Rückversicherer und Fußball

Verstauchte Zehen

Wann immer Analysten in den letzten Jahren danach war, die Welt zu erschrecken, spielten sie mit den Begriffen Erdbeben und Rückerversicherungen herum. Der seit Jahren überfällige Big Bang in Kalifornien oder das erwartete große Beben in Japan könnten demnach der Beginn einer noch nie dagegewesenen Weltwirtschaftskrise sein. Ausgehend von den Rückversicherungen, bei denen die »Erstversicherer« genannten normalen Versicherungen mit direktem Kundenkontakt ihre Risiken absichern, würde es in einem solchen Katastrophenfall zu vielen Pleiten kommen, die alle Wirtschaftszweige erfassten.

Seit dem 11. September gilt das von vielen belächelte Szenario nicht mehr als Spielerei. Der größte internationale Rückversicherer, die Münchner Rück, hatte Schwierigkeiten, den ihr entstandenen Schaden zu beziffern. Niemand hatte die Zerstörung zweier Hochhäuser durch terroristische Akte auf der Rechnung, obwohl bei den Preis-Risiko-Expertisen, die Rückversicherer vor dem Vertragsabschluss ausfertigen, Experten unterschiedlicher Fachrichtungen mitarbeiten.

Wie viel der »größte Versicherungsfall aller Zeiten«, so die Rating-Agentur Standard & Poor's, die einzelnen Versicherer kosten wird, ist also noch unklar. Die Münchner Rück musste ihre Schadensberechnung innerhalb weniger Tage auf zwei Milliarden Euro verdoppeln. Insgesamt, so wird geschätzt, könnte allein der in New York entstandene Schaden die Branche 40 Milliarden Dollar kosten.

Auch die Gefahr von Flugzeugabstürzen wurde anscheinend nicht richtig berechnet. 1,5 Milliarden Dollar müssen die Gesellschaften für jede der am 11. September entführten Maschinen bezahlen, insgesamt zahlten alle weltweit operierenden Fluglinien im letzten Jahr jedoch nur 1,1 Milliarden an Prämien.

Deswegen ist es verständlich, dass die Versicherungen alle Engagements neu kalkulieren. Und warum die Hamburger AXA-Gruppe ihren Vertrag mit dem Fußball-Weltverband Fifa über die Absicherung der WM im nächsten Jahr kündigte. Die Versicherungsprämie von fast 37 Millionen Mark für die Deckungssumme von 1,85 Milliarden Mark, mit der vom angeknacksten Zeh eines Zuschauers über den Ausfall der Satellitenübertragung bis hin zum Erdbeben alle zum Zeitpunkt des Abschlusses nur vorstellbaren Risiken abgesichert werden sollten, erscheint AXA nun zu gering bemessen. Die veränderte Gefahrenlage erfordere eine neue Bewertung, erklärte ein Unternehmenssprecher.

Ein Angriff auf das vollbesetzte Stadion während des Endspiels um die Fußball-WM oder bei der Eröffnungsfeier der Olympiade gilt schließlich nicht mehr als lächerliches Szenario. Die Terrorangriffe gegen das WTC haben gezeigt, dass den Terroristen an symbolischen Zielen und guter Medienpräsenz liegt, überdies ist nicht auszuschließen, dass verwirrte Nachahmungstäter ein sportliches Großereignis als ideale Bühne sehen könnten.

Fifa-Chef Sepp Blatter erklärte zwar, die Kündigung nicht für rechtmäßig zu halten, aber »ohne Versicherung« sei die WM nicht denkbar. Nun droht dem Weltverband die finanzielle Schieflage, denn die kalkulierten Einnahmen in Höhe von 2,3 Milliarden Mark - mehr als zwei Drittel kommen als Garantiesumme von der Kirch-Gruppe - reichen nicht aus, um den Organisationskommitees die versprochenen 100 Millionen Dollar zu zahlen.