Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich

Warten auf die Paten

Wegen fehlender Unterschriften steht Jean-Marie Le Pens Teilnahme an der französischen Präsidentschaftswahl in Frage.

Die Vorausscheidung wird vermutlich der spannendere Teil des Spiels. Schließlich entscheidet sich in der Vorrunde, welche Kandidaten die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen, um an der französischen Präsidentschaftswahl Ende April teilnehmen zu können. Das Ergebnis wird am Donnerstag von den Verfassungsrichtern bekannt gegeben.

Bis zum Dienstagabend hatten die Bewerber Zeit, um 500 Unterschriften von Mandatsträgern vorzulegen, den so genannten Wahlpaten, die ihre Kandidatur unterstützen. Unterschreiben können Bürgermeister, Abgeordnete aus den Départements sowie Regional-, National- und Europaparlamentarier.

Die Auflage, die einst zur Abschreckung unseriöser Kandidaten eingeführt wurde, ist mittlerweile zum Hindernis selbst für etablierte Bewerber geworden. Einige der kleineren politischen Organisationen wiederum, wie beispielsweise die Grünen und voraussichtlich auch drei linksradikale Parteien, haben gute Chancen, die Hürde zu überwinden. Denn viele Mandatsträger unterschreiben »im Namen der Demokratie« und des Pluralismus für »kleinere« Kandidaten, selbst wenn sie deren politische Ideen nicht teilen.

Dennoch ist in diesem Jahr die Kandidatur eines durchaus schwergewichtigen Politikers nicht gesichert. Der Altfaschist Jean-Marie Le Pen vom Front National (FN) hatte in den vergangenen Wochen erhebliche Mühe, die benötigten 500 Unterschriften eizusammeln. Denn als sich die rechtsextreme Partei vor drei Jahren spaltete, wechselte zwar nur rund ein Drittel der Mitglieder zum neu gegründeten Mouvement National-Républicain (MNR). Doch mehr als die Hälfte der Kader und Mandatsträger wechselte die Partei.

Le Pen betreibt seit einiger Zeit eine persönliche Abrechnung mit dem Amtsinhaber Jacques Chirac, dem er seine Bündnisunwilligkeit in der Vergangenheit vorwirft. Mittlerweile beschuldigt er dessen konservative Partei, an den Schwierigkeiten seiner Kandidatur schuld zu sein und die Bürgermeister unter Druck zu setzen. Könne er nicht antreten, so der Vorsitzende des FN in einem Interview mit dem Figaro, drohe Chirac eine »wahlpolitische Apokalypse«, da die FN-Anhänger dann gegen ihn stimmen würden.

Auf einer Pressekonferenz am vorigen Freitag erklärte ein sichtlich beunruhigter Le Pen, dass ihm noch 27 Wahlpatenschaften fehlen. Sein großer Widersacher Bruno Mégret, Gründer des rivalisierenden MNR, gab gleichzeitig an, die benötige Zahl fast erreicht zu haben. Glaubt man der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung Le Canard enchaîné, dann hat der Neofaschist Mégret rund 150 Unterschriften den Konservativen zu verdanken.

Die Kanditatur Mégrets und der Ausschluss Le Pens hätten für die konservative Rechte entscheidende Vorteile, könnte sie doch über eine quasi institutionalisierte Variante des Rechtsextremismus verfügen. Schließlich hat Mégret bereits angekündigt, im zweiten Wahlgang Chirac gegen den Sozialdemokraten Lionel Jospin zu unterstützen. Mégret tritt seit Jahren für Regierungsallianzen nach italienischem oder österreichischem Muster ein, Le Pen hingegen gilt als bündnisunfähig. Bisher freilich hatte der farblose Technokrat Mégret bei den Wählern nicht so viel Erfolg wie der alternde »Volkstribun« Le Pen.

Nach der Vorrunde findet dann am 21. April das Halbfinale statt. Die beiden mit Abstand aussichtsreichsten Bewerber um das höchste Staatsamt sind hinlänglich bekannt, schließlich regieren sie bereits seit fünf Jahren zusammen. Der konservative Staatspräsident Jacques Chirac ist seit Juni 1997 gezwungen, an der Staatsspitze mit dem sozialdemokratischen Premierminister Lionel Jospin zu kohabitieren.

Die Stichwahl am 5. Mai könnte zu einem langweiligen Ereignis werden, denn nach Meinung der Wähler scheint es kaum inhaltliche Differenzen zu geben. Mitte März urteilten 75 Prozent der befragten Franzosen und Französinnen, es gebe »nicht viele« oder »keine« Unterschiede zwischen den Programmen der beiden wichtigsten Kandidaten.

Für ein wenig Spaß sorgen wenigstens die Wahlversprechen von Jacques Chirac. Der hemmungslose Populist will gleichzeitig die Steuern binnen fünf Jahren um ein Drittel senken, die jährlichen Militärausgaben um 30 Prozent erhöhen, die Armut besser bekämpfen und das Staatsdefizit redußen unkohärent, dass Chirac in der populären Satiresendung »Les Guignols de l'info«, einer Art politischer Muppets-Show, eine neue Puppe bekommen hat. Um seine Wahlversprechen wahr zu machen, tritt Chirac hier im Superman-Kostüm auf, doch die Aufschrift auf dem Gewand ist von Superman in supermenteur (Superlügner) abgewandelt.

Der neue Spitzname Chiracs wurde rasch zum Selbstläufer, vor allem anlässlich seiner Besuche in den Banlieues. Anfang März wurde der Kandidat und Amtsinhaber im Val-Fourré, der größten Hochhaussiedlung des Landes, die zur Trabantenstadt Mantes-la-Jolie gehört, von einer fröhlichen Horde Kinder und Jugendlicher überrascht, die ihm »supermenteur, supervoleur« (Superlügner, Superdieb) zuriefen und die Namen seiner berühmtesten Korruptionsskandale skandierten. Zwei Wochen später wiederholte sich die Szene in der Pariser Vorstadt Argenteuil.

Doch mittlerweile hat sich das Bild geändert. Was zunächst peinlich wirkte, wurde von Chiracs Wahlkampfteam in seine Strategie aufgenommen. Bei öffentlichen Auftritten in den Banlieues sollten solche Aktionen gleich einkalkuliert werden. Diese Szenen sollen Chiracs Botschaft untermalen, dass die innere Sicherheit ein drängendes Problem sei und jedwede Autorität, sei es der Familie oder des Staates, in Frankreich missachtet werde. Dem braven Bürger, so das Kalkül, solle das Schaudern beigebracht werden.

Der Amoklauf eines 33jährigen Sozialhilfeempfängers hat nun für zusätzliche Aufregung gesorgt. Richard Durn erschoss am vorigen Mittwoch acht Kommunalparlamenterier im Rathaus der Pariser Vorstadt Nanterre, wo die KP regiert, um sich am folgenden Tag aus dem vierten Stock der Polizeipräfektur zu stürzen.

Premierminister Jospin wies zwar zunächst darauf hin, dass keine innenpolitische Maßnahme die furchtbare Einzeltat eines Wahnsinnigen ausschließen könne. Und auch die Tageszeitung Libération warnte: »Weidet das Geschehen von Nanterre nicht aus!«

Doch einige Stunden später gab Chirac dann doch der Versuchung nach, das Ereignis in seinen Wahlkampf einzubauen. »Die Unsicherheit reicht von der gewöhnlichen Unsicherheit bis zu dem Drama, das wir in Nanterre erlebt haben«, erklärte er während eines Auftritts in der Pariser Vorstadt Savigny-sur-Orge.