Die Arbeitsvermittlerin Monika Gries über die Krise der Arbeitsämter

»Der Druck wird immer größer«

Seitdem Zweifel an den Vermittlungszahlen seiner Behörde aufgekommen sind, hat Bernhard Jagoda, der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit (BA), keine Ruhe mehr. Das Amt sei ineffektiv und verwalte die Erwerbslosen, anstatt ihnen neue Jobs anzubieten, lautet der Vorwurf. Monika Gries* ist Arbeitsvermittlerin in Nordrhein-Westfalen.

Die Bundesanstalt für Arbeit wird heftig kritisiert, weil sie angeblich viel weniger Erwerbslose vermittelt hat, als sie vorgibt. Was halten Sie von den Vorwürfen?

Die Debatte wird zum Selbstläufer. Wenn die Behörde nur anhand der Vermittlungszahlen bewertet wird, dann versucht sie natürlich auch, diese Zahlen zu pushen. Andere Tätigkeiten finden dann keine Beachtung mehr. Außerdem hat bislang jede Regierung entsprechende Vorgaben gemacht, um die eigene Politik zu legitimieren. Einmal waren es Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, dann die so genannte Umschulungs-, dann die Vermittlungsoffensive. Die Behörde versucht eben, die Vorgaben zu erfüllen.

Wieso kommt die Debatte gerade jetzt?

Die Diskussion um die Effektivität der Arbeitsvermittlung ist nicht neu. Seit Jahren gibt es zahlreiche Überlegungen dazu - etwa dass die Arbeitslosenhilfe von den Kommunen übernommen werden soll. Es gibt sogar Vorschläge, die BA vollständig zu zerschlagen und die gesamten Aufgabenbereiche des Amtes zu deregulieren.

Wie wirkt sich diese Diskussion auf die Atmosphäre in den Ämtern aus?

Der Leistungsdruck wird durch die permanente Umstrukturierung immer größer. In den letzten zwei Jahren wurde das Modell Arbeitsamt 2000 eingeführt. Demnach sollen die Mitarbeiter der BA künftig in Teamstrukturen arbeiten, ähnlich wie in der Automobilbranche. Die klassische Aufteilung von Vermittlung und Leistungsbezug wird aufgehoben, sodass alle Beschäftigten jeden Bereich abdecken können. Das Ziel sind ähnliche Rationalisierungserfolge wie in privaten Unternehmen, wie beispielsweise bei Siemens.

Doch dieses Modell schafft nicht nur eine starke Konkurrenz zwischen den Teams. Da der Personalbestand des Amtes im Verhältnis zu den wachsenden Erwerbslosenzahlen nicht aufgestockt wurde, nimmt die Belastung stetig zu. Viele Mitarbeiter fühlen sich überfordert. Sie müssen sich in neue Tätigkeitsbereiche einarbeiten und gleichzeitig mehr Aufgaben übernehmen.

Wie organisiert die Bundesanstalt diese Umstrukturierungen?

Die Zentrale in Nürnberg formuliert die Vorgaben, die nachgeordneten Abteilungen müssen dann überlegen, wie der Leistungskatalog - etwa die geforderte Zahl an Vermittlungen oder Betriebsbesuche - umgesetzt werden kann. Durch die elektronische Datenerfassung kann die Zentrale dann die Leistungen jedes Teams und jedes Mitarbeiters überprüfen und vergleichen. Und dies führt wiederum zu einer starken Konkurrenz zwischen den Teams und auch innerhalb der Gruppen. Denn wenn die Vorgaben nicht erfüllt werden, bedeutet dies ganz einfach Personalabbau. Die Mitarbeiter geben diesen Druck weiter.

Und welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für die Arbeitsuchenden?

Sie sollen einerseits nach »Eignung und Neigung« vermittelt werden, wie es in den entsprechenden Gesetzen so schön heißt. Doch wer einen Job ablehnt, wird mit Sperrzeiten belegt. Es geht immer um die Rahmenvorgaben, und die sehen nun mal vor, die Erwerbslosen so schnell wie möglich in den Arbeits- und Ausbeutungsprozess zu integrieren. Es geht eben nicht um deren Wünsche, sondern um die Erfüllung der ökonomischen Vorgaben. So kommen beide Seiten zusammen: auf der einen die Umstrukturierung der Ämter, auf der anderen die gesetzlichen Änderungen, die die Lage für Erwerbslose verschärfen.

Die BA schickt ihre »Kunden« immer häufiger in Umschulungsmaßnahmen. Ist das nur ein Trick, um niedrige Arbeitslosenquoten zu erreichen?

Die Behörde entwickelt sich immer mehr zu einer Art Reparaturbetrieb. Die Klientel der BA setzt sich mehr und mehr aus Personen zusammen, die psychische Probleme haben. Das Anforderungsprofil vor allem in den neuen Branchen ist derart hoch, dass viele damit auf Dauer überfordert sind. Wer den Druck nicht mehr aushält und krank wird, landet dann früher oder später beim Arbeitsamt.

Die Fort- und Weiterbildung war doch lange Zeit vor allem eine Aufgabe der Betriebe.

Die betriebliche Weiterbildung wurde in den letzten Jahrzehnten zunehmend an den Staat, also die BA, delegiert. Das Personal wird von den Betrieben immer intensiver ausgebeutet, die Folgekosten werden dann auf die BA übertragen und in Form von so genannten Umschulungs- oder Rehabilitationsmaßnahmen sozialisiert.

Die weitere kapitalistische Entwicklung zielt nun darauf ab, dass sich die Menschen selbst kontrollieren sollen und die Institutionen, ob privat oder staatlich, nur noch die Rahmenbedingungen organisieren. Alle sollen sich pausenlos fortbilden, um als Ware Arbeitskraft attraktiv zu bleiben. Künftig wird die ständige Qualifizierung an das Individuum delegiert. Damit wird das kapitalistische Risiko noch mehr auf das Individuum verlagert, das nun selbst dafür sorgen muss, dass sein Qualifikationsniveau mit den Marktansprüchen konform geht.

Wenn es keine neuen Jobs mehr gibt, wie sollen dann die Arbeitslosenzahlen gesenkt werden?

Es geht vor allem darum, den Zeitraum des Leistungsbezugs, also das Arbeitslosengeld, drastisch einzuschränken. Einige der so genannten Experten sprechen inzwischen davon, dass nur sechs Wochen bis maximal sechs Monate lang überhaupt Unterstützung gewährt werden soll. Und wer einen Job ablehnt, soll jeden Anspruch verlieren.

Mit der Einführung des Niedriglohnsektors sollen zudem gewerkschaftlich erkämpfte Mindeststandards aufgehoben werden. Als Perspektive zeichnet sich das US-amerikanische oder britische Arbeitsmodell ab: Entweder du hast einen Job, oder du lebst in totaler Armut. Das heißt, es wird so lange Druck ausgeübt, bis man irgendwann jeden Job akzeptiert. Damit soll der Arbeitssektor auf die so genannten niedrigen Dienstleistungen, die es bereits vor 150 Jahren gab, ausgeweitet werden - ein Rückfall in frühkapitalistische Zeiten.

Wieso regt sich so wenig Widerstand gegen dieses Modell?

Nicht der Kapitalismus und seine gesellschaftlichen Strukturen werden kritisiert, stattdessen sortieren sich die Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz selbst aus. Und das geht durch sämtliche gesellschaftlichen Bereiche. Alles wird dem Kosten-Nutzen-Prinzip unterworfen.

Bei den Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängern ist diese Atomisierung sozialer Zusammenhänge besonders deutlich zu beobachten. Die Menschen suchen nach individuellen Lösungen und finden sich mit der schlechten Wirklichkeit ab. Aber dieser Zustand ist nur der Endpunkt einer langen Entwicklung, die die gesamte Gesellschaft geprägt hat. Die Menschen sind immer weniger bereit, an kollektiven Lösungen zu arbeiten und andere Gesellschaftsmodelle jenseits des Kapitalismus überhaupt noch in Erwägung zu ziehen. Stattdessen ist jeder nur mit sich selbst beschäftigt.

Wie könnte eine andere Lösung überhaupt aussehen?

Wer für das Kapital keinen Mehrwert produziert, ist in diesem gesellschaftlichen Wertesystem unnütz. Es geht also um ein Recht auf Leben, das jenseits vom Recht oder Zwang zur Lohnarbeit besteht. Ein Existenzrecht, das den Anspruch auf Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum fordert, greift schließlich auch die Warengesellschaft an: Wohnen als Ware, Lohnarbeit und Geld als alleinige Legitimation für die Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen. Die Frage ist, wie man die Reproduktion von der Lohnarbeit abkoppeln und soziale Grundrechte durchsetzen kann.

* Name von der Redaktion geändert