Michel Fremont, französischer Atomkraftgegner

»In La Hague bleibt alles liegen«

»Wir sind nicht die Atommüllhalde für Deutschland«: Französische Atomkraftgegner kündigten letzte Woche nach den Atommülltransporten aus Deutschland in die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) La Hague weitere Proteste an. Michel Fremont ist Aktivist des Crilan (Comité de réflexion, information et lutte anti-nucléaire), einer Organisation, die seit den achtziger Jahren besteht und aktivistische Ansätze der Anti-Atom-Bewegung mit der juristischen Auseinandersetzung um die Atomenergie zu verbinden sucht.

Wo waren Sie am letzten Mittwoch?

Am Mittwoch habe ich in Caen an einer Aktion gegen den Transport von neuem Atommüll nach La Hague teilgenommen.

»Frankreich ist kein Mülleimer für deutschen Atomabfall«, sagte letzte Woche ein Sprecher der französischen Grünen? Demonstrieren Sie auch, wenn Transporte La Hague verlassen?

Wir von Crilan werden aktiv, wenn Transporte mit neuem Atommüll nach La Hague rollen und den Betrieb der Wiederaufbereitungsanlage damit aufrechterhalten. Wir werden nicht gegen Transporte aktiv, die La Hague verlassen. Denn unser Grundprinzip lautet: Ein Land, das atomare Probleme verursacht, soll auch die Verantwortung dafür übernehmen. Wenn Deutschland wegen seiner politischen Entscheidungen Atommüll produziert hat, dann trägt es auch die Verantwortung, was daraus künftig wird. Wir sind im Prinzip nicht dagegen, dass die Länder, die Atommüll nach La Hague geschickt haben, ihn zurücknehmen. Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern auch Belgien oder die Schweiz. Aber das geschieht nur selten, oft bleibt das Zeug einfach in La Hague.

Auch die deutschen Grünen sprechen von der Notwendigkeit der Transporte, damit La Hague nicht zur atomaren Müllkippe für die Deutschen werde. Anti-Atom-Aktivisten hingegen blockieren die Gleise, um die Transporte aus La Hague nicht nach Gorleben gelangen zu lassen. Bekommt Frankreich die Folgen deutscher Anti-Castor-Aktivitäten ab?

Ich verstehe die Position derer, die in Gorleben protestiert haben. Sie wenden sich gegen die Einlagerung von Atommüll in Salzstöcken, aus denen man ihn bei einer Katastrophe nur schwer wieder herausbekommt. Wir sind grundsätzlich gegen diese Form der definitiven Einlagerung von Atommüll, da die unterirdische Einlagerung nur eine trügerische Entsorgungssicherheit schafft. Wir sind dafür, dass der atomare Abfall oberirdisch, direkt bei den Atomkraftwerken gelagert wird. Wenn das nicht mehr geht, dann muss man eben aufhören, weiteren Atommüll zu produzieren.

Wir waren in der Vergangenheit mehrere Male in Gorleben, haben dort an Demonstrationen teilgenommen und zu den deutschen Anti-AKW-Initiativen Kontakt gehalten. Wir haben dabei unsere Position klar zum Ausdruck gebracht, dass jedes Land verantwortlich ist für den Atommüll, den es produziert, und dass die Folgen nicht auf andere Länder oder Regionen abgewälzt werden dürfen.

Hat Ihnen da jemand widersprochen?

Niemand hat uns dabei je offen widersprochen. Hätte jemand die Position verteidigt, dass La Hague auf dem Atommüll sitzen bleiben soll, dann hätten wir uns mit ihm gestritten. Ich verstehe die Position der Demonstranten von Gorleben aber auch deswegen, weil wir im Süden des Départements Orne mit Arbeiten in Granitstollen konfrontiert sind, die die unterirdische Endlagerung von Atommüll vorbereiten sollen. Vor sechs Monaten kamen dorthin 5 000 Gegendemonstranten, in ein Nest, das 200 Einwohner hat. Die Arbeiten zur Vorbereitung der Endlagerung in den letzten vier, fünf Jahren haben der zuvor dahinsiechenden Anti-AKW-Bewegung neuen Schwung verliehen.

Sind die Aktionen, an denen Sie teilnehmen, mit denen von Gorleben vergleichbar?

Nein. Im Bezirk Manche, in dem die WAA La Hague steht, gibt es das klassische Problem einer industriellen Monokultur. 35 Prozent der Arbeitsplätze im gesamten Département hängen an der Atomindustrie; an der WAA-Betreiberfirma Cogema, am AKW Flammarion oder an der Werft in Cherbourg, wo auch Atom-U-Boote gebaut werden. Zwei Drittel der Steuern auf Bezirksebene kommen von der Cogema oder dem staatlichen Stromkonzern EDF, der die Atomkraftwerke betreibt. Daher setzen wir auf symbolische, aber Aufmerksamkeit erregende Aktionen, diesmal zusammen mit Greenpeace.

Greenpeace Frankreich setzt sich dafür ein, dass man auch Transporte aus La Hague blockieren müsse.

Diese Frage ist ein Streitpunkt innerhalb des französischen Protestspektrums. Greenpeace schielt als professionelle Organisation vor allem auf Medienwirksamkeit und setzt sich deswegen dafür ein, die Transporte nach Deutschland zu blockieren. Ähnliche Differenzen haben wir auch mit dem Anti-AKW-Netzwerk Réseau Sortir du Nucléaire (Netzwerk Atomausstieg). Dieses Bündnis beruft sich auf eine Vereinbarung zwischen Gerhard Schröder und Lionel Jospin zur WAA in La Hague. Jeder Transport von dort ziehe neue Atommülllieferungen aus Deutschland nach sich, deswegen müsse man sie blockieren. Wir hingegen warnen davor, dass das auf Kosten der Bewohner der Region geht, die auf dem atomaren Müllberg sitzen geblieben sind, und sehen unsere Aufgabe darin, zu verhindern, dass der Atommüll von überall sich in La Hague anhäuft.

Das scheint dort vielen Leuten egal zu sein. In La Hague haben letzte Woche die Angestellten der WAA sogar gegen die Blockadeversuche und für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstriert.

Das alles ist nur ein Ausdruck davon, dass Aggressivität und eine blinde Flucht nach vorn vorherrschen. Denn die Atomindustrie befindet sich im Niedergang, und den sozialen Konsens, der auf dieser Industrie beruht, wird es nicht mehr lange geben. Den Beschäftigten und der Region drohen dieselben Folgen, die industrielle Monokulturen - sei es der Bergbau oder die Stahlindustrie - immer mit sich bringen. Wenn in den nächsten fünf bis sieben Jahren die WAA-Verträge mit ausländischen Kunden auslaufen, wird es zu Massenarbeitslosigkeit kommen. Daher die Panik. Als wir vor 14 Tagen beim Gericht in Cherbourg eine unserer Strafanzeigen gegen die Cogema einreichen wollten, wurden wir von 800 Beschäftigten der Cogema aggressiv daran gehindert.

Worauf beziehen sich die Klagen?

Einerseits auf den Gesetzestext der Loi Bataille von 1991. Darin wurden die WAA-Betreiber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre Partner im Rahmen kommerzieller Verträge zur Verarbeitung von Atommüll ihre strahlenden Abfälle zurücknehmen. Nun haben wir festgestellt, dass genau dies meist nicht geschieht. Zudem haben wir Strafanzeige wegen Fremdgefährdung erstattet. Und diese Woche wird eine weitere Anzeige hinzukommen, die sich gegen die MOX-Lieferungen aus Hanau richtet. Dieser Transport nach La Hague ist unserer Ansicht nach illegal, da es sich hier gar nicht um zu verarbeitenden Abfall handelt, sondern um nuklearen Brennstoff, der in der Zukunft verwendet werden soll.