Die finnische Pathologin Helena Ranta zum Prozess gegen Milosevic

»Ich würde in Den Haag aussagen«

Einige Zeit lang war es still um Helena Ranta, doch nun steht sie wieder im Zentrum der Neugierde von Journalisten und auch im Zentrum der Kritik des in Den Haag angeklagten ehemaligen jugoslawischen Staatschefs Slobodan Milosevic. Die finnische Pathologin ist die Leiterin eines Wissenschaftlerteams der EU und hat in Bosnien und im Kosovo versucht, mögliche Massaker aufzuklären. Die Untersuchung des angeblichen Massakers in Racak Mitte Januar 1999 war wohl ihre spektakulärste Arbeit. Journalisten aus der ganzen Welt bemühten sich um ihre Ermittlungsergebnisse, Politiker der Nato versuchten, sie zu beeinflussen. Von den Attacken Slobodan Milosevics ist sie entsetzt. Immerhin hat ihr der in Den Haag um seine Rehabilitation kämpfende mutmaßliche Kriegsverbrecher vorgeworfen, ein Komplott mit der Haager Chefanklägerin Carla del Ponte verabredet zu haben. Sie soll sich mit der Schweizer Juristin darauf geeinigt haben, Milosevic in ihren Berichten zu denunzieren.

Vor zwei Wochen hat in Den Haag der Prozess gegen Slobodan Milosevic begonnen, und schon am zweiten Prozesstag hat der Angeklagte Sie in seinem Eröffnungsplädoyer angegriffen. Verfolgen Sie den Prozess derzeit?

Nicht besonders. Ich war auf einer Mission in Kamerun und bin nur vom finnischen Außenministerium informiert worden. Aber ich bin einigermaßen überrascht, wie die Sache in Den Haag begonnen hat. Das hätte ich mir, ehrlich gesagt, so nicht gedacht.

Milosevic hat Ausschnitte aus einer Dokumentation des WDR über den Kosovo-Krieg mit dem Titel »Es begann mit einer Lüge« zeigen lassen. Darin kommen auch Sie vor, und Milosevic will damit wohl suggerieren, dass Sie ihn mit Ihrem Interview für den WDR entlastet hätten.

Ich bin sehr entsetzt darüber, wie das Interview in dem Film offenbar verwendet wurde. Es geht in dem Abschnitt scheinbar um die Vorgänge in Rugovo Ende Januar 1999. Aber die Herren vom WDR haben mich während des Interviews kein einziges Mal nach Rugovo gefragt.

Es war ein ganz allgemeines Gespräch, das rund zwei Stunden dauerte und ich habe wahrheitsgetreu erzählt, dass man am Beginn einer Ermittlung keine Möglichkeit ausschließen könne. Man muss am Anfang sowohl ein Massaker in Betracht ziehen als auch die Möglichkeit eines Fakes. Dass der WDR diese Aussage dann in Zusammenhang mit Rugovo gebraucht hat, wundert mich doch sehr. Wenn man die Passagen in dem Film sieht, muss man wohl denken, ich sei der Meinung, dass Racak oder auch Rugovo ein Fake waren, und das ist Unsinn.

Haben Sie den Film denn gesehen?

Nein, noch nicht, aber unsere Regierung hat mir mitgeteilt, wie ich darin vorkomme. Ich habe inzwischen auch die deutsche Botschaft hier in Helsinki eingeschaltet, und das Berliner Außenministerium wird mir eine Kopie des Films zukommen lassen. Danach werde ich mir weitere Schritte zu dieser WDR-Dokumentation überlegen.

Am 29. Januar 1999 kamen in Rugovo 24 Kosovo-Albaner und ein serbischer Polizist ums Leben. Der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping sprach in einer Pressekonferenz wenig später davon, dass in Rugovo »unschuldige Zivilisten« ums Leben gekommen seien. Was ist dort denn wirklich passiert?

Ich war an diesem 29. Januar 1999 im Kosovo und habe einen Anruf erhalten, dass in Rugovo etwas passiert sei. Man hat uns gefragt, ob wir hinkommen könnten, und noch am selben Abend waren wir dann dort. Am Samstag sind wir nochmals hingefahren.

Was ich jetzt sagen kann, ist, dass in Rugovo ein Teil der Opfer definitiv Kämpfer der kosovo-albanischen UCK waren. Ich weiß, was Scharping dann später darüber gesagt hat.

Slobodan Milosevic hat Ihnen schon in den ersten Tagen des Prozesses gegen ihn vorgeworfen, eine Art Büttel Carla del Pontes zu sein und in deren Sinn zu handeln. Er hat davon gesprochen, dass es zwischen Ihnen und Carla del Ponte einen Deal geben soll, der darin besteht, dass Sie in Ihre forensische Berichte möglichst viel belastende Indizien gegen Milosevic aufnehmen.

Herr Milosevic sollte sich meiner Position bewusst sein. Ich habe niemals in meinem Leben Aufträge des Haager Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien entgegengenommen, und ich habe niemals in meinem Leben mit Frau del Ponte gesprochen, um mit ihr Details meiner Berichte zu klären. Auch nicht mit ihren Mitarbeitern. Ich habe keine Verabredungen zu treffen mit Frau del Ponte oder dem Tribunal. Ich bin Wissenschaftlerin und ermittle allenfalls im Auftrag der EU oder eben auch unserer Regierung.

Kurzum: Es gab keine geheimen Absprachen zwischen Frau del Ponte und mir. Was ich getan habe, ist, meine Berichte an das Tribunal weiterzuleiten. Das ist alles.

Hat Sie das Tribunal auch nicht jetzt kontaktiert, vielleicht um von Ihnen Interpretationen Ihrer Ermittlungsergebnisse zu erhalten?

Was gibt es da zu interpretieren? Ich habe den Job gemacht, den jeder Gerichtsmediziner macht. Da kann man eigentlich nichts interpretieren. Also ist das Tribunal auch nicht an mich herangetreten.

Milosevic hat in seinem Eröffnungsplädoyer auch den Wunsch geäußert, prominente Zeugen vernehmen zu wollen. Auf seiner Wunschliste stehen unter anderem Helmut Kohl, Gerhard Schröder und William Clinton. Der ehemalige Nato-General Wesley Clark hat schon angekündigt, nach Den Haag kommen zu wollen, wenn er darum gebeten werde - egal ob als Zeuge der Verteidigung oder als Zeuge der Anklage. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn Herr Milosevic den Wunsch äußert, auch mit Ihnen als wohl prominentester Ermittlerin im Kosovo-Krieg zu sprechen. Würden Sie seinem Wunsch folgen?

Bisher ist von keiner der beiden Seiten der Wunsch an mich herangetragen worden, dass ich nach Den Haag kommen soll. Immerhin aber hat schon unser Außenministerium in Helsinki bei mir nachgefragt, ob ich im Fall des Falles bereit wäre, nach Den Haag zu kommen.

Aber sehen Sie: Ich habe mein ganzes Leben im öffentlichen Dienst verbracht und kenne meine Pflichten. Ich kann Ihnen also sagen, dass ich auf jeden Fall in Den Haag im Prozess aussagen würde, egal, ob das Herr Milosevic möchte oder Frau del Ponte. Letztlich würde mich ohnehin das Gericht fragen, ob ich aussagen will, egal auf wessen Wunsch.

Einige Beobachter des Prozesses waren von der Art und Weise überrascht, mit der Milosevic die Zeugen bisher zerpflückt hat. Er ist geschickter, als sich das del Ponte wohl vorgestellt hat. Haben Sie Sorgen, dass er auch Ihre Ermittlungsergebnisse für sich zu interpretieren versucht?

Das ist nicht meine Angelegenheit. Ich bin in erster Linie Gerichtsmedizinerin und Expertin und kann ohnehin nur das wiederholen, was schon in meinen Berichten steht. Da gibt es eigentlich nichts zu zerpflücken. Ich werde wahrheitsgetreu antworten.

Glauben Sie, dass es leicht sein wird, Milosevic die Verantwortung für Racak zu beweisen?

Das ist nicht meine Sache. Aber es gab ja schon in Pristina einen Prozess gegen einige der beteiligten serbischen Polizisten. Der serbische Richter hat das Verfahren eingestellt, weil er der Ansicht war, dass die Polizisten auf Befehl gehandelt haben.

Jetzt hatten Sie einige Monate lang Ruhe vor den Angelegenheiten des Balkans. Plötzlich rücken Sie wieder ins Zentrum des Interesses. Freut Sie das?

Eigentlich nicht. Ich hatte jetzt eigentlich genug von all diesen Dingen und habe versucht, mich da möglichst rauszuhalten. Aber jetzt fängt es eben wieder an.