Neues BMW-Werk in Leipzig

Rabatt in Sachsen

Wegen niedriger Löhne und längerer Arbeitszeiten hat Leipzig im Standortkampf um das neue BMW-Werk gesiegt.

Das ist ein wichtiges Signal zum Aufbau neuer Arbeitsplätze in Ostdeutschland und für die Attraktivität des Standorts Deutschland«, jubelte IG Metall-Chef Klaus Zwickel Ende Juli. Kurz zuvor hatte der bayerische Autokonzern BMW bekannt gegeben, seine neue Dreier-Reihe ab dem Jahr 2005 nicht in Tschechien, sondern in Leipzig vom Band rollen zu lassen.

Mit diesem Beschluss kommt die Industrie den Forderungen der Gewerkschaft scheinbar weit entgegen, hatte doch bereits Ende Juni die IGM mehr Neueinstellungen in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie gefordert. Schließlich sei im Gegensatz zur weiterhin unbefriedigenden Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft das Wachstumstempo der sächischen Industrie seit vier Jahren stabil.

Nach Berechnungen der Gewerkschaft stiegen Umsatz und Produktion in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie um rund 15 Prozent - und damit fast doppelt so stark wie im Westen. Ähnliches gelte auch für die Produktivität, die um 10,2 Prozent angestiegen sei. Im Fahrzeugbau betrage das Plus wegen der starken Zuwächse bei den Automobilzulieferern sogar 23 Prozent.

Bei den Neueinstellungen sei die Entwicklung hingegen eher bescheiden. Die Beschäftigung in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie wuchs im Jahr 2000 um monatlich etwa 1 000 Stellen an, insgesamt wurden im vergangenen Jahr rund 290 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Zuwächse konzentrieren sich auf Sachsen und Thüringen, die sowohl von der Automobil- als auch von der PC-Produktion profitieren.

Die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands ist nach Angaben der IGM nach wie vor unbefriedigend. Im Jahr 2000 steigerte sich das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt mit gut einem Prozent deutlich langsamer als das westdeutsche mit 3,3 Prozent. Die Arbeitslosenquote lag im vergangenen Jahr bei 18,8 Prozent und war damit doppelt so hoch wie im Westen. Angesichts einer weiterhin auf Expansion ausgerichteten Entwicklung der ostdeutschen Industrie und der Investitionspläne der Metall-Unternehmen appelliert die IGM an die Arbeitgeber, in weit größerem Maße als bisher neu einzustellen. Außerdem seien Neuansiedlungen z.B. von Porsche und Intel oder eben das in der Diskussion stehende neue BMW-Werk dringend notwendig, da es im Osten nur eine Handvoll international relevanter Großbetriebe gebe.

Mit einem Investitionsvolumen von zwei Milliarden Mark sollen nun nach BMW-Angaben etwa 11 000 Arbeitsplätze im neuen Werk und der Zulieferindustrie geschaffen werden. Ausschlaggebend für die Entscheidung für Leipzig sei das mit der IGM vereinbarte flexible Arbeitszeitmodell mit einem »standortbezogenen wettbewerbsfähigen Entgeltniveau« gewesen, so BMW-Chef Joachim Milbert.

Erstaunlich ist allerdings, dass in Leipzig nun plötzlich klappen soll, was kurz zuvor bei VW in Wolfsburg schief gegangen ist. Für die Produktion des Minivans wollte VW 5 000 neue Jobs schaffen, die mit einem Einheitslohn von 5 000 Mark brutto vergütet werden sollten. Zudem behielt sich VW bei Produktionsengpässen eine Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich vor. Die IGM zeigte sich zunächst aufgeschlossen. Erst nach Interventionen vieler Betriebsräte in der Automobilindustrie, die sich gegen das Ansinnen von VW aussprachen, setzte auch Zwickel auf einen Rückzug. Der Vorschlag ziele darauf ab, die Arbeitszeit weit über den VW- und Metallstandard hinaus zu erhöhen, verteidigte sich der IG-Metall-Vorsitzende in einem Brief an Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel.

Das »an sich interessante Modell« hätte nach Meinung des IGM-Chefs zu einem Wettlauf um Lohnsenkung und Arbeitszeitverlängerung in der gesamten deutschen Metall- und Elektro-Industrie geführt, und diese »Verantwortung will und kann die IG Metall nicht übernehmen«. Gabriel hatte der Gewerkschaft vorgeworfen, mit der Ablehnung neue Jobs zu verhindern. Angeblich standen weit über 10 000 Arbeitslose vor der VW-Personalstelle und wollten ihre Bewerbungsunterlagen abgeben.

Was in Wolfsburg missglückte, wird von BMW in Leipzig festgeschrieben. Zwar sind die Löhne an das Westniveau angeglichen, dafür beträgt die Arbeitszeit 38 Stunden in der Woche. Das kommt den BMW-Managern sehr entgegen. Nach den Angaben Milbergs ist zudem vorgesehen, dass die Bänder im neuen Werk je nach Auftragslage von 60 Stunden Minimum bis zu 140 Stunden Maximum an sechs Tagen in der Woche laufen können.

Gleichzeitig wird das neue Werk mit Billigung der EU mit 350 Millionen Mark durch die Bundesregierung subventioniert. Zudem wird gemunkelt, die Stadt Leipzig stelle BMW im Norden der Stadt ein Grundstück zum Nulltarif zur Verfügung. Milberg jubelt, der Standort sei ideal, Autobahn, Flughafen und Bahnanschluss befänden sich in unmittelbarer Nähe.

Vor dem Standort-Monopoly soll BMW die konkurrierenden Standorte geradezu erpresst haben: »Der bayerische Autokonzern hat den rund 250 Bewerbern für die neue Fabrik ein dickes Musterheft an Bedingungen diktiert und Vorleistungen verlangt, die in etlichen Stadtparlamenten erhebliche Bauchschmerzen verursachten«, schrieb die Frankfurter Rundschau zur Bewertung des »leidenschaftslosen, betriebswirtschaftlichen Kalküls«, mit dem die Entscheidung gefällt wurde.

»Eine hohe Erwerbslosenquote macht Menschen und die Gewerkschaften gefügig«, sagte ein sächsischer IG Metall-Funktionär, der namentlich nicht genannt werden möchte, gegenüber Jungle World. Er bekräftigt, mit der gleichen Logik, mit der das »5 000 mal 5 000-Modell« gekippt wurde, hätte die IGM auch BMW in Leipzig verhindern können: »Da hat wohl die Angst eine Rolle gespielt, die Leute könnten die Gewerkschaftsbüros stürmen, falls der Deal nicht geklappt hätte.«

In Dresden baut VW zurzeit eine »gläserne« Autofabrik und bekommt dafür 145 Millionen Mark Beihilfe vom Bund. Porsche möchte ebenfalls in Leipzig eine neue Fabrik errichten, und DaimlerChrysler plant im thüringischen Köllada ein Motorenwerk. Aber nur, wenn Schröder 125 Millionen Mark locker macht, ansonsten gehe man nach Ungarn, so der schwäbisch-amerikanische Autoriese. So entsteht im einstigen »Tal der Ahnungslosen« ein neues Zentrum der Autoindustrie. Die industrielle Reservearmee dafür steht schon längst bereit.