Europa und die USA streiten über militärische Zusammenarbeit

Brothers in Peace

Europa geht aus der Deckung: Wegen des unaufholbaren militärischen Rückstandes zu den USA häufen sich die verbalen Attacken auf den Nato-Partner.

Eine Kampfdrohne vom Typ »Predator« war es, die in der vergangenen Woche das Höhlensystem Zawar Killi im gebirgigen Südosten Afghanistans überflog. Kameras und Sensoren an der Unterseite des Fluggerätes entdeckten eine Kolonne von Geländewagen, drei Männer in weißen Roben sprangen aus den Fahrzeugen. Auf einen von ihnen hatten es die Militärs, die die Drohne in den USA über eine Satellitenverbindung steuerten, offenbar abgesehen.

Er war groß. Ein gesuchter al-Qaida-Führer? Offenbar war allein diese Frage schon die Antwort. Sie drückten den Feuerknopf an ihrem Joystick. Eine anderthalb Meter lange, lasergesteuerte »Hellfire«-Rakete löste sich von der Drohne, schlug in der Nähe der Wagen ein. Unter den Toten befand sich auch der bis heute unbekannte Mann, dem seine Größe zum Verhängnis wurde. Mit der Bemerkung, »es wäre nett, wenn einer von ihnen Ussama bin Laden gewesen wäre«, präsentierte ein Regierungssprecher die Geschichte zwei Tage später in Washington.

Eine Kriegsgeschichte, die nur zu gut in die Propaganda passt. An diesem kleinen Ausschnitt des ansonsten unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit geführten Krieges wird deutlich, wie weit die USA und ihre Militärmaschine sich in den letzten Jahren von Feinden wie Freunden entfernt haben. Immer neue Waffensysteme werden entwickelt, um die Vereinigten Staaten in eine uneinnehmbare Festung zu verwandeln, die mit ihren Kanonen nicht weniger als die ganze Welt in Schach halten wollen.

Der Predator - Stückpreis 25 Millionen Dollar - ist seit Jahren als unbemanntes Aufklärungsflugzeug im Einsatz, auch über dem Balkan. Welchem Wahn die führenden Politiker der USA verfallen sind, macht die noch weiter entwickelte Drohne »Global Hawk« klar. Das 14 Meter lange und mit seinen 35 Metern Spannweite an ein riesiges Segelflugzeug erinnernde Gerät kann über 40 Stunden ununterbrochen in der Luft operieren. Von den USA gestartet, könnte es beispielsweise in den Luftraum über dem Irak einfliegen, dort aus 20 000 Metern Höhe Militärbasen und Industriezentren ausspähen, um dann irgendwann in der Türkei selbständig zu landen.

Angesichts derartiger militärtechnischer Entwicklungen können inzwischen selbst die hochindustrialisierten Westeuropäer nicht mehr mithalten. Oder wollen sie gar nicht?

Wie tief der Graben zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten mittlerweile ist, wurde während der 38. Münchener Sicherheitskonferenz Anfang Februar besonders deutlich. Nachdem US-Delegierte um den stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz die Runde wissen ließen, dass man im Krieg gegen den »Terrorismus« nun entschlossen sei, auch den Irak, Syrien oder den Sudan anzugreifen, gab es zumindest verbalen Widerstand der Europäer. Selbst der CDU-Außenpolitiker Karl Lamers moserte: »Es kann nicht sein, dass die USA allein entscheiden und wir folgen.«

Darauf erwiderte der republikanische Senator John McCain: Wenn die Europäer mitreden und mitbestimmen wollten, sollten sie erstmal dafür sorgen, auf Augenhöhe mit Amerika zu agieren. Massive »Nachrüstung« verlangte er von den europäischen Nato-Staaten, die zu wenig Geld für ihr Militär ausgäben. Nicht zuletzt wegen dieser Mängel habe man im Krieg in Afghanistan europäische Nato-Truppen neben den US-amerikanischen Spezialeinheiten »ehrlich gesagt« nicht wirklich gebrauchen können.

Und in der Tat wurden die fünf Awacs-Luftraumüberwachungsflugzeuge, die die Nato für den Feldzug gegen den Terror zur Verfügung stellte, nicht nach Asien, sondern auf die Tinker Airbase in Oklahoma beordert. Der einstige Verteidigungsminister William Cohen drehte das Rad noch ein Stück weiter: »Je größer die Lücken sind, um so weniger sehen die USA die Notwenigkeit, ihre europäischen Partner um Hilfe zu bitten.« Dieses militärische Manko könne auch zu einer »politischen Lücke« werden.

Lediglich Nato-Generalsekretär George Robertson versuchte, in diesem Konflikt zu vermitteln. Er räumte militärische Unterentwicklung ein. »Wenn wir also einen Unilateralismus und Isolationismus der USA verhindern wollen«, so sein Kurzschluss, »müssen alle europäischen Länder dazu bereit sein, die Fähigkeit zur effektiven Krisenbewältigung zu erlangen.« Doch wie feilt man sich die Welt nach seinen Interessen am besten zurecht? Nach den Regeln der USA, die die halbe Welt zum Kriegsgegner erklären?

Europa, also vor allem Großbritannien, Deutschland und Frankreich, aber auch Russland, reagiert auf das Herbeireden einer Kriegsgemeinschaft durch George W. Bush mit offener Ablehnung. Der britische Außenminister Jack Straw warf ihm vor, nur Wählerstimmen für die Kongresswahlen sammeln zu wollen. Sein französischer Kollege Hubert Védrine sah gar die Europäer von den USA durch einen »neuen vereinfachenden Ansatz« bedroht, der die Probleme der Welt auf den Kampf gegen den Terrorismus reduziere.

Selbst der deutsche Wehrminister Rudolf Scharping wollte in München festgehalten wissen, dass eine vorausschauende Politik nötig sei, um die fundamentale Spaltung der Welt in Arm und Reich zu überwinden, um also armen Ländern eine Perspektive geben zu können. Hatte er den Sozialdemokraten in sich wieder entdeckt? Solche Ursachenforschung ist nicht Sache der US-Amerikaner. Auch Außenminister Joseph Fischer wagte sich im spanischen Cáceres am Wochenende aus der Deckung: »Das ist nicht die Politik der Europäer.«

Der Bruch mit den USA scheint perfekt. Doch er ist vorerst nur verbal. In der Praxis stehen britische Truppen in Afghanistan fest an der Seite der US-Streitkräfte. ABC-Abwehreinheiten der Bundeswehr mit 250 Mann wurden mit Spürpanzern der Marke »Fuchs« zu einem Manöver nach Kuwait verlegt, 100 deutsche Kommandosoldaten sollen in Afghanistan mit von der Partie sein. Und die Bundesmarine operiert mit drei Fregatten, mit Schnellboten und in Dschibuti stationierten Langstreckenaufklärern in einer Armada von 100 Schiffen vor Somalia - vermutlich, um eine hier anlaufende Militäraktion gegen »Terroristennester« zu sichern. Die nächste Säuberungsaktion wird nicht im Irak, sondern am Horn von Afrika beginnen. Gemeinsam mit den USA.

Die Westeuropäer werden sich daran gewöhnen müssen, dass die USA für ihre Kriege weltweite Allianzen künftig nach Bedarf wie in einem Selbstbedienungsladen zusammenstellen werden. Sie selbst tun das mit einer im Aufbau befindlichen 60 000 Mann starken Euro-Armee ja auch. Doch die Eingreiftruppe für alle Fälle steht noch lange nicht. Immerhin entschloss sich die Europäische Union in Cáceres, erstmals gänzlich ohne US-Unterstützung die Führung des Militäreinsatzes »Amber Fox« in Mazedonien zu übernehmen.

Wie schloss der US-amerikanische Politikberater Walter Russel Mead ein Interview in der Frankfurter Rundschau? »Unsere Erfahrung ist, dass wir, wenn wir unsere Ärmel hochkrempeln, nicht nur uns selbst, sondern die Welt retten können.« Von solchem Größenwahnsinn der US-Amerikaner, die 2003 immerhin 380 Milliarden Dollar für Rüstung und Militär ausgeben wollen, ist Europa weit entfernt. Die Frage ist, wer oder was die derzeitige Regierung in Washington auf den Boden der Vernunft zurückholen kann? Derzeit wohl nur ein zweites Vietnam.