Der Anwalt Michael Hausfeld zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter

»Die Vereinbarungen werden verletzt«

Das Ringen um die Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter schien beendet. Nach zwei Jahren einigten sich Ende 1999 Vertreter der Opfer mit Unterhändlern des deutschen Staates und deutscher Firmen auf eine Summe von zehn Milliarden Mark. Nachdem die US-Regierung dem zentralen deutschen Anliegen nachkam und weiteren Klagen in den USA vorbeugte, stellte der Bundestag im Mai vorigen Jahres die so genannte Rechtssicherheit fest und eröffnete den Weg für die Auszahlungen. Der Anwalt Michael Hausfeld war an den Verhandlungen beteiligt. Kürzlich hat er in New York eine Klage eingereicht, mit der er die US-Regierung dazu bewegen will, Druck auf die Deutschen auszuüben.

Sie haben an den Verhandlungen über die Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter teilgenommen. Wie empfanden Sie das Auftreten der deutschen Seite?

Die Bereitschaft der Deutschen, die Klagen anzuerkennen, war enttäuschend. Einige der an den Verhandlungen beteiligten Konzerne vertraten die Ansicht, Deutschland habe genug getan, weitere Forderungen seien unzulässig. Andere bezogen den Standpunkt, dass für die Zwangsarbeiter bereits gezahlt worden sei - in Form von Zahlungen der Betriebe an die SS. Einige Unternehmen besaßen sogar die Frechheit zu behaupten, die Opfer hätten während der Zwangsarbeit die beste Zeit ihres Lebens gehabt. Die Lebensbedingungen in den Heimatländern seien viel härter gewesen als unter der Zwangsarbeit in Deutschland oder auch in einem Konzentrationslager.

Das wurde in den Verhandlungen geäußert?

Ja, das war in den Verhandlungen.

Das geringe Volumen des Entschädigungsfonds hat zu Verteilungskonflikten zwischen den Opfergruppen geführt. War das von den Deutschen beabsichtigt?

Ich bin mir nicht sicher, ob das zu Beginn der Verhandlungen der Fall war. Aber gegen Ende wurde recht deutlich, dass die Hauptstrategie der Deutschen war, eine Summe zu präsentieren, die alle Forderungen abgelten und die Aufteilung des Geldes den Opfergruppen überlassen sollte. Wir dagegen hatten ursprünglich das Ziel, alle Forderungen separat zu verhandeln. Zunächst wollten wir eine Summe für die ehemaligen Zwangs- und Sklavenarbeiter vereinbaren. Im Anschluss sollte es um Eigentumsfragen und schließlich um Versicherungsansprüche gehen. Stattdessen wurde uns ein Gesamtbetrag vorgelegt und dann gesagt: »Nun streitet euch drum!«

Warum wurde überhaupt die Frage von Ansprüchen wegen Arisierungen zusammen mit der Entschädigung der Zwangsarbeiter verhandelt?

Das wurde nicht verhandelt, es wurde einfach festgelegt.

Wie kam das?

Die Deutschen meinten: »Hier sind zehn Milliarden Mark und dieses Angebot umfasst alle Ansprüche.« Wir mussten dann sehen, wie wir diese Summe auf die verschiedenen Ansprüche verteilten. Aber Sie müssen bedenken, dass wir der Auffassung waren, zehn Milliarden seien nicht mal genug, um die Zwangsarbeiterentschädigung zu regeln.

In deutschen Medien erschienen seinerzeit Artikel mit klar antisemitischer Konnotation. So bezeichnete Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein die Opferanwälte als »Haifische im Anwaltsgewand«. Begegneten Ihnen in den Verhandlungen ähnliche Ressentiments?

Ja, wobei ich denke, dass das auch eine Frage der Sensibilität ist.

Hatten Sie das Gefühl, dass solche Ressentiments im Raum waren?

Es gab solche Momente, ja.

Die US-Regierung erklärte in einem statement of interest, die Annahme weiterer Klagen von NS-Opfern liege nicht im außenpolitischen Interesse der USA. Das sollte die »Rechtssicherheit« garantieren.

Würden die Vereinbarungen eingehalten, hätten wir die Rechtssicherheit. Aber es ist recht deutlich geworden, dass die deutsche Seite Teilen der Vereinbarung nicht nachkommt.

Das ist auch Gegenstand Ihrer jüngsten Klage gegen die Vereinigten Staaten. Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Es wurde deutlich, dass die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft Verpflichtungen, die sie gegenüber der Bundesstiftung eingegangen ist, nicht erfüllt. Unser Interesse ist es daher, die USA zu zwingen, ihrer Pflicht als Treuhänderin nachzukommen und sicherzustellen, dass die Vereinbarungen eingehalten werden.

Sie werfen der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft vor, dass sie die entstandenen Zinserträge dazu nutzt, den eigenen Anteil zu verringern.

Wolfgang Gibowski von der Stiftungsinitiative hat immer wieder betont, dass es niemanden etwas angehe, was mit Zinserträgen geschehe, die 51 Millionen Euro überstiegen. Als wir die Bücher sehen wollten, wurde uns das verweigert. Das jedoch ist eine Verletzung der getroffenen Vereinbarung, die unter anderem vollständige Transparenz aller die Bundesstiftung betreffender Angelegenheiten vorsieht.

Wie hoch sind diese Zinserträge?

Nach unseren letzten Schätzungen handelt es sich um mindestens 220 Millionen Euro. Das deutsche Stiftungsgesetz sah nämlich vor, dass die Bundesregierung bis zum 31. Dezember 2001 zwei Überweisungen in Höhe von jeweils 1,2755 Milliarden Euro an die Bundesstiftung tätigt. Nach dem letzten von ihr veröffentlichen Bericht ist das jedoch nicht pünktlich geschehen. Ende des vorigen Jahres waren 2,5 Milliarden überwiesen, die letzten 51 Millionen folgten erst im März diesen Jahres.

Was aber ist mit den Zinsen, die diese 51 Millionen einbringen sollten? Das mögen kleine Beträge sein, aber es ist klar, dass der geringste Betrag gebraucht wird. Wenn Sie berücksichtigen, was jeder einzelne ehemalige Zwangsarbeiter an Entschädigung erhält, dann ist das eine Menge Geld.

In Ihrer Klage bemerken Sie, dass die Stiftungsinitiative bis zum Juni 2001 nur knapp zwei Milliarden Euro überwiesen hatte, gefolgt von einer Zahlung über 280 Millionen im Oktober. Ist der Anteil der deutschen Wirtschaft noch immer unvollständig?

Diese Zahlen entstammen dem letzten Bericht der Bundesstiftung. Das ist alles, was wir wissen. Wie Sie sehen, ist das ein weiteres Beispiel für die mangelnde Transparenz des gesamten Verfahrens. Dagegen richtet sich meine Klage. Ein weiterer Punkt der Vereinbarung mit den Unternehmen war, dass sie ihre Archive öffnen. Auch das ist bis heute nicht geschehen.

Unterstützen Sie die Forderung nach internationaler Kontrolle, um die Transparenz der Arbeit der Bundesstiftung zu sichern?

Ja, ich denke das ist inzwischen notwendig. Die Fehler sind offensichtlich. Die mit der Abwicklung der finanziellen Geschäfte der Bundesstiftung beauftragten Banken sind zugleich selbst Beitragszahler. Das hat zu merkwürdigen Aktivitäten geführt, besonders beim Zloty-Umtausch. Dabei gingen wegen schlechter Kurse etwa 100 Millionen Euro verloren. Die Banken legen ihre Bücher ebenfalls nicht offen.

Inwieweit würde ein Erfolg Ihrer Klage das statement of interest tangieren?

Gar nicht. Es wird derzeit am ehesten von einem Verfahren in Florida bedroht. Dort klagt eine Richterin, die selbst Antragstellerin bei der Bundesstiftung ist, auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des statement of interest.

Wie bewerten Sie das?

Unser gesamtes Verhandlungsergebnis würde hinfällig. Würde das statement of interest für verfassungswidrig erklärt, würden die Deutschen alle weiteren Zahlungen einfrieren. Die Opfer sähen dann überhaupt kein Geld mehr.

Wird es zu neuen Auseinandersetzungen um Entschädigungsansprüche kommen?

Ich hoffe nicht, abgesehen von jenen Bereichen, die offen geblieben sind. Schwierigkeiten könnten bei Versicherungsansprüchen und Eigentumsfragen entstehen, über die bei den Verhandlungen hinweggegangen wurde, um die Sache schnell zu beenden.