Repression gegen die Opposition

Im Kühlfach ist noch Platz

In Guatemala häufen sich gezielte Morde an Oppositionellen, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten.

Mario Guerra weiß nicht mehr weiter. Der Direktor der forensischen Gerichtsmedizin in Guatemala-Stadt wird geradezu mit Leichen überschwemmt. Allein während dreier Wochen im April dieses Jahres wurden 600 Tote in das Institut eingeliefert. »Von den durchschnittlich 20 am Tag sind die meisten Opfer von Gewalttaten« , sagt Mario Guerra. Schon bisher hatte die Gerichtsmedizin alle Hände voll zu tun. Allein im vergangenen Jahr wurde die ohnehin schon hohe Mordquote vom Jahr 2000 nochmals um 30 Prozent übertroffen.

Und es gibt Tage, da bricht in der Forensik das Chaos aus. Wie am 1. Mai, als die Polizei 50 Tote zählte, davon 80 Prozent Opfer von Gewalttaten. Da ist es kaum ein Trost, dass die Justiz sich nun Gedanken macht, ein zweites Labor einzurichten, um Guerra und seine Mitarbeiter zu entlasten und die Lagerdauer im Kühlfach von fünf auf zwei Tage zu verringern.

Die Polizei hat sich die Arbeit bereits erleichtert. Immer häufiger verzichtet sie auf »Schnickschnack« wie Zinksärge oder Plastiktragesäcke. Die Toten werden nur noch auf die Pritsche des Pick-Ups geladen, am Forensischen Institut wieder an Beinen und Händen wie Vieh von der Ladefläche gezogen und unter den Blicken Schaulustiger in die Gerichtsmedizin getragen.

Die Frage nach Ursachen und Motiven für die ansteigende gesellschaftliche Gewalt ist schwierig zu beantworten. Eine Ursache findet sich in den Bandenkriegen, die sich Jugendliche in den Nächten liefern. Die Kämpfe laufen nach ähnlichem Muster ab wie in den Slums der US-Großstädte in den achtziger und neunziger Jahren. Auch die herkömmliche Raubkriminalität fordert einen hohen Blutzoll. Die organisierte Kriminalität steht dem in nichts nach.

Gerade die Einwohner der Zone 3, die sich direkt an das Stadtzentrum anschließt, leben in Angst. »Immer wieder haben wir das Kommissariat gebeten, gegen den Drogenhandel in unserem Viertel vorzugehen. Man hat uns nur vertröstet oder uns nicht geglaubt, einmal sogar ausgelacht«, sagt Maria, die drei Kinder hat. Am 1. Mai ist es dann passiert: Am hellichten Tage begann in der 12. Straße, Ecke 6. Avenida eine wilde Schießerei unter Drogenhändlern. Die Bilanz: sieben Tote, darunter ein sechsjähriges Mädchen. Für Maria ist längst klar: »Die Polizei steckt mit den Drogendealern unter einer Decke.«

Ganz von der Hand zu weisen sind solche Vermutungen nicht. Unlängst wurde beispielsweise der »Verlust« von 3 000 Kilogramm Kokain aus der Asservatenkammer der Antidrogenpolizei Douan bemerkt. Was übrigens die US-Regierung so richtig in Rage brachte. Immerhin finanziert sie in ihrem Anti-Drogenkampf diese »Elitepolizei« maßgeblich mit. Sie drohte deshalb umgehend der guatemaltekischen Regierung damit, die weitere Zahlung von Hilfsgeldern einzustellen. Als Sofortmaßnahme werden nun 30 Polizeifahrzeuge aus den USA nicht geliefert.

Mittlerweile hat die ultrarechte Regierung von Guatemala angekündigt, die in Korruption und Morde verstrickte Douan-Truppe auf 400 Mann zu verringern. 150 Beamte dürfen nun ihren Dienst bei der herkömmlichen Polizei ableisten.

Diese Reaktion wirft auch ein Licht auf die Regierung, die gerade selbst im Korruptionssumpf zu versinken droht. Ihr scheint es nicht wirklich um Verbrechensbekämpfung zu gehen. Das kritisieren auch die Menschenrechtsorganisationen im Land, die immer mehr ins Visier rechter Todesschwadronen geraten - wie auch Gewerkschaften, Journalisten und oppositionelle Politiker. Häufig werden Büros von Menschenrechtsgruppen oder Gewerkschaften von bewaffneten Banden überfallen, auch die Einrichtung der Büros wird demoliert.

Und oft werden Kritiker einfach erschossen. Wie der Journalist Mynor Alegría Armendáriz, der dem Bürgermeister der Hafenstadt Puerto Barrios Korruption nachweisen konnte. Das Stadtoberhaupt engagierte kurzerhand einen Killer und ließ den Journalisten umbringen. Oder der Gewerkschaftsführer, Baudilio Amado Cermeño Ramírez, der direkt vor seinem Haus in der City der Hauptstadt von Schüssen niedergestreckt wurde. Keine 150 Meter vom Tatort entfernt stand ein Streifenwagen der Polizei. Die Täter entkamen.

Das letzte prominente Opfer war am 29. April Guillermo Ovalle, Kassierer einer Stiftung von Rigoberta Menchú, der guatemaltekischen Friedensnobelpreisträgerin von 1992. Er wurde erschossen, als er in einem Café saß. Geistesgegenwärtig schoss ein unbeteiligter Gast auf die Attentäter, verletzte einen am Bein, den anderen traf ein Bauchschuss. Obwohl der Tatort unweit des Präsidentenpalastes liegt und es dort normalerweise von Soldaten und Polizisten nur so wimmelt, konnten die Täter schwer verletzt entkommen. Die Polizei fand sie erst später; sie lagen in zwei unterschiedlichen Privatkliniken.

Für Menschenrechtsgruppen und Gewerkschaften wird wegen der unzähligen Drohungen und Gewaltakte gegen ihre Einrichtungen oder gegen öffentliche Personen eine effektive Arbeit schier unmöglich. Der am 26. Dezember 1996 feierlich geschlossene Friedensvertrag nach 36 Jahren Bürgerkrieg wird immer brüchiger.

Rigoberta Menchú fordert nach den jüngsten Morden eine direkte Intervention der Uno und die dauerhafte Entsendung eines UN-Sonderberichterstatters nach Guatemala. Wegen der sich zuspitzenden Lage sieht man sich wohl auch bei den Vereinten Nationen zum schnellen Handeln gezwungen. Bereits am 27. Mai will Hina Jilani, Sondergesandte des Generalsekretärs Kofi An-nan, dem von Gewalt erschütterten Land für fünf Tage eine Visite abstatten. Sie ist die höchste UN-Repräsentantin seit dem Friedensschluss vor knapp fünfeinhalb Jahren, die Guatemala besuchen wird.