RAF-Verfahren in Stuttgart wird neu aufgerollt

Ermittler in Weiß

Wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der RAF rollt die Bundesanwaltschaft ein längst eingestelltes Verfahren gegen eine Frau aus Stuttgart wieder auf. Neue Erkenntnisse soll eine DNA-Entnahme liefern.

Die Beamten, die zur Observation von Heidi R. abgestellt worden waren, hatten versagt. Durch ihre Unaufmerksamkeit konnte die Stuttgarterin im Jahr 1986 vier Wochen lang unüberwacht ihrer Wege gehen. Sie habe sich damals der Überwachung entzogen, behauptet die Bundesanwaltschaft (BAW) in einem Schreiben, das Heidi R. Ende des vergangenen Jahres zugestellt wurde. Der Anlass des Schreibens ist jedoch nicht das späte Eingeständnis dieser Panne, sondern ein Ermittlungsverfahren gegen Heidi R. nach Paragraf 129a wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in der Roten Armee Fraktion (RAF).

Scheitern als Chance - so lautet offenbar das Motto der obersten Strafverfolger der Republik. Denn sie wollen sich jetzt die Tatsache, dass just in dem Zeitraum, in dem Heidi R. unüberwacht blieb, zwei Anschläge verübt wurden, zu Nutze machen. Dabei handelt es sich um den Angriff auf den Siemens-Manager Karl-Heinz Beckurts am 9. Juli 1986 sowie den Anschlag einer »kämpfenden einheit sheban atlouf« auf das Fraunhofer-Institut für Lasertechnik in Aachen am 24. Juli 1986.

In beiden Fällen wird Heidi R. nun einer Tatbeteiligung verdächtigt. Und im Zuge dessen wurde ihr eine DNA-Entnahme angekündigt. Eine »zwangsweise Durchführung« könne sie nur abwenden, wenn sie in den Test einwillige. An diesem Mittwoch läuft die Frist ab, die Heidi R. für eine Stellungnahme eingeräumt wurde.

Die neuen Analysemöglichkeiten sind der Bundesanwaltschaft Anlass genug, um ein altes Verfahren wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der RAF gegen die Frau wieder aufzunehmen. Von 1987 bis 1993 wurde gegen sie wegen des angeblichen Aufbaus von internationalen Diskussions- und Propagandastrukturen im Rahmen des damaligen antiimperialistischen »Front-Konzeptes« ermittelt. Das Verfahren musste schließlich wegen mangelnden Tatverdachts eingestellt werden. In der Neuauflage wird Heidi R. nun mit den besagten Anschlägen in Verbindung gebracht. Neue Erkenntnisse werden dafür jedoch nicht aufgeführt, was für die Ermittler offensichtlich kein Problem ist. »Neun Jahre später sollen dieselben so genannten Indizien des alten Verfahrens, wie etwa Telefonprotokolle oder Observationsberichte, plötzlich ausreichend sein für einen völlig neuen Tatverdacht«, wundert sich Heidi R.

Was die herkömmliche kriminalistische Methodik nicht vermag, soll nun die DNA-Spurenanalyse richten. Ein im Mai 2000 vom Bundeskriminalamt (BKA) vorgestelltes Verfahren ermöglicht nach Aussage der Behörde die Untersuchung von ausgefallenen, so genannten telogenen Haaren ohne Zellkern, wie sie auch an den oben genannten Tatorten gefunden wurden. Die neue Methode wurde von Kriminalisten als »Siegeszug des Sachbeweises« gefeiert, da bis dahin Zellkerne für eine Identifikation von Personen unbedingt erforderlich waren (Jungle World, 22/01).

Doch »eine DNA-Spur überführt noch keinen Täter«, gesteht auch Hermann Schmitter, Leiter der Fachgruppe Serologie beim BKA. Die Methode ordne eine Spur zu und sei lediglich ein Hilfsmittel der Ermittlung. Über dessen Zuverlässigkeit gehen die Ansichten weit auseinander. So weist Detlef Nogala, Kriminologe am Max-Planck-Institut für internationales und ausländisches Strafrecht in Freiburg, darauf hin, dass die Methode »sehr viel empfindlicher gegen bewusste oder zufällige Kontaminationen des Spurenmaterials mit Fremd-DNA« sei.

Mit anderen Worten: Material, das im Labor ankommt, muss nicht zwingend vom Tatort stammen und kann sogar manipuliert worden sein. Ein Einwand, der auch im Zusammenhang mit dem Mord an dem damaligen Präsidenten der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, zur Sprache kam. Von verschiedenen Seiten wurde bezweifelt, ob ein am Tatort gefundenes Handtuch, an dem das BKA Spuren der DNA von Wolfgang Grams entdeckt haben will, ein hinreichendes Indiz dafür sei, dass Grams sich auch tatsächlich dort aufgehalten habe.

Außerdem stellte eine vor zwei Jahren von der französischen École Nationale de la Magistrature veröffentlichte Studie fest, dass Richter nur schwer ermessen könnten, »ob die ihnen unterbreiteten Untersuchungsergebnisse eine zuverlässige Identifizierung erlauben«.

Mit solchen Überlegungen belastet sich das BKA jedoch nicht. Schließlich finden die DNA-Analysen durch ihre propagandistische Aufwertung bei der Aufklärung von Sexualdelikten in der Öffentlichkeit immer größere Akzeptanz. Mit Hilfe der Genanalysen will man nun späte Erfolge bei der RAF-Fahndung erzielen. Mit der vor fünfeinhalb Jahren gegründeten Arbeitsgruppe 80/90 wurden Beamte beauftragt, die sich zuvor noch nicht mit RAF-Fällen befasst hatten. Sie sollen bislang übersehene Zusammenhänge bei insgesamt 19 Anschlägen aus den achtziger und neunziger Jahren entdecken.

Zwar ist diese neue Generation von Ermittlern nicht unbedingt erfolgreicher als ihre Vorgänger, aber immerhin ähnlich fantasievoll. So will die Arbeitsgruppe neue Erkenntnisse über die innere Struktur der Guerilla gewonnen haben. Diese sei weniger festgefügt und durchlässiger gewesen als angenommen. Damit wird das Konstrukt der so genannten temporären Mitgliedschaft und der mitgliedschaftlichen Beteiligung entscheidend erweitert.

Das BKA, das schon jetzt über 163 000 Genanalysen in seinen Datenbanken gespeichert hat, plant im Rahmen seiner RAF-Ermittlungen eine Vielzahl weiterer Tests. Im Falle der Anschläge auf Beckurts und das Fraunhofer-Institut liegen jedoch nicht einmal die Ergebnisse der Untersuchung der Haare vor, die am Tatort aufgefunden wurden. Ein Abgleich ist also noch gar nicht möglich. Dennoch wurde Heidi R. zum Test vorgeladen.

Selbst am Bundesgerichtshof wird kritisiert, welchen Stellenwert die einseitige Methodik der Kriminalisten, die in Fachkreisen schon als »Richter in Weiß« bezeichnet werden, mittlerweile hat. Der Karlsruher Richter Armin Nack kritisiert, »dass Sachbeweise eine wachsende Rolle in Strafverfahren spielen. Mindestens genauso wichtig ist aber die Einhaltung kriminalistischer Mindeststandards beim Personalbeweis«.

Doch die Praxis der Strafverfolger sieht anders aus. So besteht im aktuellen Berliner RZ-Verfahren der »Personalbeweis« alleine im Kronzeugen Tarek Mousli, seine Aussagen sind der »kriminalistische Mindeststandard«. Und auch im Verfahren gegen Heidi R. liegt die Vermutung nahe, dass es nicht nur angestrengt wurde, um ihre DNA in die Hände zu bekommen. Auch sie glaubt, dass es der Bundesanwaltschaft um mehr geht: »Die staatliche Abrechnung mit vergangenen kämpferischen Phasen zielt nicht nur auf die unmittelbar Betroffenen. Zur Einschüchterung zielt sie präventiv auf gegenwärtige und künftige Entwicklungen.«