungen deuten darauf hin, dass dies beabsichtigt war: »Wie kann ein Friedensprozess oder ein Waffenstillstand rechtmäßig sein, wenn man mit einem angeklagten Kriegsverbrecher verhandelt?«

Auf der Suche nach »rechtmäßigen« Friedensprozessen scheint Crane, der zuvor für das Pentagon und den US-Militärgeheimdienst DIA arbeitete, an eine Lösung zu denken, wie sie in Sierra Leone errreicht wurde. Im Mai 2000 bildete sich dort eine Kriegskoalition aus britischen Elitesoldaten, UN-Truppen, den Kamajors des Präsidenten Tejan Kabbah und weiteren Warlord-Milizen gegen die Ruf (Jungle World, 21/00).

Wenige Monate nach dem Sieg wurde der Special Court eingerichtet, ein Joint Venture der Uno und der Regierung Sierra Leones. Das Tribunal verfolgt nun auch Kriegsverbrechen, die Mitglieder dieser Koalition begangen haben, angeklagt wurden unter anderem Chief Kondewa, der Hohepriester der Kamajors, und Innenminister Hinga Norman. Kabbah selbst, der die Kamajor-Miliz organisierte, bleibt jedoch unbehelligt.

Warlords in Sicherheit zu wiegen, bis sich eine Gelegenheit ergibt, sie zu verhaften, scheint auf den ersten Blick keine schlechte Idee zu sein. Auch dann wäre Crane vorzuwerfen, dass er, wie es der Jurist Kingsley Chiedu Moghalu in der südafrikanischen Zeitung Mail & Guardian formulierte, »taktisch unklug« gehandelt hat. Doch das Vorgehen des Special Court stellt sämtliche Friedenslösungen in Warlord-Konflikten in Frage. Auch Klagen gegen die kongolesischen Warlords sind bereits anhängig. Warum sollten sie eine Entwaffnung ihrer Truppen zulassen, wenn sie damit rechnen müssen, dass sie ungeachtet der derzeitigen Anerkennung einer von ihnen gebildeten Übergangsregierung durch die »internationale Gemeinschaft« auf ihrem Ministersessel verhaftet werden können?

Eine gesellschaftliche Reintegration nach Jahren des Bürgerkrieges ist ohne eine juristische Aufarbeitung der Verbrechen unmöglich. Doch eine politische Lösung, nicht zu verwechseln mit der oberflächlichen Befriedung durch internationale Militärinterventionen oder formelle Friedensabkommen, muss der Strafverfolgung vorausgehen. Und wer eine Waffenstillstandsvereinbarung willkürlich für illegitim erklärt und torpediert, müsste sich für die mehr als 500 Opfer dieser Entscheidung eigentlich selbst vor einem Kriegsverbrechertribunal verantworten.