Bodo Hombach über die Krise in Mazedonien

»Kein Anschluss an Albanien«

Eine weitere Interventionstruppe auf dem Balkan? Nach Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo nun Mazedonien? Für den Marschbefehl der Nato fehlt nur noch die Einigung der Regierung in Skopje mit der Nationalen Befreiungsarmee UCK. 3 000 Soldaten will das westliche Militärbündnis zur Entwaffnung der Separatisten entsenden, sollten beide Seiten dem Einsatz zustimmen. Doch bis zum Wochenanfang blieb unklar, ob die Pendeldiplomatie von EU und Nato die Konfliktparteien zum Einlenken bringen würde. Bodo Hombach ist Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa.

Zwei Jahre nach der Gründung des Stabilitätspakts für Südosteuropa steht die so genannte internationale Gemeinschaft vor genau der Situation, die sie eigentlich vermeiden wollte. Der Konflikt in Mazedonien könnte bald zum vierten Balkan-Krieg werden. Sind die nach dem Kosovo-Krieg beschworenen Mittel präventiver Diplomatie erneut gescheitert?

Ganz im Gegenteil. Gerade im Bereich der regionalen Kooperation gibt es seit Sommer 1999 Fortschritte, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Das ist wohl die stärkste Leistung des Stabilitätspakts. Allerdings gebe ich zu, dass dieser Prozess noch nicht hundertprozentig gefestigt ist. Doch auch wenn wir in Mazedonien jetzt schwere Rückschläge erleben, ähnelt dieser Konflikt nicht denen vor fünf Jahren. Die Nachbarländer versuchen nicht wie früher, den Konflikt anzuheizen, sondern tun alles, um ihn einzudämmen.

Die Kfor hätte doch verhindern können, dass nach der UCK im Kosovo auch die UCPMB in Südserbien und die mazedonische UCK den Kampf aufnehmen.

Es gab im Frühjahr natürlich schon eine Schrecksekunde, wo die Kfor bestritt, der Konflikt in Mazedonien habe etwas mit dem Kosovo zu tun. Sie wussten ja genau, dass sie nach dem Völkerrecht dafür verantwortlich sind, wenn von ihrem Territorium Gefahr ausgeht. Deshalb wird die internationale Gemeinschaft im Kosovo auch noch ziemlich lange für Ordnung sorgen müssen. Der erste Schreck aber ist kluger, nachholender Diskussion gewichen. Die strategischen Überlegungen der Nato etwa, wie man in Mazedonien bei der Entwaffnung der Terroristen und der Trennung der Fronten mitwirken kann, kann ich nur begrüßen.

Die Gefahr, dass der Konflikt eskaliert, ist nicht gebannt.

Ich muss ganz offen zugeben, dass wir selbst nicht genau wissen, wie man denen, die unbedingt zur Waffe greifen wollen, das Handwerk konsequent legt. Das ist in Irland nicht gelungen, in Spanien nicht, und das werden wir wahrscheinlich auch in Mazedonien nicht endgültig schaffen. Was wir aber schaffen können, ist so etwas wie ein gesellschaftlicher Resonanzboden, der bei einem Anschlag beispielsweise dafür sorgt, dass Tausende von Menschen demonstrieren und sagen: Lasst das sein! Das gibt es in Spanien, das hat es nach den ersten Anschlägen aber auch in Skopje gegeben, wo im März Tausende dafür demonstrierten, dass die UCK die Waffen niederlegt.

Während des Kosovo-Krieges hat die Nato die UCK noch unterstützt.

Wir haben die Erfahrung machen müssen, dass es in Konflikten falsch ist zu sagen, nur einer ist gut und der andere ist böse, so nach dem Motto: Mein Feind ist dein Feind, dein Freund ist mein Freund. Das hat sich nun auf schlimme Weise gerächt.

Nato und EU haben die UCK also unterschätzt?

Man hätte schon recht früh erkennen können, dass sich hier eine Gruppe herausbildet, die von einer eigenartigen Gemengelage aus vulgären und kriminellen politischen Motiven geleitet ist. Die Grenze zwischen Terrorist und Freiheitskämpfer verläuft ja fließend und wird letztendlich von der Frage bestimmt, wie die Öffentlichkeit reagiert. Es muss aber allen klar sein, dass der bewaffnete Weg dem Ansehen der Albaner insgesamt schadet und ihren Weg nach Europa zerstört. Deshalb muss sich auch die albanische Diaspora sehr genau überlegen, wen sie unterstützt. Den Aufbau ihres Heimatlandes zu fördern, finde ich sehr gut, Waffenlieferungen zu finanzieren, aber entsetzlich falsch.

Das heißt, Sie erkennen die politischen Forderungen der UCK an, lehnen aber die gewaltsamen Mittel ab.

Es führt doch kein Weg daran vorbei zu erkennen, dass der Konflikt soziale Ursachen hat. Die Gewalt wurde zwar aus dem Kosovo importiert. Aber die Massen in Mazedonien, die bei der UCK mitlaufen, sind junge, frustrierte, arbeitslose Männer. Deshalb muss man sich mit den ökonomischen und sozialen Rechten der albanischen Nochminderheit ebenso befassen wie mit der territorialen Integrität des Landes. Das aber geht nur, wenn auch die mazedonischen Politiker erkennen, dass Stabilität nur möglich ist, wenn sie nicht auf eine militärische Lösung setzen, sondern auf eine politisch-integrative.

Die Strategie der mazedonischen UCK zielt doch darauf ab, die ganze Region zu destabilisieren.

Wer jetzt Grenzen in Frage stellt oder auch Grenzen auf ewig festschreiben möchte, der hantiert mit Feuer in der Nähe eines Pulverfasses. Ich plädiere daher dafür, Zeit zu gewinnen in dieser Frage. Javier Solana etwa hat uns gebeten, schon jetzt unsere Aufbauprogramme für den Tag nach dem heißen Konflikt aufzulegen, damit die mazedonischen und albanischen Politiker zeigen können, dass parlamentarische und zivile Arbeit erkennbar erfolgreicher ist als eine Kalaschnikow. In einer zweiten Stufe könnte dann über die Frage geredet werden, welche Autonomie letztlich möglich ist.

Den UCK-Kämpfern geht es aber nicht um Autonomie, sondern um ein Großalbanien oder ein Groß-Kosovo.

Auch wenn wir uns in Mazedonien in einer Borderline-Situation befinden, die ich nicht herunterspielen will, muss man doch erstmal sortieren, worum es sich bei Großalbanien eigentlich handelt. Um es kurz zu machen: Ich habe überall, in Tirana, in Tetovo, in Pristina und Skopje nach Großalbanien gefragt, doch nur bei einigen Intellektuellen im Umkreis der Universität Pristina bin ich fündig geworden. Als ich dann konkreter nachfragte, stellte ich fest, dass sie gar nicht von Tirana regiert werden wollen.

Ganz im Gegenteil: Die Intellektuellen von Pristina rümpfen die Nase über ihre albanischen Brüder. Auch die albanische Minderheit in Mazedonien fordert nicht den Anschluss an Albanien, sondern nur, dass sie Mazedonier mit allen Rechten sein können. Gerade deshalb mein Appell, die bisherigen Formen präventiver Diplomatie materiell noch viel stärker auszustatten.

Von präventiver Diplomatie kann man kaum reden, wenn man sich etwa die Zerstörungen in Jugoslawien anschaut. Die gehen doch auf das Konto der Nato.

Man darf die Verhältnisse jetzt nicht umkehren. Der Kampf gegen Milosevic war ein gerechter Kampf gegen den Versuch, mit Gewalt Nachbarn zu überfallen und ethnische Säuberungen durchzuführen.

Schuld an der Zerstörung der Infrastruktur in Jugoslawisen trägt dennoch die Nato.

Nach allem, wofür Milosesic zu Recht vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal angeklagt ist, würde ich hier nicht von Schuld sprechen. Nichtsdestotrotz setzen wir natürlich schon aus Interesse an Stabilität in der Region auf eine starke ökonomische Unterstützung Jugoslawiens.

Werden wie vor zwei Jahren im Kosovo die Mittel präventiver Diplomatie auch in Mazedonien scheitern?

Ich lege Wert auf die Feststellung, dass präventive Diplomatie die Bereitschaft, Demokratie im Zweifel auch mit Gewalt gegen Diktatoren und Übergriffe zu verteidigen, nicht ersetzt. Deshalb sagen wir auch in Mazedonien ganz deutlich: bis hierhin und nicht weiter. Der UCK muss klar sein, dass sie sich nicht nur mit einer armen mazedonischen Armee anlegt, sondern im Zweifelsfall mit der Weltgemeinschaft.