»Arbeit wird zu einem Fetisch«

Werner Braeuner wurde im August 2001 zu zwölf Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt. Er hatte im Februar desselben Jahres den Direktor des Arbeitsamtes Verden durch mehrere Stiche mit einem Werkzeug getötet. Der Verfassungsschutzbericht 2001 führt die Tat als linksextremes Tötungsdelikt auf.

Der gelernte Maschinenbauingenieur war zuvor acht Jahre arbeitslos und engagierte sich in der Arbeitslosenbewegung. Nachdem er eine Qualifizierungsmaßnahme abgebrochen hatte, verhängte das Arbeitsamt eine dreimonatige Sperre über ihn. Mit ihm sprach Stefan Wirner.

Was denken Sie, wenn Sie von den Plänen der Bundesregierung zum Sozialabbau hören? Vor allem bei den Arbeitslosen soll gespart werden, in der Öffentlichkeit wird Stimmung gegen sie gemacht.

Ich fühle mich hilflos. Ich bin schockiert über diese fatale und dramatische Entwicklung. Schließlich gibt es momentan viele Parallelen zu den großen Krisen der Vergangenheit, die ja dann zum Faschismus geführt haben mit seinen ganzen Konsequenzen.

Wie sollte ein Widerstand gegen Schröders Pläne aussehen?

Der Widerstand müsste einerseits ein programmatisches Element haben, den radikalen Bruch mit der Lohnarbeit. Die Forderung wäre ein garantiertes gesellschaftliches Einkommen ohne Gegenleistung, das ist das Wichtige dabei. Und andererseits müsste sich eine Bewegung bilden, die genug Druck aufbauen kann. Das ist nötig, wenn man bedenkt, welche Konsequenzen es hätte, wenn dem nichts entgegengesetzt wird. Die Hürde, die da programmatisch und ideologisch von den Arbeitslosen und den Linken zu überspringen wäre, ist enorm hoch. Denn letztlich geht es um die Lohnarbeit und den Arbeitszwang.

Was ist Ihnen persönlich auf dem Arbeitsamt widerfahren?

Man wird mit einer Realität konfrontiert, da riecht alles sehr proletarisch nach Hinterhof und Rechtsferne. Das überfällt und überwältigt einen, ein Gefühl von Hilflosigkeit stellt sich ein. Es wird ja auch in der Presse offen diskutiert, das sei ein rechtsfreier Raum, wenn es etwa um die Frage der Weiterbildung geht . Die in diesem Bereich agieren, die Verwaltungsräte der Arbeitsämter, die zusammengesetzt sind aus Gewerkschaftern und Unternehmervertretern und Kommunalpolitikern, könnnen zusammen mit den Trägern dieser Trainings- und Bildungsmaßnahmen frei agieren. Sie sind eng miteinander verwoben, zum Beispiel wenn man an die Deutsche Angestellten-Akademie denkt, die gehört zu Verdi, das ist das größte deutsche Weiterbildungsinstitut. Das Berufsfortbildungswerk, das drittgrößte, das gehört dem DGB.

Was gibt es gegen eine Weiterbildung einzuwenden?

Die Weiterbildungsmaßnahmen halten die Leute davon ab, sich mit der Realität auseinanderzusetzen. Sie sind nur ein Vorwand. Tatsächlich findet eine Weiterbildung nicht statt. Die Leute werden genötigt, physisch anwesend zu sein als Gegenleistung für den Erhalt ihrer Lohnersatzleistungen. Das ist die ganze Philosophie. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Arbeit wird zu einem Fetisch, d.h. es reicht, wenn ich körperlich anwesend bin und eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort sitze und mich nicht rumtreibe, Kaffee trinke und die Zeit verplempere.

Sie haben die Schließung der Arbeitsämter gefordert. Das hört sich utopisch an.

Das ist ein Zermürbungs- und Disziplinierungsapparat, der letzten Endes ohne rechtliche Grundlage arbeitet, der nichts anderes tut, als unter Vorwänden Menschen in Lebensumstände wie im Feudalismus zu zwingen. Wenn man den Markt als etwas Modernes sieht, dann ist das prämodern. Da wird ja nichts produziert, es geht ja einfach nur um die physische Anwesenheit. Das erinnert an die Leibeigenschaft.

Verschiedene Arbeitsloseninitiativen haben Ihnen vorgeworfen, Sie würden das Problem der Arbeitslosigkeit personalisieren, indem Sie etwa die Beschäftigten in den Arbeitsämtern kritisieren und ihnen vorwerfen, sie übten dort ihre Macht aus.

Jan Philipp Reemtsma hat einmal gesagt, dass es kein Klima in der Gesellschaft geben dürfe, in dem sich Rechtsextreme ermutigt fühlten. Wenn etwa Schröder sagt, es gebe kein Recht auf Faulheit, wenn in der Presse immer wieder geschrieben wird, Arbeitslose wollten gar nicht arbeiten, dann entsteht ein Klima, in dem sich die Leute wie die Rechtsextremen von der Gesellschaft beauftragt fühlen, die Faulen zu beseitigen. Zum Teil verhalten die Leute auf den Ämtern sich kriminell.

Sie meinen etwa die Verhängung einer Sperre, nur weil jemand eine Weiterbildung abgebrochen hat?

Es ist ein klarer Regelverstoß, wenn der Arbeitsvermittler jemandem eine Trainingsmaßnahme aufdrängt, ohne dass dies vorher mit dem Arbeitsberater besprochen worden ist. Das muss sich ja einfügen in eine konstruktive Diskussion darüber, wie man wieder in den Arbeitsmarkt zurückkehren könnte. Das darf nicht einfach als Druckmittel eingesetzt werden.

Mein Arbeitsvermittler drohte mir, er wolle mir Geld kürzen, nachdem ich ihm gesagt hatte, dass ich ehrenamtlich Übersetzungen gemacht hätte. Damit sei ich nicht verfügbar gewesen. Mein Arbeitsberater drohte mir gleich an, hören Sie zu, Sie müssen auch Toiletten reinigen. Und sehen Sie mal zu, dass Sie einen Job finden. Das sind alles solche Einschüchterungsversuche. Mein Arbeitsvermittler hat mir klar und deutlich gesagt, er sehe es als seine Aufgabe an, Arbeitslose zu disziplinieren.

Haben Sie noch Kontakte zu Arbeitsloseninitiativen?

Sicher gibt es Kontakte. Mit den unabhängigen Arbeitsloseninitiativen komme ich gut zurecht, mit den DGB-nahen nicht. Die sagen, es gebe dieses Problem nicht, dass Arbeitslose in Weiterbildungen gezwungen werden, die verdrängen das einfach.

Arbeiten Sie im Gefängnis?

Es gibt hier Betriebe, die für den real existierenden Markt produzieren, da werden etwa Bezüge für Bügelgestelle hergestellt oder Lampen montiert usw. Das wollte ich nicht tun, weil ich nicht bereit bin, unter solchen unfreien Bedingungen Arbeit zu verrichten.

Mussten Sie deshalb Nachteile in Kauf nehmen?

Normalerweise dürften sie mir deshalb keine Konsequenzen androhen. Das tun sie aber trotzdem. Die können darauf bestehen, dass man kein Fernsehgerät auf der Zelle stehen hat oder kein Rundfunkgerät. Das kann bis zum Besuchsverbot reichen.

Man müsste hier ähnlich wie auf dem Arbeitsamt ständig Prozesse führen, um einigermaßen zivilisiert leben zu können. Ich habe das dann anders gelöst, indem ich Übersetzungen mache. Das wurde als Erfüllung meiner Arbeitspflicht anerkannt. So hatte ich bisher Ruhe. Aber ich weiß nicht, wie sich das entwickelt, ich hab noch fast zehn Jahre hier zu verbringen.

Ihre Tat hatte mit dem Problem der Arbeitslosigkeit ja auch zu tun, wenn auch nicht nur damit. Wie stehen Sie zu dem, was Sie getan haben?

Das war sehr emotional behaftet, meine Wahrnehmung hatte sich durch den sich steigernden Druck so sehr verändert, dass ich meine Verhaltensweisen nicht mehr steuern konnte und es zu dieser Gewalttat kam.

Letzten Endes aber hat mir die Tat mein Leben gerettet. Wenn ich draußen geblieben wäre, hätte ich nicht überlebt. Ich bin nicht selbstmordgefährdet gewesen, aber man fängt an so Dinge zu tun, läuft einfach über die Straße, ohne zu gucken, und das häuft sich dann plötzlich. Wenn ich nicht in den Schutz des Gefängnisses gekommen wäre, wäre ich nicht mehr am Leben.

Das klingt eigenartig, schließlich haben Sie einen Mensch getötet.

Sicher. Aber meine Wahrnehmung war, so verrückt das klingt, realistisch. Aus meiner damaligen Sicht handelte ich in Notwehr. Die psychologische Situation ist ja auch eine reale Situation.