Die Linke und die Anschläge

Dumm und deutsch

Der autoritären Linken fällt nichts Besseres ein als platter Anti-Amerikanismus. Erster Teil einer Serie über die Reaktionen deutscher Linker auf die Terroranschläge.

Am 11. September eilten selbstverständlich auch die Freunde der Freundschaft, die Kämpfer für den Frieden und die Soldaten der Solidarität, die Zärtlichkeiten austauschen mit allen unterdrückten Völkern, die Hellseher einer humaneren Humanität, die der Menschheit dabei behilflich sein werden, ihre Fesseln abzustreifen und die Ausbeutung zu beenden, die Fürbitter der Gewaltlosigkeit und die Hinterfrager der Ursachen sowie eine unübersichtliche Schar halb alphabetisierter Trottel an ihre Schreibtische.

Man brauchte also nicht lange zu rätseln, was denn die deutsche Linke vom terroristischen Massenmord in New York und Washington hielt und wie er richtig zu verstehen und historisch einzuordnen sei. Arnold Schölzel, der nicht nur der Chefredakteur der jungen Welt ist, sondern zweifellos auch ein Mensch, und den deshalb dieses Geschehen vermutlich zunächst verstörte und erschütterte wie alle Menschen, gewann die Fassung als erster zurück. Und zwar so vollkommen, dass in seinem Kommentar, der noch am Abend der Untaten erschien, von seiner Verstörung und Erschütterung aber auch gar nichts mehr zu spüren war. Es war nicht zu glauben. Ein Mann, der in jedem Monat die Hälfte seines bescheidenen Gehalts dem kubanischen Milchfonds spendet, unterdrückte jedes Sentiment, um sich sofort auf die Suche nach den Schuldigen zu begeben.

Er fand heraus, dass die Opfer selbst schuld waren. Sie hatten, womöglich ohne es zu wissen, in fernen Ländern einen Krieg begonnen, der nun zu ihnen zurückkehrte. Denn »Ereignisse wie die vom Dienstag beweisen allein die Existenz eines Krieges, den die kapitalistischen Industrieländer mit Ausplünderung, mit >humanitären< Interventionen und Interventionsarmeen führen.«

Als noch niemand irgendetwas wusste, wusste Schölzel also schon, dass in New York und Washington die geschundene Dritte Welt zurückgeschlagen hatte. Und er wusste auch, wie die Regierung der USA und ihre Verbündeten reagieren werden, nämlich mit »Hysterie« und »Lynchneigung«. »Zu erwarten sind militärische Vernichtungsaktionen gegen mutmaßliche Urheber plus unbeteiligte Zivilisten. Sie folgen dem Terror, den man in diesem Fall weniger denn je ðindividuellÐ nennen kann, mit jener Konsequenz, mit der die Nazis den Reichstagsbrand nutzten.« So wie die Nazis mit Juden und Kommunisten verfuhren, so wird George Bush nun mit den Muslimen umgehen, und das terroristische Verbrechen wird ihm bloß ein willkommener Anlass zu ihrer Vernichtung gewesen sein.

Ein anderer Antiimperialist, Horst Mahler, der noch immer frei umherläuft, nannte die Anschläge »rechtens«. So weit geht unsere Linke natürlich nicht. Aber wie Ernst Nolte einst nachzuweisen versuchte, das Dritte Reich habe sich im Krieg mit den Juden befunden und deshalb sei ihre Internierung in Konzentrationslagern, wenn auch nicht ihre Ermordung, rechtens gewesen, so sieht die deutsche Linke nun die USA im Krieg mit dem Rest der Welt, und alles, was der imperialistischen Supermacht geschieht, ist vielleicht nicht rechtens, aber doch irgendwie gerecht.

Weil sie ohnehin Meister der Abstraktion sind, kommentieren die Anwälte aller unschuldigen Opfer mit dem gebotenen Sicherheitsabstand an der Tatsache vorbei, dass der Terror 6000 Menschen traf, denn er traf doch auch den Imperialismus oder wenigstens dessen Symbole. Indem sie den hirnlosen Werkzeugen islamischer Steinzeittheologen, die ja auch gegen den Kapitalismus kämpfen, zwar ein falsches Bewusstsein, aber die richtigen Motive unterstellen, denunzieren sie nebenbei alle Befreiungsbewegungen der Vergangenheit, also beispielsweise auch die kubanische. Schölzel sprach von der »erklärbaren Begeisterung in Palästina oder Serbien über die Attentate«. Eine ähnliche Begeisterung in Kuba käme George Bush sehr gelegen; zum Glück ist Fidel Castro nicht so dumm wie seine deutschen Freunde.

Wie dumm und wie deutsch sie sind, bewiesen alsbald der hervorragende Selbstdenker und Hausphilosoph der jungen Welt, Gerhard Branstner, und Rainer Rupp, ein ehemaliger Kundschafter des Friedens im Hauptquartier der Nato. »Die amerikanische Rüstungsindustrie sackt Milliarden Gewinne ein«, räsonnierte Branstner auf dem intellektuellen Niveau eines Pubertierenden, der soeben entdeckt hat, dass es keinen Gott gibt, und nun beginnt, sich die politische Weltlage zu erklären. »Wären diese Milliarden der Dritten Welt zur ökonomischen und politischen Gesundung zur Verfügung gestellt worden, hätte es diesen Terroranschlag nie gegeben. Stattdessen wird auf die schmählichste Art versucht, die Dritte Welt zu amerikanisieren.«

Die Dritte Welt ist nämlich krank, lautet die Diagnose der marxistischen Wissenschaft, man sollte ihr, damit sie wieder gesund wird, einige Milliarden US-Dollar verabreichen, darf sie dabei aber nicht amerikanisieren. »Die vielfachen Warnungen, dass diese Praxis einmal in irgendeiner Weise in die USA zurückkehren würde, haben sich jetzt bewahrheitet.« Jetzt werden nämlich die USA mithilfe von Selbstmordattentaten amerikanisiert. »Ob Auschwitz, Dresden, Hiroshima, Vietnam, Jugoslawien und jetzt dieser Terroranschlag - sie sind verschiedene Formen eines Irrsinns. Sie sind nichts anderes als die zwei Seiten des Endzeitkapitalismus.«

Dass sechs historische Ereignisse zwei Seiten desselben Kapitalismus sind, mag ja noch angehen. Aber die Behauptung, Auschwitz und Dresden seien zwei Formen desselben Irrsinns, beweist, dass man sich all das Gerede von den Verbrechen des Imperialismus im Grunde schenken kann. Ein deutscher Kommunist verübelt den Amerikanern in Wahrheit nur, dass sie der deutschen Arbeiterklasse zuvorkamen, als es darum ging, das deutsche Volk vom Faschismus zu befreien, und dass man in unseren Städten kaum ein Lokal findet, in dem es noch einen deutschen Rollbraten gibt.

Denn, so schrieb Rainer Rupp, »vieles deutet derzeit darauf hin, dass man in Washington noch zwischen zwei Optionen hin und her schwankt. Die erste Option gleicht der menschenverachtenden Strategie, die die US-amerikanischen Militaristen bereits seit über zehn Jahren erfolglos gegen Irak praktizieren. Die andere scheint den Ersteinsatz von taktischen Atomwaffen zu beinhalten. Die selbst erklärte führende Zivilisation der Welt, die vor allem wegen ihrer Fast-Food-Kultur und Gewaltverherrlichung hervorsticht«, will uns unsere deutsche Kultur nehmen, die aus praktizierten Strategien besteht und aus Optionen, die einen Einsatz beinhalten. Seinen Richtern erzählte dieser verrückte Mann, er habe um des Weltfriedens willen für die DDR spioniert. Das war gelogen, er hasst die Amerikaner.

Der Geist stehe links, hieß es früher einmal. Im Angesicht dessen, was sich heutzutage auf der Linken tut, möchte man kreischen. Die USA werden »eine Gewaltspirale lostreten«, wenn sie sich gegen den Terror wehren, warnen die Kirchentagsbeter. »Das, was sich in den letzten 10 Jahren noch als Stolpersteine für eine globale Neustrukturierung gezeigt hat - einige nationale Regimes der 3. Welt - soll jetzt sturmreif geschossen werden. Diejenigen Volksbewegungen, die die neoliberale Ausbeutungskultur nicht annehmen oder sie sogar kritisieren sollen jetzt zersetzt und zerschlagen werden.« So spricht ein »überregionales Forum gegen den Krieg« in seinem Aufruf zur Demonstration. »Zivilisation ist Völkermord - Krieg dem US/Nato-Krieg«, lautet die Parole. Die presserechtlich Verantwortlichen möchten trotzdem ernst genommen und nicht irgendwo eingeliefert werden.

Handelt es sich bei der deutschen Linken also vielleicht doch um einen Freilandversuch der CIA? Denn wer außer den Schergen des Imperialismus sollte an einer Imperialismuskritik interessiert sein, deren sämtliche Argumente sich mit zwei Silben erledigen lassen: Bullshit?